Wolfsburg. Die Diskussion um die verbotenen Schottergärten in Wolfsburg kocht weiter hoch. Die Stadt macht eine klare Ansage zu dem alten Thema.

Würde in Wolfsburg ein „Unwort des Jahres gewählt“ – „Schottergärten“ wäre ein sicherer Anwärter auf eine Top-Platzierung. Und das gleich aus zwei Gründen: Für viele sind die toten Beete, wo kaum ein Pflänzchen im grauen Kiesbett wächst, schlichtweg „Gärten des Grauens“, was sie als Bezeichnung weitaus drastischer und daher passender finden. Für viele andere aber gelten die Kiesanlagen als geschmackvolle und vermeintlich pflegeleichte Gestaltungselemente vor ihrem Eigenheim. Fakt ist: Zu diesem Thema ließe sich locker eine Art „Lexikon der populären Irrtümer“ schreiben.

Denn in den vielen Kommentaren, die unsere Leser auf Facebook zur Berichterstattung über das Agenda-21-Forum und das Vorgehen der städtischen Bauaufsicht in puncto Kiesgärten machten, findet sich eine wilde Mischung aus Fakten, Halb- und Unwahrheiten. Da werden Schottergärten, Versiegelung und andere Aspekte teils munter gemischt.

Manche Hausbesitzer in Wolfsburg glauben, Stadt und Land dürfen nichts vorschreiben

Auffallend sind auch die Auffassungen dazu, wie weit bauliche Regelungen zu Häusern inklusive Gärten und Wegen wohl gehen dürfen. Allen Ernstes sind einzelne Zeitgenossen der Meinung, dass die Stadt und das Land ihnen gar nichts vorzuschreiben haben, was die Gestaltung ihrer Vorgärten, Carports, Terrassen und Wege rund ums Haus betrifft – sondern dass das ihre absolute Privatsache ist.

„Auf seinem Grund und Boden darf doch wohl jeder selbst entscheiden“, findet beispielsweise eine Facebook-Userin. Eine andere schreibt: „Ist doch eigentlich jedem selbst überlassen.“ „Ich mache auf meinem Grund und Boden was ich will“, konstatiert ein weiterer User. Noch ein anderer ist überzeugt: „Unabhängig davon, ob ein Schottergarten gefällt oder nicht. So lange jeder gemäß der jeweils gültigen Bauvorschrift (z. B. Bebauungsplan) die darin vorgegebene maximal zu versiegelnde Fläche einhält, kann die Stadt gar nichts.“

Ein solcher Vorgarten fällt in die Kategorie Schottergarten, weil es sich nicht um eine Grünfläche handelt, die die Niedersächsische Bauordnung fordert.
Ein solcher Vorgarten fällt in die Kategorie Schottergarten, weil es sich nicht um eine Grünfläche handelt, die die Niedersächsische Bauordnung fordert. © dpa-tmn | Lennart Stock

Schottergärten sind in Wolfsburg altbekanntes Thema

Jedenfalls ist das Thema in Wolfsburg wirklich alt. Als vor mehr als 15 Jahren der damals als Norddeutschlands größtes Neubaugebiet gehandelte Kerksiek mit rund 900 Wohneinheiten erschlossen wurde, gab es viele Jahre Diskussionen um die vorgeschriebenen Hecken und anderen Grünanlagen. Es ging auch um zu viel Versiegelung – und um Schotterflächen statt der vorgeschriebenen Begrünung.

Allerdings lag der Fokus der Probleme damals zunächst auf den Pflanzstreifen, die die Stadt den Grundstückskäufern verpflichtend in die Verträge geschrieben hatte. Weil sich viele nicht daran hielten oder von der Stadt gepflanzte Heckenstreifen sogar ummähten, schickte die Verwaltung ab 2011 eine Gärtnerin durch den Kerksiek, um die Verstöße zu protokollieren. Die umstrittene Praxis, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen auf die Häuslebauer abzuwälzen, wurde nach massiver Kritik allerdings schon vor Jahren abgeschafft.

Auch Versiegelung ist kein neues Thema in Wolfsburger Baugebieten

Nicht gerüttelt wurde dagegen an der Grundflächenzahl, die vorschreibt, wie viel vom Baugrundstück maximal bebaut oder anderweitig versiegelt werden darf. Im Kerksiek im Quellenschutzgebiet gilt die GRZ 0,25. Das wollte eine Bürgerinitiative kippen und forderte eine GRZ von 0,3. Doch damit kamen die Kerksiek-Nachbarn nicht durch.

