Wolfsburg. . Großbritannien ist für die deutsche Autoindustrie ein großer und lukrativer Markt – bisher. Das könnte sich bei einem Austritt ohne Abkommen ändern.

Rund 20 Prozent der deutschen Autoexporte gehen nach Großbritannien. Bei einem harten Brexit, also einem Austritt aus der EU ohne Abkommen, wären der Unternehmensberatung Deloitte zufolge etwa 18.000 Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie gefährdet. „Das ist nicht etwas, das positiv ausgeht“, sagt Branchenexperte Stefan Bratzel von der Fachhochschule Bergisch Gladbach.

Fast jeder dritte Neuwagen auf der Insel kommt aus Deutschland. Allein BMW, Mercedes und Audi haben dort im vergangenen Jahr 550.000 Autos verkauft. Eine starke Firmenwagenkultur und niedrige Steuern machten die Briten sehr empfänglich für Premiumangebote, erklärt Arthur Kipferler von der Unternehmensberatung Berrylls.

Ja, auch. Bei einem harten Brexit kassieren Großbritannien und die EU für Autos 10 Prozent, für Teile 4,5 Prozent Zoll. Mitunter fallen Zölle mehrfach an. Beispiel: Ford fertigt in England Dieselmotoren, baut sie in Köln und Saarlouis in Focus- und Fiesta-Autos ein und schickt einen Großteil der Fahrzeuge wieder über den Ärmelkanal: „Großbritannien ist unser stärkster Markt in Europa. Jeder dritte Fiesta geht nach Großbritannien“, sagt ein Unternehmenssprecher. „Wir müssen zwei Mal Zoll zahlen“.

Die Autoindustrie in der EU importiert für 3,7 Milliarden Euro jährlich Teile von Zulieferern in Großbritannien, so der britische Branchenverband SMMT. Bald müssten am Ärmelkanal täglich 11.000 Lastwagen kontrolliert werden. Der Toyota-Europachef und SMMT-Vizepräsident Tony Walker beklagte, das Chaos an der Grenze unterbreche die Just-in-time-Lieferungen. Die Kosten steigen, es gibt neue Vorschriften und Standards, Steuern und Lieferketten müssen neu kalkuliert werden. Facharbeiter aus der EU bangen um ihre Arbeitserlaubnis. Und das Pfund hat seit dem Brexit-Votum 2016 fast 10 Prozent an Wert eingebüßt.

„Das wird Absatzzahlen und Marge kosten“, sagt Bratzel. Deloitte- Chefökonom Alexander Börsch sagt: „Für Autos aus Deutschland müssten die Briten im Durchschnitt 5600 Euro mehr zahlen, weil die deutschen Autobauer mehr teure Autos auf die Insel exportieren. Allerdings sind die Käufer dieser Premium-Autos weniger preisempfindlich.“

Auch VW-Manager Ralf Brandstätter hat schon angekündigt: „Wir müssen dann über höhere Preise sprechen.“ Sonst bringt nach Berechnung der Unternehmensberatung Berylls ein nach England exportierter VW Golf gut 5000 Euro Verlust statt heute rund 1500 Euro Betriebsgewinn. Ein in England gebauter und in die EU exportierter Nissan Quashqai bliebe dagegen weiter in der Gewinnzone.

Bratzel sagt, am stärksten betroffen wären die Autobauer, die in England produzieren, wie Ford, Opel-Vauxhall und der BMW-Konzern, der jährlich 230.000 Minis in England baut. Mehrere japanische Autokonzerne bauen in Großbritannien Autos für den EU-Markt. Aber Honda schließt jetzt sein Werk dort, Nissan verlagert Produktion. „Der Standort blutet aus“, sagt Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Denn alle hingen ab von Zulieferern in der EU. Jeder werde versuchen, aus England wegzugehen und Produktion etwa in Osteuropa anzusiedeln. So könnte der Brexit langfristig 30.000 Arbeitsplätze in der britischen Autoindustrie kosten.

Wie ist VW als Marktführer in Großbritannien betroffen?

Der VW-Konzern verkauft knapp 5 Prozent seiner Autos im Königreich. „Die Verkäufe werden nicht in Grund und Boden gehen“, sagt Dudenhöffer. Der chinesische Markt sei für VW „um Lichtjahre bedeutender“. Der Brexit sei für VW „verdaubar“.

Ja. Die Autoproduktion in GB ist im vergangenen Jahr um 7 Prozent gesunken. Laut SMMT hat ein Drittel der Autohersteller auf der Insel Investitionen verschoben oder gestrichen, zehn Prozent haben bereits Kapazitäten ins Ausland verlagert oder Stellen gestrichen .

Laut Deloitte plant ein Dutzend deutscher Unternehmen aus der Branche, Produktionstätten zu verlagern. Mehrere rechnen bei einem harten Brexit mit Stellenabbau in Deutschland.

Autobauer in den USA oder Asien dürften Marktanteile auf Kosten der Konkurrenten in der EU gewinnen, ebenso wie Hersteller, die in Großbritannien für Großbritannien produzieren. „Abwertung und Zölle treffen sie nicht, aber die Konkurrenz wird teurer“, sagt Börsch. „Wenn Hersteller jedoch für Großbritannien und für den Export in die EU produzieren, kann man schon kaum mehr sagen, ob sie Gewinner oder Verlierer sind.“ dpa