Berlin. 9/10-Regel: Eine Neuregelung zum 1. August erleichtert Bürgern über 55 die Rückkehr zur gesetzlichen Kasse.

Im Alter steigen die Beiträge für privat Krankenversicherte oft stark an. Dann kann die monatliche Zahlung Männer und Frauen mit geringer Rente überfordern. Doch ein Wechsel in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist nur bis zum 55. Lebensjahr möglich. Ab dem 1. August können einige Rentner oder angehende Ruheständler doch noch auf eine Wechselmöglichkeit hoffen. Dann tritt eine Änderung im Sozialrecht in Kraft.

Kernstück ist ein neuer Passus in der sogenannten 9/10-Regelung. Danach darf ein Rentner dann in die gesetzliche Krankenversicherung eintreten, wenn er oder sie in der zweiten Hälfte seines Berufslebens zu 90 Prozent der Zeit Mitglied einer Krankenkasse war. Beispiel: Angenommen, das Erwerbsleben dauerte 40 Jahre. Die zweite Hälfte umfasste 20 Jahre. 9/10 davon sind
18 Jahre. Der Arbeitnehmer muss also 18 Jahre in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen sein. Neu ist, dass Kinder bei der erforderlichen Mitgliedszeit recht großzügig berücksichtigt werden.

Für jedes Kind, Stiefkind oder Pflegekind rechnet die Sozialversicherung künftig drei Jahre Mitgliedschaft an. „Das ist eine gute Nachricht für alle Rentner, die bisher viel Geld für ihre Krankenversicherung bezahlen mussten“, sagt die Präsidentin des Bundesverbands der Rentenberater, Marina Herbrich. Denn mit einem Wechsel von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung für Rentner (KVdR) könne viel Geld gespart werden.

Die Neuregelung betrifft Mütter und Väter, denn beide Elternteile erhalten pro Kind drei Jahre gutgeschrieben. In der Beispielrechnung müssten Eltern mit zwei Kindern nur noch zwölf Jahre freiwillig oder verpflichtet Kassenmitglied gewesen sein, um zur gesetzlichen Kasse zu wechseln. Wie viele Rentner die neue Regel nutzen werden, ist nicht bekannt. Entsprechendes Zahlenmaterial liege nicht vor, sagte eine Sprecherin des Spitzenverbands der Kassen.

Die Anrechnung der Kinderzeiten ist großzügig angelegt. Es kommt zum Beispiel nicht darauf an, dass Mütter oder Väter die Kinder selbst betreut haben. Auch wenn das Kind in den ersten drei Jahren nach der Geburt gestorben ist, werden die ganzen drei Jahre angerechnet. Auch dass die Erwerbstätigkeit für die Erziehung unterbrochen oder ein Kind erst nach dem 18. Lebensjahr adoptiert oder in Pflege genommen wurde, spielt keine Rolle.

Wichtig ist die Gesetzesänderung in einigen Fällen auch für Erwerbstätige, die kurz vor dem Ruhestand stehen. Sie sollten ausrechnen, ob die Wechseloption für sie infrage kommt. Laut Herbrich kann es sich in Einzelfällen lohnen, noch ein wenig mit dem Rentenantrag zu warten, wenn sich dadurch die 9/10 Voraussetzung erfüllen lässt. Liegt erst einmal ein Rentenbescheid vor, ist es zu spät. Ein laufender Antrag lässt sich jedoch noch zurückziehen. Hier raten Experten, einen Berater aufzusuchen. Das können private Rentenberater oder die Fachleute der Krankenkassen sein.

Das Gesetz sieht keine automatische Umstellung laufender Mitgliedschaften vor. „Das Antragsverfahren ist formlos“, erläutert Rentenberaterin Herbrich. Kopien der Geburtsurkunden der Kinder oder Nachweise zur Pflegeelternschaft oder Adoption reichen demnach aus. Damit wenden sich freiwillig Versicherte an ihre Krankenkasse. Privat Versicherte suchen sich eine für sie geeignete gesetzliche Krankenkasse aus.

Nach Einschätzung der Expertin lohnt sich die Rückkehr in die GKV aber nicht für alle privat Versicherten. Wenn jemand eine hohe Betriebsrente beziehe, könne der Wechsel am Ende teurer werden. Denn für die Betriebsrenten müssten die Rentner Krankenkassenbeiträge entrichten.

Die Berechnung der Beiträge für die Krankenversicherung der Rentner ist kompliziert. „Auf die Einkommensgruppen entfallen unterschiedliche Beitragssätze“, erklärt das Verbraucherportal Finanztip.de. Für die gesetzliche Rente werden danach 7,3 Prozent fällig. Für Versorgungsbezüge wie Betriebsrenten sowie weitere Löhne und Gehälter wird der volle Satz von 14,6 Prozent berechnet. Mieteinnahmen, Kapitaleinkünfte oder private Renten bleiben beitragsfrei. Bei freiwillig KVdR-Versicherten werden Zusatzeinnahmen mit dem Beitragssatz von 14 Prozent belegt.