Nun also die Schottergärten. Unsere Zeitung bat die Stadt um Stellungnahme zu der vielen Kritik und den teils falschen Behauptungen. Die Verwaltung verweist zunächst darauf, dass „Regelungen zur Begrenzung der Versiegelung auf Baugrundstücken“ schon seit langem existieren: „So enthält das Bauordnungsrecht explizit die Forderung nach einer Grünflächengestaltung von Flächen, die nicht für eine Überbauung oder Erschließung gebraucht werden.“

In den von Beginn an betreuten Gebieten werden regelmäßig Kontrollfahrten auf offensichtliche Verstöße durchgeführt, um Fehlentwicklungen bestenfalls schon in der Bauphase zu korrigieren.
Jan-Niklas Schildwächter, Stadt Wolfsburg, Pressestelle

Stadt Wolfsburg gibt Grundstückskäufern Mappe mit Hinweisen

Die Stadt betont: „Um unnötigen Versiegelungen in Wolfsburg zu begegnen, setzen wir als Stadt sowohl auf Prävention, auf Anreize – wie zum Beispiel den aktuellen Wettbewerb ,Naturnahe Gärten und Balkone‘ –, als auch auf Kontrollen.“ So gebe es eine Mappe, die unter anderem Hinweise zu steinernen Gärten, dem zulässigen Maß der Überbauung/Versiegelung oder zur Einfriedung auf Basis von örtlichen Bauvorschriften enthalte. Auf der Stadt-Homepage ist sie zu finden unter www.wolfsburg.de/newsroom/2020/10/15/08/41/gartengestaltung.

„Wer sich bei seiner Gartengestaltung in diesem Rahmen bewegt, ist auf der sicheren Seite“, informiert Jan-Niklas Schildwächter von der Stadt-Pressestelle. Bei den jüngsten Baugebieten sei diese Info-Mappe allen Häuslebauern persönlich übergeben worden, mit Erläuterung der Vorgaben. „In diesen von Beginn an betreuten Gebieten werden regelmäßig Kontrollfahrten auf offensichtliche Verstöße durchgeführt, um Fehlentwicklungen bestenfalls schon in der Bauphase zu korrigieren.“

Auch ein kleiner Schottergarten ist laut Stadt ein Verstoß

Parallel dazu hat die Stadt mit der Kontrolle bestehender Baugebiete begonnen. „Dazu fanden Ortsbesichtigungen statt und Verstöße wurden dokumentiert“, berichtet der Pressereferent. Dann würden die Grundstückseigentümer angeschrieben und zur Behebung des Verstoßes aufgefordert. „Die Verstöße sind mit unterschiedlicher Größe festgestellt worden, auch ein kleiner Schottergarten stellt einen Verstoß dar“, erläutert Schildwächter.

Wichtige Kriterien sind demnach die Intensität einer Bepflanzung auf der Fläche und ob eine Abdichtung des Untergrunds besteht. Es handele sich zunächst um eine wertende Betrachtung des Einzelfalls, der aber einem allgemeinem Gleichbehandlungsgrundsatz unterliege.

Einschreiten ist kein „Wolfsburger Instrument“

„Die aktuelle Rechtsprechung gibt hier Orientierung und fließt mit in die Ermessensentscheidung ein“, stellt Schildwächter klar. „Ein Einschreiten bezüglich Schottergärten unsererseits erfolgt auf Basis der Niedersächsischen Bauordnung und ist somit kein ,Wolfsburger Instrument‘. Umliegende Bauaufsichtsbehörden gehen ähnlich vor.“ Es könne zum kostenpflichtigen Verfahren zum Rückbau des baurechtswidrigen Zustandes kommen.

Neben den Begehungen gibt es nach Angaben des Pressereferenten auch immer mal wieder Hinweise aus der Bevölkerung auf mögliche baurechtliche Verstöße. „Dazu gehören auch Hinweise auf zu intensiv versiegelte oder bebaute Grundstücke. Hier erfolgt dann eine objektive Überprüfung vor Ort.“

Das steht in der Niedersächsischen Bauordnung

Laut § 9 Absatz 2 der Niedersächsischen Bauordnung müssen die nicht überbauten Flächen von Baugrundstücken Grünflächen sein, soweit diese nicht für eine andere zulässige Nutzung erforderlich sind. Darauf weist die Stadt Wolfsburg Grundstückskäufer und Hausbesitzer seit Jahren hin. So ist dieser Hinweis bespielsweise auch im Faltblatt mit dem Titel „Gartengestaltung in der Stadt Wolfsburg – Ihr Beitrag zur ökologischen Vielfalt und zum Klimaschutz“ zu finden.

In dem Flyer gibt die Stadt auch diesen Hinweis zum Thema Versiegelung und Grundflächenzahl: „Schotterflächen gelten als befestigte Flächen. Daher müssen sie in der GRZ 2 berechnet werden!“

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