Braunschweig. Erfolgsautor Martin Korte erklärt die Fanpsychologie beim Fußball: Wie Fans den Spielern helfen können, die letzten Energiereserven zu aktivieren.

Ein unsichtbares Gefühlsband verbindet die Gehirne von Fußballern, wie die, die bei Eintracht Braunschweig spielen, mit ihren Fans. Und so wenig wie die Spieler der Eintracht am Wochenende mal eben in Wolfsburg oder Hannover aushelfen wollen würden (selbst wenn sie dies regeltechnisch dürften), so wenig kann man sich vorstellen, dass der Eintracht-Fanblock den Weg nach Hannover findet und dort die 96er anfeuert.

Die Fußballwelt, bei Fans wie Vereinsspielern gleichermaßen, ist eines der letzten Refugien eines meist friedlichen schwarz/weiß Denkens – schwere Fouls, Hooligans und Pyrotechnik ausgenommen. Allerdings bedeutet dies nicht automatisch, dass Fans und Mannschaft eine Einheit sind. Manchmal sind Fans nicht unfair dem Schiedsrichter oder anderen Mannschaften gegenüber, sondern sie fordern von den Spielern ihrer eigenen Mannschaft Unmenschliches oder fallen ihnen in den Rücken.

Spieler müssen sehr starken Druck aushalten

Dabei muss man sich immer klarmachen, welchen Druck Spieler aushalten müssen. Stellen Sie sich vor, wie Sie eine Arbeit ausführen würden, in der Sie sehr gut sind und die Sie schon viele Jahre ausüben, wenn eines Tages Ihr Chef daherkommt und Ihnen sagt, Sie werden auf der Stelle gefeuert, wenn Sie am heutigen Arbeitstag auch nur den kleinsten Fehler machen.

Wie würde sich das auf die Ausführung Ihrer Handgriffe auswirken? Nun sind die Eintracht-Spieler in einer psychologisch vergleichbaren Situation: Zwar droht ihnen wohl nicht die Entlassung, aber, wenn man jetzt noch den Aufstieg verpassen würde, würde es sich so anfühlen.

Normalerweise hat jeder eine Energiebremse im Kopf

In einer Normalsituation muss keiner der Spieler über die Bewegungen, die er auf dem Spielfeld ausführt, nachdenken, denn die Bewegungsmuster laufen nach jahrelangem intensivem Training unbewusst ab. Auch die Spielsituation zu analysieren, ist für die Spieler Routine. Blitzschnell erfassen sie die Positionen und Laufrichtungen von Mitspielern und Gegnern gleichermaßen, ebenso die Flugrichtung des Balls.

Ohne darüber nachzudenken, sind sie (meist) in der Lage, den Ball im vollen Lauf anzunehmen und so zu passen, dass er in den Laufweg eines Mitspielers fliegt. Was Präzision und Geschwindigkeit angeht, eine Meisterleistung des Gehirns. Und all dies kann sogar noch gesteigert werden, wenn die positiven Emotionen der Fans ins Unterbewusstsein dringen.

Fangesänge können 15 Prozent Restenergie freisetzen

Tatsächlich kann dies noch etwa 15 Prozent Restenergie freisetzen, wie man unter der Woche bei Spielern von Real Madrid sehen konnte, die auch in der 89. Minute noch die mentale Kraft aufgebracht haben, diese letzten 15 Prozent Energiereserven zu mobilisieren, die das Gehirn zurückhält. Auch hier waren die Fans der Madrilenen maßgeblich beteiligt; denn normalerweise hat jeder eine Energiebremse im Kopf, die verhindert, dass der Körper an seine letzten Energieressourcen geht.

Evolutiv gesprochen, steckt hinter dieser Reserve der Umstand, dass unsere Vorfahren, auch wenn sie eine brenzlige Situation überstanden hatten, noch Energie brauchten, um zu Fuß zu ihrer Gruppe, zu ihrer Höhle zurückzukehren. Aber in emotionalen Grenzsituationen, wie Fans sie mit ihren Gesängen hervorrufen können, kann diese letzte Leistungsgrenze überwunden werden.

Hierbei ist es letztendlich wichtig, den Verstand, also die Kontrolle des Stirnlappen über die letzten Energiereserven, auszuschalten und über die Emotionen der Anfeuerung, bedingungslosen Unterstützung und des Gemeinschaftsgefühls mit den Fans beziehungsweise den Mitspielern diese letzte Energie noch auf dem Spielfeld zu mobilisieren.

