Braunschweig. Das Prostitutionsgesetz soll reformiert werden. Der Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen kritisiert die Pläne.

Frauen wie Johanna Weber bezeichnen sich als Sex-Arbeiterinnen. Sie fordern von der Politik, ihnen bei der Ausübung ihres Berufs keine Steine in den Weg zu legen.

„Viele Politiker kennen nicht einmal die Unterschiede, die es in der Branche gibt.“
„Viele Politiker kennen nicht einmal die Unterschiede, die es in der Branche gibt.“ © Johanna Weber, Sex-Arbeiterin und Sprecherin des Berufsverbandes

Johanna Weber (46) fügt ihren Kunden gerne Schmerzen zu. Das liegt in der Natur der Sache. Die Prostituierte, die in Berlin lebt, hat sich auf die Art Männer spezialisiert, die sanfte Sadomaso-Praktiken bevorzugen, die sich ausliefern und benutzt werden wollen. Weber engagiert sich zudem im Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen, dessen politische Sprecherin sie ist. Dirk Breyvogel sprach mit ihr am Telefon.

Frau Weber. Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, mir ein wenig Einblicke in ihren Beruf zu geben. Ich hoffe, ich störe nicht...

Der Kunde, der sich angekündigt hatte, ist nicht ins Studio gekommen. Es passiert des Öfteren, dass ein telefonisches Vorgespräch nicht zu einem Abschluss führt. Ich hatte das in diesem Fall eigentlich schon erwartet. Man kennt seine Pappenheimer halt. Das ist eben Berufsrisiko.

Seit wann gibt es den Berufsverband, der sich als Interessensvertreter der Sex-Arbeiter/innen in Deutschland ansieht, und warum wurde er gegründet?

Wir haben uns auf einem Kongress vor gut eineinhalb Jahren entschlossen, diesen Verband im Sinne des Vereinsrechts zu gründen. Zu dem Zeitpunkt gab es für unseren großen Berufsstand keinerlei Vertretung, eine Innung oder Ähnliches. Einen konkreten Anlass gab es aber nicht. Es gab jedoch das Gefühl, dass die Gesellschaft zurückfällt in eine Zeit sehr konservativer Wertvorstellungen. Eine Zeit, die wir dachten, längst überwunden zu haben.

Wen vertreten Sie?

Der Großteil der Frauen, der sich an uns wendet, sind so genannte „Independents“. Das sind Prostituierte, die selbständig arbeiten, die sich stunden- oder tageweise in Bordellen oder Studios einmieten. Diese Frauen müssen sich selbst vermarkten. Das liegt aber den Wenigsten. Deshalb gehen viele ins Bordell. Das Einzige, was sie dort machen müssen, ist anwesend sein und sich umziehen. Dafür müssen sie im Vergleich zu Selbständigen einen größeren Teil ihres Lohns abtreten.

Wie empfinden sie die politische Diskussion, die gerade läuft?

Ich denke, dass der Ansatz, uns bessere Arbeitsbedingungen zu verschaffen, generell richtig ist. Aber viele Politiker tappen da im Dunkeln und kennen nicht die Unterschiede, die es in der Branche gibt. Es gibt diejenigen, die der Linie von Alice Schwarzer hinterherlaufen und die, die sich mit dem Thema auf juristischer Ebene beschäftigen. Letztgenannte sind mir viel lieber, weil sie sich auch Gedanken machen, was mit den selbstbewussten Sexarbeiterinnen passiert, die ihren Beruf freiwillig und bewusst ausüben.

Was halten Sie von den Vorschlägen der Großen Koalition, das seit 2002 bestehende Prostitutionsgesetz zu reformieren?

Es wird derzeit reguliert, was das Zeug hält, um angeblich dem Thema Herr zu werden. Da wird aber an einem Problem gearbeitet, das gar nicht so extrem existiert. Die Folge ist, dass 90 Prozent der Frauen, die wir vertreten, durch die Gesetzesänderungen schlechtergestellt werden. Diese Überregulierung ist aus meiner Sicht der falsche Weg und löst auch nicht die Probleme, die es gibt.

Es geht also um eine stärkere Differenzierung. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, müssten Sie auch das so genannte „Schwedische Modell“ ablehnen, weil es Sie am Ende des Tages arbeitslos macht.

In der Tat. Gerade wir, die unseren Beruf mit größter Transparenz ausleben – über veröffentlichte Anzeigen und Inserate – würden in die Röhre schauen, weil sich wie in Schweden Freier mit einem Besuch bei uns ja strafbar machen würden. Ich würde doch als Freier auch nicht dahin gehen, wo die Gefahr am größten ist, von der Polizei erwischt zu werden, sondern in irgendwelche schmuddelige Etablissements und Hinterhöfe.

