Wolfsburg. Herbert Diess’ Lust an der Provokation wird Wolfsburg in Erinnerung bleiben – und nicht nur sie.

Die Nachricht, dass Volkswagen-Chef Herbert Diess abtritt, kam am Freitag mehr als überraschend – sie stürzt Wolfsburg aber nicht in Verzweiflung.

„Gott sei Dank“, „Kein Verlust!“, kommentierten User auf unseren Seiten, und die Reaktionen aus Politik und Wirtschaft fallen eher höflich als herzlich aus.

„Ich danke Herrn Diess dafür, dass er den Weg zur Elektromobilität vehement beschritten hat. Jedoch hatte ich das Gefühl, dass er nicht ganz im Unternehmen und seiner besonderen Kultur angekommen war“, schrieb die Wolfsburger Landtagsabgeordnete und SPD-Unterbezirksvorsitzende Immacolata Glosemeyer am Freitagabend.

Herbert Diess als Provokateur

Der Wolfsburger Bundestagsabgeordnete und Ratsherr Falko Mohrs (ebenfalls SPD) erklärte, Provokation sei Teil von Diess’ Kultur gewesen. „Nach innen und außen, er hat sich Diskussionen offensiv gestellt.“

Auch der CMT- und Handelsbeiratsvorsitzende Michael Ernst hob auf die Meinungsfreude des scheidenden Volkswagen-Vorstandsvorsitzenden ab: „Diess war zuletzt sehr präsent in der Stadt und hatte eine starke Meinung zu Themen in Wolfsburg, dies war wichtig für die Stadt“, so Ernst. „Oliver Blume ist aus unserer Region und wird sicherlich einen ebenso starken – wenn nicht noch stärkeren – Bezug zu Wolfsburg und die Region haben.“

Kritische Abschiedsworte von den Jusos

Für den stellvertretenden Juso-Vorsitzenden Ilario Ricci kommt vor allem der Zeitpunkt des Diess-Abschieds überraschend. „Herr Diess hat es leider nicht geschafft, die Belegschaft hinter sich zu bringen“, meint er.

„Nur als Team kann der Volkswagen-Konzern in eine erfolgreiche Zukunft starten“, so Ricci. Diess-Nachfolger Oliver Blume bringe hoffentlich „den nötigen Stallgeruch und das benötigte Fingerspitzengefühl“ mit.

Die Linke wünscht augenzwinkernd „viel Erfolg bei Tesla“

Mit einem Augenzwinkern wünscht der Kreisverband der Partei Die Linke dem scheidenden Vorstandsvorsitzenden „viel Erfolg bei Tesla“. Für die Produktionsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen berge der Abtritt einen kleinen Hoffnungsschimmer, meint die Vorsitzende Bernadette Kersten.

„Zu viel wurde unter dem Slogan Effizienz auf eben deren Rücken ausgetragen. Fehlplanungen rund um die Kurzarbeit krönten diese Herrschaft samt der Auflösung einer Schicht in der Fertigung 1.“ Diess bleibt Volkswagen laut einem dpa-Bericht bis 2025 als Berater erhalten.

Hoffnung, dass Wolfsburg „nicht mehr nur als Konzernsitz“ gesehen wird

Zu einer durchwachsenen Bewertung von Diess’ Wirken kommt der Ratsherr Stefan Kanitzky (Fraktion FDP/Volt). „Herr Diess war durch seinen Weitblick maßgeblicher Initiator und Treiber der Transformation auf dem ,Way to Zero’ Volkswagens und hat sich klar zu den europäischen Umweltzielen bekannt und diese unterstützt“, erklärt er. „Auch beim Thema Stadtentwicklung war Herr Diess, insbesondere beim Nordkopf, sehr engagiert, allerdings immer nur aus der Perspektive des Konzerns.“

Durch die regionale Verbundenheit Oliver Blumes sieht Kanitzky „die Chance, dass der Austausch in Zukunft mehr auf Augenhöhe stattfindet und die Stadt durch den Vorstandsvorsitzenden nicht mehr nur als Konzernsitz gesehen wird“.