Menschen sind von Natur aus Teamplayer

Dabei besitzt der Mensch die Fähigkeit, Emotionen nicht nur für sich allein zu entwickeln und zu empfinden, Emotionen – positive wie negative – können sich von einem Menschen zu einem anderen übertragen. Gefühle sind ansteckend und zwar von einem Fan zum anderen, bis jeder einzelne Fan emotional in der Fangruppe aufgeht.

Und wenn diese Stimmung, vor allem ist hier das Gemeinschaftsgefühl gemeint, auch die Spieler auf dem Platz erfasst, beflügelt dies nicht nur die Energiebereitstellung für die Muskeln, sondern auch den Glauben an die eigene Leistungsfähigkeit, das Selbstbewusstsein und die Fokussierung auf den Erfolg.

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Menschen sind also evolutiv darauf angelegt, Teamplayer zu sein. Dabei hat die Entwicklung der Sprache geholfen, aber wir können auch als Resonanzraum für die Gefühle anderer Menschen dienen und so die Emotionen erleben, die eigentlich andere haben. Wir haben also quasi ein direktes Verstehen der Gefühle anderer: „Dein Schmerz ist mein Schmerz und deine Freude ist meine Freude“.

Ermöglicht wird dies in unserem Gehirn durch Spiegelneuronen, die strategisch im Gehirn in wichtigen Arealen der Kommunikation und des Nachahmungslernens platziert sind. Der Charme der Spiegelneuronen besteht darin, dass Menschen so auch durch Nachahmung lernen und dass so einzelne Menschen in Gemeinschaften aufgehen können. Und wir finden Gefallen daran, gespiegelt zu werden – etwa, wenn das Gegenüber im Gespräch mitlacht. Diese Spiegelneuronen versuchen also nachzustellen, was andere Menschen erleben, fühlen, planen und vormachen. Und dies ist die Grundlage dafür, dass Emotionen zwischen Menschen übertragen werden können.

Spieler müssen wissen, dass Fans auch bei Niederlagen Rückhalt bieten

Allerdings gilt dies im Guten wie im Schlechten – merken die Spieler auf dem Platz, dass die Fans zwar da sind, aber doch nicht wirklich an einen Erfolg glauben, oder es an anderer Stelle Disharmonien in Verein gibt, überträgt sich auch das auf die Leistungsfähigkeit der Spieler. Diese extrem hohe Leistungserwartung kann dann auch zum Leistungseinbruch führen. Die dabei im Gehirn ablaufenden Prozesse ähneln einer Prüfungssituation.

Auch da kann trotz langer und intensiver Vorbereitung ein „Blackout“ eintreten. Und der Kopf scheint wie leergefegt. Dabei ist er gar nicht leer. Im Gegenteil, er ist zu voll. Und genau das ist das Problem. Beim Leistungseinbruch kann man eine Dominanz der linken Gehirnhälfte mit ihren Sprachzentren feststellen.

Angst vorm Versagen kann Gehirnleistung einschränken

Das Grübeln über die eigenen Handlungen regt Gehirnzentren an, die Rechenkapazität und Rechengeschwindigkeit kosten. Auch die Angst vor dem Versagen kann die Gehirnleistung und die Ansteuerung der Muskeln sowie die Wahrnehmung einschränken, denn Angst führt dazu, dass man nicht auf die weitläufigen Räume des Spielfeldes schaut, sondern man fokussiert sich nur noch auf die direkte Umgebung. Sprich: Manche Bereiche im Scheitellappen der rechten Gehirnhälfte, die wichtig sind für die Orientierung im Raum, werden nahezu abgeschaltet.

Statt den Überblick zu wahren, entsteht ein Tunnelblick und das ist fatal in Spielsituationen, bei denen die Spieler auf Informationen aus der Peripherie angewiesen sind. Vor allem müssen die Spieler also wissen, dass sie auch bei Niederlagen von dem Rückhalt der Fans aufgefangen werden. Im berühmtesten aller Fußball-Lieder, „You never walk alone“, steckt eben vor allem das „never“, also niemals werden wir, die Fans, Dich, den Spieler, im Stich lassen, wie man das Lied übersetzen könnte.

Wenn das an diesem Samstag für die mitgereisten Fans gilt, so wie es für Frankfurt in Barcelona galt, steht dem Aufstieg nichts im Wege – und vielleicht ist es dann ja in den nächsten Jahren auch nicht der letzte!

Erfolgsautor Prof. Martin Korte („Jung im Kopf“) von der TU Braunschweig ist einer der bekanntesten deutschen Gehirnforscher. Er berät große Wissens-Shows im TV und schreibt für unsere Zeitung.