Wolfenbüttel. 358 Personen bewerten im Fahrradklimatest die Radverkehrssituation in Wolfenbüttel und geben der Stadt die Gesamtnote 3,7.

Eher Stillstand als notwendiger Fortschritt bei der Entwicklung der fahrradfreundlichen Kommune Wolfenbüttel: So lässt sich das Ergebnis des Fahrradklimatests zusammenfassen, das jetzt vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Zur Erinnerung: Von September bis November 2020 konnten die Wolfenbütteler Fahrradfahrer über das Fahrradklima, also die Zufriedenheit mit der Radverkehrssituation in Wolfenbüttel, per Fragebogen abstimmen. Laut ADFC haben sich 358 Personen beteiligt. Das Ergebnis aller Rückmeldungen liegt im Schulnotensystem bei 3,7 und damit bei einer geringfügigen Verschlechterung um eine Zehntelnote gegenüber 2018. Seit 2012 (Gesamtnote 3,6) hat sich somit kaum etwas in der Gesamtbeurteilung der Fahrradstadt Wolfenbüttel geändert. Im Ranking von Städten vergleichbarer Größenordnung, also von 50.000 bis 100.000 Einwohner, liegt Wolfenbüttel bundesweit auf Platz 21 von 110 Orten. Ganz vorne ist Nordhorn an der holländischen Grenze. Zum Gesamtergebnis bemerkte ADFC-Kreisvorstand Thilo Neumann: „Das Ergebnis verwundert nicht, weil es in den letzten zwei Jahren kaum merkbare Verbesserungen für den Radverkehr in Wolfenbüttel gegeben hat.“

Die schlechtesten Werte sind mit der Note 4,8 die Breite der Wege für Radfahrer, mit 4,7 die Falschparkerkontrolle auf Radwegen, mit 4,6 die Fahrradmitnahme im öffentlichen Personennahverkehr sowie mit 4,6 öffentliche Fahrräder, etwa Verleih von Rädern.

Die meisten Verschlechterungen in den Abstimmungen der örtlichen Radfahrer betreffen das Sicherheitsempfinden der Fahrradfahrenden. Die Bewertung, die mit 0,4 am deutlichsten nach unten gegangen ist, die Breite der Radwege. Dazu bemerkte Neumann: „Die Radwege sind zwar nicht schmaler geworden, sie müssen aber deutlich mehr Radfahrende aufnehmen und zusätzlich noch die ,neuen’ eScooter. Außerdem werden mit der Verbreitung von Pedelecs zunehmend unterschiedliche Geschwindigkeiten auf den Radverkehrsanlagen gefahren.“

Und eine besondere Chance hat die Fahrradstadt Wolfenbüttel auch nicht wahrgenommen. Die mit dem Fahrradklimatest 2020 verbundene Corona-Sonderauswertung zeigt klar, dass Wolfenbüttel die Chancen nicht genutzt hat und nicht auf den gestiegenen Radverkehr reagiert hat. Neumann: „Wir hatten beispielsweise schon im Sommer 20 darauf hingewiesen, dass im Umfeld von Schulen mehr Sicherheitsbereiche geschaffen werden sollten, damit fahrradfahrende Schüler weniger durch Elterntaxis gefährdet werden. Unternommen wurde aber nichts.“ Mehr Werbung für das Radfahren zur Schule hätte während der Corona-Pandemie auch für eine Entlastung der Schulbusse gesorgt. Ähnliche Vorschläge wie vom ADFC seien später auch von der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen Niedersachsen/Bremen gekommen, in der Stadt und Landkreis Wolfenbüttel Mitglied sind.

Aber nicht alles ist schlecht in Wolfenbüttel. Die besten Werte sind mit Note 2,1 die Erreichbarkeit des Stadtzentrums per Rad, mit 2,2 die große Anzahl der in Gegenrichtung geöffneten Einbahnstraßen, mit 2,3 die Möglichkeit, in der Stadt zügig Rad zu fahren sowie mit 2,6 die Wegweisung für Radfahrer. Und auch die Abstellanlagen für Fahrräder wurden positiv bewertet.

Insgesamt habe es Wolfenbüttel nicht geschafft, dem bundesweiten positiven Trend zur Nutzung des Fahrrades als klimafreundliches Verkehrsmittel ein entsprechendes infrastrukturelles Angebot entgegenzusetzen, kritisierte Neumann. Die für 2021 geplanten Maßnahmen wie etwa der Lückenschluss Schweigerstraße, die Erneuerung der Schäferbrücke und die Errichtung der Fahrraddauerabstellanlage am Bahnhof seien zwar wichtig und richtig, würden nach Ansicht des ADFC aber nicht dazu führen, „dass Radfahrende insgesamt eine Verbesserung der Radverkehrsstruktur wahrnehmen“. Dazu wäre nach Ansicht des örtlichen ADFC-Vorstandes eine Forcierung des Radverkehrs beispielsweise durch ein Netz aus Fahrradstraßen, welches ein sicheres und komfortables Vorankommen mit dem Fahrrad ermöglicht, notwendig. Aber auch die zu schmalen oder schlechten Radwege am Neuen Weg, der Adersheimer oder der Frankfurter Straße müssten laut Neumann mal angegangen werden. Hinzu kommen noch die als bedrohlich wahrgenommenen Situationen zum Beispiel an der Hauptstraße in Stöckheim oder die Schutzstreifen auf der Salzdahlumer Straße und im Kalten Tal. Beide Bereiche seien von hoher Dringlichkeit, denn über diese Verbindungen würden wichtige Ziele, speziell Supermärkte sowie Bildungseinrichtungen, erreicht.

Neumanns abschließender Fazit lautet: „In vielen Bereichen der Stadt ist eine Neuverteilung der Verkehrsräume notwendig, die eine Mobilitätswende - hin zu umweltfreundlichen Verkehrsträgern - begünstigt.“ Diese Einschätzung teilt auch eine neue Bewegung in Wolfenbüttel, die sich den Namen „Wolfenbüttel bewegen“ gegeben hat. In deren Arbeitsprogramm heißt es wörtlich: „So können Stadt und Landkreis Wolfenbüttel jetzt und in Zukunft noch attraktiver für das Fahrrad als umweltschonende, zukunftsträchtige Mobilitätsform werden.“