Berlin. Das Elterngeld könnte gedeckelt werden. Eine Gefahr für die Gleichberechtigung? Kaum, meint Soziologin Kim Bräuer. Die Pläne hätten ihr Gutes.

Die Bundesregierung plant, Paaren mit hohem Einkommen künftig kein Elterngeld mehr zu zahlen – konkret ab einem gemeinsamen zu versteuernden Einkommen von 150.000 Euro. So zumindest steht es im vorgelegten Haushaltsplan. Verabschiedet wird dieser im Dezember.

Wie es also am Ende kommt, ist noch offen. Doch so viel steht fest: Aktuell erntet die Ampelkoalition für ihre Pläne viel Kritik. Die Väterforscherin Kim Bräuer, Professorin für Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule Schleswig-Holstein, sieht jedoch die Regierungspläne weit weniger skeptisch und kann ihnen durchaus Positives abgewinnen, wie sie im Interview erklärt.

Frau Bräuer, was war Ihr erster Gedanke, als Sie von der Elterngelddebatte erfahren haben?

Kim Bräuer: Ich musste sofort an unsere Väterstudie aus diesem Jahr denken und finde, dass die Debatte von vielen emotional aus dem Bauch heraus geführt wird. Denn die meisten Väter, die wir befragt haben, haben angeben, dass sie gar nicht aus finanziellen Gründen so kurz Elternzeit genommen haben – insbesondere Männer mit höherem Einkommen.

Und das finde ich mit Blick auf die Geschlechtergerechtigkeit ganz relevant. Ich glaube nicht, dass sich dieses Ungleichgewicht durch den Wegfall des Elterngeldes für die oberen Gehaltsgruppen drastisch verschiebt – ein großes Problem für die Gleichstellung sehe ich darin nicht.

Wie stark sind die Geschlechterunterschiede bei der Elternzeit aktuell?

Bräuer: Im Schnitt nehmen Väter 3,3 Monate Elternzeit. Das zeigen mehrere Studien genauso wie die Zahlen des Bundesfamilienministeriums. Der Rest wird in der Regel von der Mutter genommen. Und das bei Gutverdienern eben nicht wegen des Geldes oder weil die Väter keine Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen, sondern weil sie Angst haben um ihre berufliche Zukunft. Ihnen fehlt das Vertrauen, dass eine Elternzeit auch von ihren Arbeitgebern wirklich gewollt ist.

Das Elterngeld wurde 2007 auch genau mit dem Ziel eingeführt, Väter zu ermutigen, eine berufliche Auszeit für die Kindererziehung zu nehmen …

Bräuer: Dass das nicht wirklich gut geklappt hat, zeigt, wie schwer es von politischer Seite ist, am gesellschaftlichen Ungleichgewicht etwas zu ändern. Hier müsste man primär auf betrieblicher Ebene ansetzen, um mit Blick auf die Gleichstellung von Vätern und Müttern wirklich etwas zu verändern.

Das könnten zum Beispiel Boni sein, die Unternehmen ihren Mitarbeitern zahlen, die länger in Elternzeit gehen – auch damit ihre Partnerinnen schneller wieder ins Berufsleben einsteigen können.

Soziologin Kim Bräuer sieht dringenden Handlungsbedarf bei der Überlastung von Eltern mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Sozialleben.
Soziologin Kim Bräuer sieht dringenden Handlungsbedarf bei der Überlastung von Eltern mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Sozialleben. © DHSH

Warum sollten Firmen für Mitarbeiter, die als Arbeitskraft wegfallen, auch noch Geld ausgeben wollen?

Bräuer: Um zu zeigen, dass sie Wert auf zufriedene Angestellte legen, die Väter sind, und es sich bei ihren Gleichstellungszielen nicht nur um leere Worthülsen handelt. Zudem sorgen sie dadurch für weniger frustrierte Mitarbeitende. Außerdem wissen wir, dass eine Reintegration von Müttern ins Berufsleben schwerer fällt, je länger sie draußen waren. Auch das sollten Arbeitgeber bedenken.

Gibt es neben entsprechenden Firmenboni weitere Ideen?

