Braunschweig. Rifat Fersahoglu-Weber: Die ausgehandelten Werte bleiben trotz hoher Steigerungen noch hinter dem Tarifvertrag zurück – das reicht nicht.

Die Mindestlöhne für Pflegekräfte in Deutschland sollen ab dem 1. September in mehreren Schritten deutlich steigen. Darauf hat sich die zuständige Pflegekommission vor wenigen Tagen einstimmig geeinigt. Demnach sollen die Mindestlöhne für Hilfskräfte bis Ende 2023 schrittweise von aktuell 12 auf 14,15 Euro steigen, für qualifizierte Hilfskräfte von 12,50 auf 15,25 Euro und für Pflegefachkräfte von 15 Euro auf 18,25 Euro. Erhöhungen sind jeweils zum 1. September 2022, 1. Mai 2023 und 1. Dezember 2023 vorgesehen.

Außerdem empfiehlt die Kommission auch mehr Urlaubstage: Somit würde der Mindesturlaubsanspruch in der Altenpflege ab 2023 für Beschäftigte mit einer Fünf-Tage-Woche auf 29 Tage steigen. Die neuen Pflegemindestlöhne und der Anspruch auf Mehrurlaub sollen allgemein verbindlich gelten.

AWO: Das führt nicht zu einer dauerhaften Aufwertung des Pflegeberufes

Der Arbeitgeberverband AWO Deutschland äußert sich jedoch enttäuscht dazu. Die Entscheidung sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands und Vorstandsvorsitzende des AWO-Bezirksverbandes Braunschweig, Rifat Fersahoglu-Weber: „Die vorgestellten Ergebnisse werden nicht zu einer dauerhaften Aufwertung des Pflegeberufes beitragen“, schreibt er in einer Pressemitteilung. „Die ausgehandelten Werte bleiben trotz hoher Steigerungen noch hinter dem Tarifvertrag zurück. Bis zum 1. September 2022 erfolgt keinerlei Verbesserung gegenüber den schon bisher vereinbarten Mini-Schritten. Dies ist eine weitere verpasste Chance.“

Unklar bleibe das Verhältnis der Beschlüsse der Pflegemindestlohnkommission einerseits und der Regelungen des Pflegelöhneverbesserungsgesetzes andererseits. „In dieser Woche wurde erstmalig eine Übersicht über die geltenden Tarifverträge und eine Berechnung der Durchschnittslöhne in der Altenpflege nach Bundesländern veröffentlicht, an der sich auch nicht-tarifgebundene Pflegeeinrichtungen ab September orientieren müssen“, so Fersahoglu-Weber. „Es existieren somit de facto zwei Regelwerke für die Bezahlung von Pflegekräften unabhängig nebeneinander.“

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AWO: Stärkere Tarifbindung ist wichtig

Echte Verbesserungen lassen sich ihm zufolge langfristig nur durch eine stärkere Tarifbindung erreichen. „Wir müssen uns endlich davon verabschieden, eine Mindestlohnbranche zu sein. Viel wichtiger ist aus unserer Sicht, dass alle Bestandteile von Tarifverträgen vollständig von den Kostenträgern refinanziert werden. Dies würde die Attraktivität von Tarifbindung steigern“, so Fersahoglu-Weber weiter.

Auch die Frage nach einer zukunftsfähigen Refinanzierung von höheren Löhnen in der Pflege sei weiterhin ungelöst. Steigende Löhne dürften nicht zu einer Mehrbelastung der Pflegebedürftigen führen.

Weniger als ein Drittel ist an Tarif gebunden

Eine bessere Bezahlung gilt grundsätzlich als ein wichtiger Hebel, um die bereits bestehende Personalnot in Alten- und Krankenpflege zu lindern. Allerdings bleibt unklar, wie sich die ab September geltende Tarifpflicht für alle Pflegeeinrichtungen konkret auf die Höhe der Löhne auswirken wird – wenn sie denn wirklich kommt, denn mehrere private Pflegeanbieter haben Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingelegt.

Eine kürzlich veröffentlichte Übersicht der Landespflegekassen zeigt, dass bislang deutlich weniger als ein Drittel aller Einrichtungen in der Langzeitpflege in Deutschland einer Tarifbindung folgen. 70 Prozent der Einrichtungen, die aktuell bereits tariflich zahlen, unterliegen kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, die restlichen 30 Prozent sind an Haus- oder Flächentarifverträge gebunden.

Die Daten zeigen auch, dass Pflegeeinrichtungen, die ihre Mitarbeiter nach Tarif oder kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen entlohnen, deutlich mehr zahlen als den Branchenmindestlohn. Die nicht tarifgebundenen Einrichtungen müssen nun bis Ende Februar mitteilen, an welchen Tarifverträgen sie sich ab September bei der Bezahlung orientieren wollen.

Ein für die gesamte Branche verbindlicher Tarifvertrag war im vergangenen Jahr am Widerstand des Caritas-Verbands gescheitert. Die Arbeitsrechtliche Kommission des Verbands, die über die Allgemeinverbindlichkeit mitentscheiden sollte, hatte dem Vorstoß die nötige Mehrheit verweigert.