Braunschweig. Wie erfahren Reisende von Zugverspätungen? Ein Blick hinter die Kulissen des Braunschweiger Hauptbahnhofs.

Der Bahnverkehr aus „Iris“-Sicht. die Software organisiert den bundesdeutschen Bahnverkehr.
Der Bahnverkehr aus „Iris“-Sicht. die Software organisiert den bundesdeutschen Bahnverkehr.

Das kleine Feld mit der roten Zahl 2035 bewegt sich schnell vorwärts. Es passiert den „Abzweig Weddel“, durchquert Schandelah und Königslutter. Alles scheint reibungslos zu verlaufen, wäre da nicht dieser blaue Punkt am rechten Ende der Anzeige. Er beweist: Der Intercity 2035 von Braunschweig nach Leipzig hat Verspätung, acht Minuten. Das bedeutet Arbeit für die Mitarbeiter in der „3-S-Zentrale“ im Braunschweiger Hauptbahnhof.

„Alleine in Braunschweig verkehren etwa 250 Züge pro Tag.“
„Alleine in Braunschweig verkehren etwa 250 Züge pro Tag.“ © Michael Klose vom Bahnhofsmanagement Braunschweig.

Die drei „S“ – bei der Deutschen Bahn stehen sie für „Service, Sicherheit und Sauberkeit“. Drei Schlagworte, die Grundlage eines ganzen Konzepts sein sollen: Als im Zuge der Bahnreform 1994 aus der Bundesbahn die Deutsche Bahn AG wurde, gründete die Aktiengesellschaft Tochterfirmen wie die DB Netze. Sie soll dafür Sorge tragen, dass die Schienen und Bahnhöfe funktionieren, sie und die DB Station & Service sind quasi die Basis des gesamten Betriebs: Sie sind dafür verantwortlich, dass die drei „S“ eingehalten werden. Wenn man also verstehen will, wie die Bahn funktioniert und wie aus einem stehenden Zug auf freier Strecke eine Verspätungsdurchsage am Bahnhof wird, muss man hier ansetzen. In der „3-S-Zentrale“.

Bahn-Mitarbeiter Stadler in der „3-S-Zentrale“ im Braunschweiger Bahnhof hat Zugverspätungen im Blick.
Bahn-Mitarbeiter Stadler in der „3-S-Zentrale“ im Braunschweiger Bahnhof hat Zugverspätungen im Blick. © Robin Koppelmann

Eine graue Tür in einem grauen Gang im Braunschweiger Hauptbahnhof. Dahinter sitzt Michael Klose. Der Bahn-Mitarbeiter ist für den Betrieb am Braunschweiger Hauptbahnhof mitverantwortlich. „Alleine in Braunschweig verkehren durchschnittlich etwa 250 Züge pro Tag. Und wir betreuen hier zusätzlich noch 56 weitere Stationen in der ganzen Region.“

Reisende warten auf ihren Zug. Über Ansagen am Bahnsteig erfahren sie von Verspätungen.
Reisende warten auf ihren Zug. Über Ansagen am Bahnsteig erfahren sie von Verspätungen. © dpa

Von Goslar bis Lüneburg, von Helmstedt bis Vöhrum – ob ein Zug bis weit über die Stadtgrenzen Braunschweigs hinaus verspätet ist, betrifft zwangsläufig auch die Mitarbeiter im dortigen Bahnhof. Sie sind Teil eines großen Zusammenspiels, das ohne modernste Technik heutzutage wohl nicht mehr auskommen würde.

Nehmen wir den um acht Minuten verspäteten Intercity 2035. Dass er überhaupt fährt, verdankt er der Organisation des Europäischen Fahrplanzentrums (EFZ). Hier werden alle Züge eingetragen, die per Fahrplan regelmäßig durch Europa verkehren sollen. Eine enorme Datenbank, die zum Beispiel auch als Grundlage dafür dient, dass Kunden auf der bahneigenen Suchfunktion im Internet nicht nur die Fahrpläne von Braunschweig nach Wolfsburg, sondern auch von Amsterdam nach Paris abrufen können.

Die Zugdaten des EFZ werden in das „Iris-System“ eingespeist, quasi das Verkehrs-Intranet der Deutschen Bahn. „Iris“ steht für „International Railway Industry Standard“, die Software organisiert den bundesdeutschen Bahnverkehr. Mit ihrer Hilfe können die Betriebsleiter in den Stellwerken sehen, wo sich die Züge gerade aufhalten, welche Routen sie nehmen werden – und wie viel Verspätung sie aktuell haben. Rote Zugnummern sind Personenzüge, blaue Zugnummern zeigen den Güterverkehr. Haben sie dazu noch einen blauen Punkt, dann fahren sie unpünktlich.

Auf Basis dieser Erkenntnisse wird der Betrieb organisiert, für die Region Südost-Niedersachsen verläuft das über die Betriebszentrale in Hannover. Hier sitzen Mitarbeiter, die in Echtzeit berücksichtigen können, dass der Intercity 2035 eben acht Minuten hinter dem Fahrplan liegt und dass die Signale und Weichen richtig gestellt werden. Sogenannte „Referenzpunkte“ auf der Strecke und in den Bahnhöfen erfassen automatisch, wenn ein Zug vorbeigefahren ist und geben ihnen so ein möglichst präzises Bild über dessen Pünktlichkeit ab.

Der Kunde bekommt von alledem wenig mit, er steht in der Regel am Bahnhof und ärgert sich, dass sein Zug verspätet ist. Im Falle des Intercity 2035 dürften das die Reisenden in Helmstedt sein, dem nächsten Haltepunkt des Schnellzuges. Zeit für die Eisenbahner Schulze und Stadler, in der Braunschweiger „3-S-Zentrale“ aktiv zu werden. Ihre Vornamen möchten die beiden nicht in der Zeitung lesen, ihre Stimme dürfte trotzdem jeder kennen : Schulze und Stadler sind die Gesichter hinter den allseits bekannten Lautsprecherdurchsagen am Bahnsteig. Sie werden tätig, wenn die manuelle Bandansage nicht mehr ausreicht. Zugverspätungen gehören dazu.

Die Braunschweiger „3-S-Zentrale“ hat die Service-Organisation von insgesamt 57 Haltepunkten in der Region übernommen. Schulze und seine Kollegen sehen, wenn Züge bereits verspätet auf ihr Einzugsgebiet zurollen und können die Informationsanzeigen und Durchsagen für die Unterwegsbahnhöfe koordinieren. Eine große Erleichterung, die aber auch Tücken mit sich bringt: „Natürlich hat sich fast jeder von uns hier schon einmal versprochen und eine Wolfsburger Durchsage in Braunschweig gemacht – oder umgekehrt“, lacht Schulze. Das würden die Fahrgäste aber in der Regel mit Humor nehmen.

Denn ganz ohne menschliches Zutun geht es auch im hochtechnisierten Bahnbetrieb nicht. Zwar zeigt das „Iris-System“ die aktuellen Verspätungen an, die Erfahrungen der Macher in der „3-S-Zentrale“ sind aber trotzdem zentral. Sie können einschätzen, ob die Züge dank alternativer Routen noch mehr Verspätungen einfahren werden. Und bei unvorhergesehenen Ereignissen wie technischen Defekten, Streiks oder gar Suizide, kann ohnehin nur geschätzt werden, wie lange der Zug brauchen wird.

REISE-TIPP

Unter www.bahn.de/zugradar kann die aktuelle Position eines Zuges angezeigt werden.