Gibt es ein Land, wo sie lieber ihrem Beruf nachgehen würden?

Ja, das Land liegt aber nicht in Europa, sondern heißt Neuseeland. Dort besitzen Prostituierte alle Arbeitnehmerrechte. Und Befürchtungen, dass das Land ein Hort des internationalen Menschenhandels wird, sind nicht eingetreten.

Das liegt aber doch eher an der Lage des Landes und an den gesellschaftlichen Strukturen, oder?

Stimmt. Da gibt es nicht so große Migrationsströme. Aber das Problem ist in Deutschland ein anderes. Die, die Gesetzestexte ausarbeiten, haben ein generelles Problem mit dem Beruf, den wir ausüben. Aber mit einer reinen Verbotspolitik kann man in Deutschland keinen Blumentopf gewinnen. Also sagt man, man wolle etwas Gutes tun für die ach so armen Prostituierten. Ich würde jedem Politiker mal empfehlen, in ein Bordell zu gehen und zu fragen, wer da rausgeholt werden möchte. Das ist eine verschwindend geringe Zahl. Wir wollen nicht gerettet werden.

Worauf zielt dann die Politik? Und was sind ihre Vorschläge, um auf der einen Seite die Sex-Arbeiterinnen zu schützen und auf der anderen Seite Zwangsprostitution nicht wissentlich zu unterstützen?

Ich habe das Gefühl, dass in dieser Debatte Moral das eigentliche Leitmotiv der handelnden Personen ist. Wir müssen das Gesetz aber eher vereinfachen als komplizierter machen. Das passiert auch. Die SPD will diesen Weg gehen. Es muss eine Trennung her zwischen dem Straftatbestand des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung und der Prostitution als anerkannten Beruf. Der jetzt eingeschlagene Weg führt eher zu einer Pauschalkriminalisierung.

Andererseits: Was hat sich denn durch das bestehende Prostitutionsgesetz für sie verbessert?

Unsere Tätigkeit war zwar erlaubt, galt aber vor der Einführung des Gesetzes als sittenwidrig. Somit hatten wir kein einklagbares Anrecht auf Bezahlung. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit, Kranken- und Rentenversicherung abzuschließen oder ein Bordell legal zu betreiben. Denn vorher waren diese Betreiber mit einem Bein im Gefängnis, denn sie standen unter dem Verdacht, Prostitution zu fördern. Das ging soweit, dass je mieser die Absteige war, desto sicherer konnte man sein, diesem Straftatbestand nicht zu unterliegen. Das ist jetzt anders, und es ist nicht mehr strafbar, gute Arbeitsplätze für Prostituierte zu schaffen. Dass das Rad nicht zurückgedreht wird, ist uns ein Anliegen. Ich möchte diese miesen Spelunken nicht wiederhaben.

Dieses Gesetz hat aber auch Flatrate-Bordelle gefördert, wo Kunden für einen Festpreis so viel Sex haben können, wie sie wollen. So ein Geschäftsmodell kann doch auch nicht in ihrem Sinn sein.

Ich kann die Argumente nachvollziehen. Vor zwei Jahren war ich auch noch skeptisch und hatte genau das Kopf-Kino, was Sie jetzt vielleicht haben. Ich habe aber Frauen kennengelernt, die dort arbeiten und die haben gesagt, dass es ihnen gutgeht. Denn sie haben zwei Vorteile. Erstens: Sie haben ein festes Grundeinkommen. Das liegt zwischen 150 und 250 Euro am Tag. In einem anderen Bordell muss sie vielleicht damit leben, an einem Tag keinen einzigen Kunden zu haben. Zweitens: Sie müssen sich nicht mal wirklich Mühe geben, kein Deutsch können und nicht gut aussehen.

Spricht das nicht eher für die Gnadenlosigkeit dieses Geschäfts?

Wenn die Frauen vernünftig bezahlt und behandelt werden, halte ich das für einen sehr legitimen Arbeitsplatz.

Zum Schluss: Was würden Sie sich für ihre Branche wünschen?

Wünschen darf man sich ja alles. Ich hoffe, dass die Gesellschaft offener mit unserem Beruf umgeht und das die Menschen den Mut besitzen, auch mal die eigene Meinung zu hinterfragen und gegebenenfalls zu ändern. Das würde uns schon sehr helfen.