Herbert Diess als Verfechter der Elektromobilität

Oberbürgermeister Dennis Weilmann (links) und VW-Chef Herbert Diess bei der Feier des 84. Stadtgründungstages.
Oberbürgermeister Dennis Weilmann (links) und VW-Chef Herbert Diess bei der Feier des 84. Stadtgründungstages. © regios24 | Helge Landmann

Immer wieder würdigten Vertreter aus der Politik am Freitag den Einsatz von Herbert Diess für die Elektromobilität und die in seiner Zeit gefallene Entscheidung für Wolfsburg als Trinity-Standort.

„Er hat die Transformation des Unternehmens in den vergangenen Jahren maßgeblich vorangetrieben und Volkswagen mit seiner klaren Ausrichtung erfolgreich in Richtung E-Mobilität entwickelt“, erklärte Oberbürgermeister Dennis Weilmann. Wie Weilmann dankte der CDU-Kreisvorsitzende Christoph-Michael Molnar Diess für sein Engagement bei Volkswagen. „Seine klare Ausrichtung in Sachen E-Mobilität und natürlich die für Wolfsburg äußerst wichtige Trinity-Entscheidung bleiben für mich, neben einigen persönlichen Begegnungen, in positiver Erinnerung“, so Molnar.

Mit Diess wurden Trinity und Campus Sandkamp initiiert

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Frank Richter lobte, dass mit Diess gute Projekte für den Standort Wolfsburg initiiert worden seien. „Sowohl die neue Trinity-Fabrik als auch der Campus Sandkamp sind eine Zukunftssicherung der Beschäftigten am Standort Wolfsburg.“ Auch über die Ausrichtung auf alternative Antriebsformen freuten sich die Grünen.

Dass das Verhältnis zum Betriebsrat nicht konfliktfrei gewesen sei, sei bekannt, so Richter. „Welche Gründe im Einzelnen jedoch zum Rücktritt von Herrn Diess geführt haben, wäre für mich rein spekulativ.“ Dass Diess’ Nachfolger Oliver Blume aus der Region kommt, wertet Richter – wie andere Wolfsburger Politiker – als positives Signal. Als „Volkswagen-Gewächs“ sei der Neue an der Spitze auch mit den Gepflogenheiten im Unternehmen bestens vertraut.

Freundliche Begrüßung für Konzern-Kenner Oliver Blume

Porsche-Vorstandsvorsitzender Oliver Blume wird Herbert Diess ablösen.
Porsche-Vorstandsvorsitzender Oliver Blume wird Herbert Diess ablösen. © picture alliance/dpa | Marijan Murat

Oberbürgermeister Dennis Weilmann gratulierte Blume „ganz herzlich“ zur neuen Aufgabe als Konzern-Chef von Volkswagen. „Er ist ein Kind unserer Region mit weltweiter Erfahrung in der Automobilbranche. Damit bringt er beste Voraussetzungen mit, um den Konzern Volkswagen in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Ich freue mich, Oliver Blume demnächst wieder in Wolfsburg willkommen heißen zu dürfen“, so Weilmann.

Immacolata Glosemeyer hob hervor, dass Blume ein Kenner des Konzerns und in der Region verwurzelt sei. „Ich bin mir sicher, dass er ein verlässlicher Partner bei der Gestaltung des Wandels ist“, so die Landtagsabgeordnete. Jetzt müsse „mit Vollgas“ daran gearbeitet werden, mit Trinity in Sachen Elektromobilität die Nummer Eins in Europa zu werden.

PUG: Diess hat Beitrag zur Zukunft des Wirtschaftsstandortes geleistet

Die PUG würdigt die Verdienste von Herbert Diess: „Dr. Herbert Diess hat für den Konzern den Transformationsprozess hin zur Elektromobilität stark vorangetrieben“, schreibt der Vorsitzende Andreas Klaffehn in einem am Samstag versandten Statement.

„Aus Wolfsburger Sicht hat er die Marke Volkswagen sehr stark mitgeprägt und mit der Entscheidung, das Trinity-Werk in Wolfsburg anzusiedeln, einen wesentlichen Beitrag zur Zukunft der Stadt Wolfsburg als Wirtschaftsstandort geleistet.“ Damit habe Diess auch seine besondere Verbundenheit zur Region und ihren Menschen gezeigt.