Velpke. Im Paul-Wilhelm-Kraul-Heim des DRK in Velpke hat es offenbar über einen längeren Zeitraum hinweg erhebliche Mängel in der Pflege gegeben.

Angehörige aktueller und ehemaliger Bewohner des DRK-Seniorenwohn- und Pflegeheims sowie Ehrenamtliche berichteten unserer Zeitung von gravierenden Defiziten in der Pflege und Betreuung von Bewohnern sowie von schlimmen hygienischen Verhältnissen. Bei einem Ortstermin mit unserer Redaktion am Freitag nahmen die Leiterin des Fachbereichs Pflege, Stefanie Weinert, und der Vorstandsvorsitzende des DRK-Kreisverbandes Helmstedt, Christian Schmidt, ausführlich Stellung zu den Vorwürfen.

Die beiden Verantwortlichen bestätigten vorübergehende Personalengpässe und zeitweilige Probleme mit einer Reinigungsfirma, zeigten sich aber auch überrascht. „In dieser Massivität sind Beschwerden nie an uns herangetragen worden“, betonte Schmidt. Dabei stehe man ständig im Dialog mit Heimleitung, Angehörigen und Bewohnern.

Die Heimaufsicht, angesiedelt beim Landkreis Helmstedt, hat auf unsere Anfrage hin Mängel in dem Velpker Heim bestätigt. Welcher Art sie waren, blieb aus Datenschutzgründen unbeantwortet. An einer Kontrolle am 10. und 11. Juli im Velpker Heim, ausgelöst durch eine anonyme schriftliche Beschwerde, sei auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen Niedersachsen (MDKN) beteiligt gewesen, so der Landkreis.

Zu den Beschwerdeführern, die sich an die Helmstedter Nachrichten gewandt haben, gehören die Angehörigen Brigitte Donner, Manfred Heitmann und Martina Beinlich. Ihre Liste der Kritik ist lang. Einige Punkte haben sie fotografisch dokumentiert. Die Aufnahmen zeigen etwa einen mit Kot beschmutzten menschlichen Körper, schmutzige Bettwäsche, eine aus der Steckdose gezogene Notfallklingel, einen schmutzigen Zimmerboden, ein nicht ausgefülltes Pflegeprotokoll. Bewohner seien, so die Vorwürfe, abgesehen von der Trockenpflege längere Zeit nicht gewaschen oder geduscht worden. Von vertauschten oder überhaupt nicht genommenen Medikamenten ist zudem die Rede.

Die Heimaufsicht habe nach der Feststellung von Mängeln ein Beratungsgespräch mit dem DRK geführt, teilte uns der Landkreis mit. Dabei sei die Anordnung eines Aufnahmestopps für die gesamte Velpker Einrichtung in Erwägung gezogen worden. er MDKN habe nach der Kontrolle im Juli einen Aufnahmestopp für das gesamte Haus in Velpke angedroht, teilte uns die Heimaufsicht mit. Man habe sich schließlich darauf verständigt, dass das DRK freiwillig im gesamten Heim keine neuen Bewohner aufnimmt.

Weder Heimaufsicht noch DRK bestätigen die Mängel der Beschwerdeführer in der genannten Form. Tatsächlich habe es ab Mitte Juli Mängel in der Hygiene gegeben, räumten Stefanie Weinert und Christian Schmidt am Freitag ein. Der Grund: ein Wechsel der Reinigungsfirma zum 1. August. Nach erfolgter Kündigung durch das DRK sei die Vorgängerfirma ihren Verpflichtungen nicht mehr gerecht geworden. Diese Probleme hätten sich durch den Wechsel erledigt.

Eine unglückliche Situation, so die DRK-Vertreter, sei durch die Verzögerung des Neubaus entstanden. „Wir hatten schon mit Renovierungen im Altgebäude begonnen, um dies ebenfalls aufzuwerten, und wollten das nicht mittendrin stoppen. Dadurch entstand für die Bewohner zeitweilig ein gewisses Chaos und wir haben uns dafür entschuldigt“, erklärte Schmidt.

Dreh- und Angelpunkt ist ­-- wie in vielen Pflegeheimen – die Qualität und die Anzahl des Personals. Mit der Eröffnung des Anbaus sei das DRK in Velpke sehenden Auges in die Katastrophe marschiert, lautet ein Vorwurf der Beschwerdeführer. Die Personaldecke sei einfach zu dünn gewesen. Das DRK räumte das am Freitag ein. Im Zuge der Inbetriebnahme des Anbaus sei es im Mai und Juni durch die vermehrte Aufnahme von Bewohnern zu einer Personalunterdeckung gekommen.

Im März hatte das DRK den Anbau für die Schwerstpflege in Betrieb genommen. Dort finden bis zu 44 Menschen einen Platz. Bis dahin war die Kapazität des Hauses mit 60 Bewohnern ausgeschöpft. Derzeit leben 80 Menschen in der Einrichtung. Anfang 2019, so Christian Schmidt, wolle man das Heim voll auslasten. „Wir müssen schließlich kostendeckend arbeiten.“

Weinert und Schmidt beschönigen nichts. Mit Personalproblemen hätten viele Häuser zu kämpfen, der Arbeitsmarkt sei leergefegt. Es komme immer öfter vor, dass sich Betreiber die Mitarbeiter mit Prämien gegenseitig abjagen würden. Gemäß Personalschlüssel, unter anderem errechnet aus Bewohnerzahl und deren individuellen Pflegegraden, liegt das Haus in Velpke nach Worten von Stefanie Weinert aktuell eine halbe Stelle über dem Soll, und: „Wir sprechen die weitere Entwicklung mit der Heimaufsicht ab“, betonte Weinert. Das heißt: Neue Bewohner ziehen erst dann und sukzessive ein, wenn dafür ausreichend Personal zur Verfügung steht.

Das kommt übrigens aus der gesamten Region. Zur Zeit sind noch drei Kräfte eines Personaldienstleisters in Velpke beschäftigt. Um die größte Not zu lindern, hatte das DRK fünf solcher Kräfte vertraglich an sich gebunden. Sie würden nun Stück für Stück durch eigenes Personal ersetzt.

Christian Schmidt betrachtet die Entwicklung in der Pflege mit einiger Sorge. Mehr und mehr Pflegeheimketten drängten auf den Markt: Pflege als lukratives Geschäft in Form einer Gewinnschöpfungskette. „Das DRK hat ein anderes Selbstverständnis. Als Wohlfahrtsverband sind wir gemeinnützig“, so Schmidt. Dennoch: Pflege koste, und auch die Wohlfahrtsverbände müssten überlegen, wie sie ihrem Anspruch und dem steigenden Bedarf angesichts des wirtschaftlichen Drucks gerecht werden können.

Am 3. September habe sich das Gesundheitsamt das Haus angesehen und ihm einen ansprechenden und sauberen Zustand bescheinigt, erklärte das DRK schriftlich. Bei einem Angehörigenabend am 30. August habe man sich für die Probleme entschuldigt. Die jährlichen Überprüfungen durch den MDKN hätten dem Heim in Velpke im übrigen stets eine sehr gute Pflegequalität bescheinigt.