Bräuer: Ich schiele hier auch immer gerne nach Schweden und deren Belohnung einer Pari-pari-Aufteilung. Wenn sich Paare die Elternzeit gleichmäßig aufteilen, wird das finanziell zusätzlich belohnt. Genauso wäre es aber auch wichtig, bei geringen Einkommen für einen 100-prozentigen Lohnausgleich zu sorgen.

Denn in Familien mit geringem Einkommen ist das Gehalt des Vaters für die Versorgung der Familie besonders wichtig. Diese Väter haben daher keine andere Wahl, als durchgängig zu arbeiten. Auch das zeigen unsere Studien.

Kommt es also doch aufs Geld an?

Bräuer: Bei Familien mit geringem Haushaltseinkommen, ja. Deswegen finde ich es auch richtig – wenn schon gespart werden muss –, lieber das Elterngeld bei finanziell abgesicherten Familien zu kürzen und den Fokus auf die Kindergrundsicherung als Zeichen gegen Kinderarmut zu legen. Wer mehr verdient, profitiert ohnehin an anderer Stelle, etwa bei Zuschüssen beim Heizungstausch, bei der Eigenheimförderung. Hier ist die Liste lang.

Generell spielt der finanzielle Aspekt bei der Entscheidung, Kinder zu bekommen, keine zentrale Rolle. Mit dem Blick auf aktuelle Studien halte ich es für unwahrscheinlich, dass sich jemand in finanzieller Sicherheit wegen 1800 Euro grundsätzlich gegen Kinder entscheidet. Dass es immer unbeliebter wird, Kinder zu bekommen, liegt an ganz anderen Faktoren – und die sind viel bedeutender und sollten uns alle in Sorge versetzen.

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    Welche Faktoren sind das?

    Bräuer: Hier geht es um eine gute öffentliche Kinderbetreuung, um berufliche Ansprüche, dem Wunsch beider Elternteile zu arbeiten. Es geht um Überlastung mit Blick auf Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Sozialleben. Hier besteht wirklich dringender Handlungsbedarf.

    Studien zeigen aber noch weitere wichtige Gründe: Gerade junge Menschen entscheiden sich wegen des voranschreitenden Klimawandels und gesellschaftlicher Unsicherheiten gegen Kinder – nicht aus finanziellen Gründen.

    Sind die möglichen Einschnitte beim Elterngeld andererseits nicht aber auch Zeichen mangelnder Wertschätzung von Care-Arbeit?

    Bräuer: Klar, definitiv. Diese mangelnde Wertschätzung sowohl gesellschaftlich als auch von den Arbeitgebern war in unseren Befragungen ein großes Thema. In der aktuellen Debatte sehe ich aber eher ein Abwägen, an wen die begrenzten Mittel verteilt werden – und Kinder aus der Armutsspirale zu holen, verringert die Folgekosten drastisch und ist auch mit Blick auf die Chancengleichheit aller immens wichtig.

    Gleichzeitig gibt es auch keine validen Studien, die darauf hindeuten, dass es durch die Elterngeldentscheidung zu Rückschritten bei Gleichstellung und Care-Arbeit kommen könnte. Und fairerweise muss man sagen, dass Care-Arbeit in den betroffenen Einkommensklassen oft ausgelagert wird, etwa an Haushalthilfe, Babysitterin oder Au-pair. Die Elternzeit selbst wird von entsprechenden Vätern gerne für Urlaub genutzt.

    Was müsste sich hier mit Blick auf mehr Gleichberechtigung tun?

    Bräuer: Es geht darum, welche Aufgaben Väter in der Elternzeit übernehmen, wie sie diese gestalten. Dass Eltern sich die Aufgaben – auch mit Blick auf die Zeit danach – gerecht aufteilen. Der Weg hin zu einer Kultur echter Gleichberechtigung ist wirklich noch weit. Und da ist es wahrscheinlich egal, ob das Elterngeld am Ende gedeckelt wird oder nicht.

    Aber klar: Die Menschen werden die Einsparungen spüren, und das wird sich nicht gut anfühlen. Das zeigt der Zulauf einer entsprechenden Petition. Dabei bräuchten aus meiner Sicht Familien in prekären Lebensumständen diese Aufmerksamkeit viel stärker.