Braunschweig. Algorithmen, Querdenker, Streit und Hetze: Autorinnen unserer Braunschweiger Jugendredaktion schreiben über die Spaltung der Gesellschaft (Teil 1).

„Ich bin ganz in meiner eigenen Welt abgetaucht.“ Das sind wir wohl alle ab und zu mal. Wir verlieren den Wirklichkeitsbezug und sind völlig in unserem selbstgebauten Gedankenkonstrukt versunken. Da ist ja nichts dabei. Das tut in unserem stressigen, reizüberfluteten Alltag auch einfach mal gut.

Doch mit der immer größer werdenden Bedeutung des Internets und der dort herrschenden Algorithmen gewinnt dieser Satz einen neuen, schon fast bedrohlich anmutenden Unterton. Was passiert, wenn wir auch in unserem Alltag nicht mehr in „derselben Welt“ leben? Wenn unsere „Realität“ so verschieden ist, wie zwei Seiten einer Münze? Was macht das mit uns als Gesellschaft? Und kann man dann überhaupt noch von EINER Gesellschaft sprechen, wenn doch die Gräben zwischen den Lebensrealitäten tiefer zu sein scheinen als so mancher schottischer See?

Was sehen wohl die anderen in ihrem Instagram-Feed?

Das sind alles Fragen, die in mir hochkommen, während ich in der Bahn durch meinen Instagram-Feed scrolle. Mir vorstelle, was wohl die Menschen um mich herum auf ihrem Bildschirm sehen. Wie viel Überschneidung gibt es wohl zwischen den mir angezeigten Beiträgen von Klimastreiks und veganem Essen und dem, was die Frau dort drüben mit dem langen dunklen Mantel und der Aktentasche auf ihrem Display sieht?

In der aktuellen Pandemie kommen Unterschiede stärker ans Tageslicht. Denn obwohl ich es natürlich gern sähe, wenn sich die Social-Media-Bubble von allen Menschen mit der Zubereitung der optimalen veganen Quiche beschäftigen würde, ist die Situation noch um einiges ernster, wenn statt wissenschaftlicher Aufklärung auf einmal Verschwörungsideologien die Online-Realität beherrschen.

Mette Springer ist Autorin der Jugendredaktion Streetwords der Braunschweiger Zeitung.
Mette Springer ist Autorin der Jugendredaktion Streetwords der Braunschweiger Zeitung. © Privat

Empfehlungsseite ist voll mit pseudoseriösen „Von mir erfährst du endlich die Wahrheit“-Videos

Da hab ich einfach nur den Link zum Video, das mir ein Bekannter als „soo interessant und Augen öffnend“ angepriesen hat, geöffnet und schon tauche ich in eine Welt hinab, in der mir irgendein Typ weismachen will, er habe die „wirklichen Absichten“ der Politiker*innen und Wissenschaftler*innen erkannt.

Passend dazu ist der Algorithmus so nett und bietet mir gleich noch weitere ähnliche Videos an. Und plötzlich ist meine Empfehlungsseite voll mit pseudoseriösen „Von mir erfährst du endlich die Wahrheit“-Videos. Das ist ärgerlich und nervig, wenn wir uns über die Absurdität wissenschaftsferner Behauptungen bewusst sind, aber dramatisch, wenn wir verunsichert sind und nach schnellen und einfachen Antworten suchen. Mir nichts dir nichts baut sich um uns eine ganz eigene Welt auf, in der alle dieser Meinung sind und unser neues Weltbild bestätigen.

Welche Welt habe ich mir mit Hilfe des Algorithmus zusammengezimmert?

Das ist bequem, aber auch verdammt gefährlich. Und das nicht nur bezogen auf Corona! Es lohnt sich deswegen, selbst wenn es nicht um Verschwörungsdenken geht, bei der eigenen Internet-Bubble genauer hinzuschauen. Welche Welt habe ich mir mit Hilfe des Algorithmus da zusammengezimmert?

Bewusst hinschauen, hinterfragen und diverse Quellen hinzuziehen. Das ist in der heutigen Zeit nicht nur eine Option, sondern dringend notwendig! Wir wollen doch alle aus unserer digitalen in eine zumindest noch auf ähnlichen Grundpfeilern gebauten Welt auftauchen. Uns in die Augen schauen, statt in die Abgründe der Spaltung zu blicken. Oder?

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