Braunschweig. Die großen Vermieter haben Vorbehalte, wenn Mieter Solarmodule vor die Balkone hängen.

Es schien ein fantastische Idee: Braunschweig hat eine „soziale Komponente“ bei der Solarförderung eingeführt. Mini-Solaranlagen werden mit bis zu 400 Euro gefördert. Doch sollen Mieter Fördergelder erhalten, müssen die Vermieter zustimmen. Braunschweigs große Vermieter sind jedoch mehr als skeptisch. Was aber nur ein Problem ist.

In Rekordzeit hat sich der Solar-Fördertopf in Braunschweig geleert. Binnen elf Tagen lagen Förderanträge über die Summe von 500.000 Euro vor. Auch der Bau von mehr als 200 Mini-Solaranlagen ist geplant. Diese Anlagen boomen zurzeit bundesweit. 78 von ihnen waren bis zum Beginn der Förderung am 1. April im Stadtgebiet registriert. Mittlerweile sind es 86. Ihre Zahl wird sich fast verdreifachen, wenn das Förderprogramm greift. Doch einen Förderantrag zu stellen, heißt nicht, dass tatsächlich auch gebaut wird.

Roswitha Bender hat einen Antrag auf Förderung einer Mini-Solaranlage gestellt. Mittlerweile bezeichnet sie sich als „ratlose Leserin“. Denn: „Leider fand ich bisher nach tagelangen Telefonaten keine Firma, auch im Umkreis nicht, die eine solche Anlage installieren würde.“ Die beiden häufigsten Antworten seien: Das sei eine Sache für Heimwerker, oder die Firma sei so ausgelastet, dass sie sich mit solchen Kleinaufträgen nicht befasse. „Ich bin eine Frau von 74 Jahren. Soll ich nun alleine aufs Dach klettern?“

Branche und Kunden klagen über Fachkräftemangel

Wie es in der Solarbrache zurzeit aussieht, erklärt Andreas Becker, Geschäftsführer BS-Sonnenstrom. Es ist das älteste Solarunternehmen der Stadt: „Wir kommen im Augenblick noch nicht einmal dazu, alle Anfragen zu beantworten.“ Im Vorjahr hatte das Unternehmen 100 Anlagen gebaut. „Die Nachfrage ist so hoch, wir könnten dieses Jahr 200 bauen.“ Doch: „Fachkräftemangel, besonders bei den Dachdeckern.“ Und Lieferschwierigkeiten: „Container-Mangel auf dem Seeweg. Der Hafen Shanghai in China ist wegen Corona gesperrt. Der Warenaustausch auf dem Landweg von China über Russland ist wegen des Ukraine-Kriegs gestört.“ Becker macht keinen Hehl daraus, dass er von Mini-Solaranlagen grundsätzlich nichts hält: „Man benötigt viel größere Anlagen, um steigenden Stromkosten und Verbrauch etwas entgegen zu setzen.“

Klimaziele setzen Fassaden-Solar voraus

Fakt ist freilich: Sollen die Klimaziele erreicht werden, werde es laut Regionalverband Großraum Braunschweig nicht reichen, nur die roten Dächer verschwinden zu lassen. Auch die Fassaden, sprich Balkone, müssen zugehängt werden. 764,07 GWh könnten von den Dächern der Stadt kommen. 118,72 GWh von den Fassaden. So die jüngste Potenzialanalyse.

Fassaden-Solar ist jedoch vergleichsweise unpopulär. Die höchsten Jahreserträge werden laut Solarrechner der Europäischen Kommission in Braunschweig mit einer Aufständerung der Module von 40 Grad erzielt. Hängen Module platt vor dem Süd-Balkon, sei mit einer Einbuße von 30 Prozent zu rechnen.

Für viele Mieter und Besitzer von Eigentumswohnungen dennoch die einzige Möglichkeit, per Solarstrom die Stromrechnung zu senken. Vorausgesetzt, die Stadt Braunschweig macht das zur Bedingung für Fördergelder, Vermieter oder Eigentümergemeinschaft stimmen zu.

Für Braunschweiger Baugenossenschaft (BBG), Wiederaufbau und Nibelungen Wohnbau, die großen Vermieter der Stadt, ist das Neuland. Laut BBG stehe in der neuen Nordstadt eine Mini-Solaranlage und es habe nun eine weitere Mieteranfrage gegeben. Laut Nibelungen „haben uns vereinzelt Anfragen von Mietern erreicht“. Wiederaufbau und BBG stehen jedoch höchst skeptisch Mini-Solaranlagen gegenüber. Verwiesen wird in erster Linie auf Sicherheitsgründe.

Es geht um die sogenannte Verkehrssicherungspflicht. Ein einzelnes Solarmodul hat die Fläche von 1,7 Quadratmeter und wiegt etwa 22 Kilo. Zweifel bestehen, dass sich die Module sicher an den Balkonen befestigen lassen. Bei der Nibelungen hat ein Prüfprozess begonnen: „Aller Voraussicht nach werden Genehmigungen zur Realisierung nur jeweils im Einzelfall nach vorheriger Prüfung erteilt werden können.“

Neue Norm soll für eine sichere Befestigung garantieren

Unmöglich ist die sichere Balkonbefestigung nicht. Laut einer neuen Marktstudie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sowie der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hängen von den bis zu 190.000 Mini-Solaranlagen Deutschlands etwa 29 Prozent am Balkon.

Unklarheiten soll eine Produktnorm beseitigen, die zurzeit die Deutsche Kommission Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (DKE) erarbeitet. Die Norm für Mini-Solargeräte umfasst auch die sichere Befestigung der Module. Seewasser-Beständigkeit ist zum Beispiel vorgesehen. Mitte Mai soll der Entwurf vorgestellt werden. Ob die Norm Ende des Jahres tatsächlich kommt, ist unklar. Sie ist bereits jetzt umstritten. Die ursprüngliche Absicht, den Anschluss genormter Mini-Solargeräte per Schuko-Steckdose zuzulassen, scheiterte an DKE-internen Widerständen und der Ablehnung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft.