Braunschweig. Eintracht Braunschweigs Neuzugang Immanuel Pherai spricht im großen Interview über seine Anfänge, Borussia Dortmund und Mino Raiola.

Immanuel Pherai gehörte in den bisherigen Pflichtspielen von Fußball-Zweitliga-Aufsteiger Eintracht Braunschweig stets zu den auffälligsten Akteuren. Vor dem Auswärtsspiel bei Holstein Kiel (Samstag, 13 Uhr) sprach der Niederländer über seine Zeit bei Borussia Dortmund, den Tod seines Beraters Mino Raiola und darüber, warum er bei seinem Wechsel in die Löwenstadt auf Geld verzichtete

Immanuel Pherai, wann hatten Sie erstmals einen Ball am Fuß?

Ganz früh. Mein erstes Wort war „Ball“ (lacht). Meine Eltern erzählen diese Geschichte ständig. Ich habe dann mit fünf Jahren schon in der F-Jugend gespielt, in der ich jünger war als die anderen Kinder. Eigentlich darf man in Holland erst mit sechs Jahren spielen.

War es eine gute Schule, als Jüngerer gegen Ältere zu spielen?

Ja. Ich weiß noch, dass es am Anfang wirklich schwierig war für mich, da ein Jahr Differenz in diesem Alter einen großen Unterschied ausmacht. Die Jungs waren größer und schneller als ich. Aber ich wollte trotzdem dabei sein und bin nach ein paar Monaten immer besser geworden.

Immanuel Pherai sucht auch bei Eintracht Braunschweig nach neuen Herausforderungen

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie besser Fußball spielen als die meisten anderen?

Im Alter von 14 oder 15 Jahren habe ich es das erste Mal gemerkt. Davor waren die meisten Jungs bessere Fußballer als ich. Ich habe oft Tunnel bekommen, wurde ausgespielt und überrannt, aber trotzdem habe ich fast immer gewonnen. Die anderen Spieler haben gesagt: Wir sind besser, aber er gewinnt immer. Einer war besser im Torschuss, ein anderer hatte eine bessere Technik oder einen besseren Körper – aber trotzdem bin ich mit meinem Team am Ende des Tages meist als Sieger vom Platz gegangen. Ich war in keiner Disziplin herausragend, aber in vielen Teilbereichen gut. Und das war mein Vorteil. Dazu kommt mein Wille.

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Was ist daran so besonders?

Im Alter von elf Jahren war ich bei AZ Alkmaar im Probetraining und kannte alle Jungs, die schon bei AZ spielten, aus vielen Duellen der Vergangenheit. Ich wusste, dass sie mich zuletzt immer besiegt hatten, und ich habe schnell gemerkt, dass der Unterschied zwischen ihnen und mir nicht groß ist. Meine Herangehensweise war dann so: Ich habe mir den besten Spieler auf meiner Position herausgesucht und versucht, ihn zu besiegen – im Zweikampf, in einzelnen Übungen, in Sprintduellen.

Machen Sie das heute noch so?

Ja, in meinen ersten Einheiten in Braunschweig habe ich mir Bryan Henning und Brian Behrendt vorgenommen (lacht). Wenn ich die Duelle dann gewinne, wird gleich anders auf mich geguckt. Wenn ich sie verliere, weiß ich, dass ich mehr machen muss.

Wenn Sie eine Herausforderung schaffen, brauchen Sie dann eine neue?

Nicht unbedingt. Nur weil ich etwas einmal schaffe, heißt es nicht automatisch, dass ich es immer schaffe. Also muss ich meine Leistung immer wieder bestätigen.

Wie war das im Training von Borussia Dortmund?

Von Marco Reus habe ich mir viel abgeguckt. Die direkten Duelle habe ich gesucht gegen Mo Dahoud, Emre Can und Jude Bellingham. Die Jungs waren sauer, wenn ich mal ein Duell gewonnen hatte. Ich kam aus der U19 oder U23 – das hat ihnen gar nicht gefallen, wenn ich mal an ihnen vorbeigekommen bin (lacht).

Bei Eintracht Braunschweig hatte Immanuel Pherai ein gutes Gefühl

Was nehmen Sie mit aus Dortmund?

Ich habe viel gelernt und aus jedem Bereich etwas mitgenommen. Der Verein ist enorm groß und professionell, die Intensität ist unglaublich hoch. Trotzdem sind die Jungs super, auf dem Platz aber ist der absolute Fokus vorausgesetzt. Wenn man da spielt, muss man jeden Tag zeigen, was man draufhat. Und die meisten können richtig gut zocken.

Gab es eine Chance für Sie, dass die Tür zu mehr Einsätzen bei den Profis richtig aufgeht?

Ja, ich war mit den Profis im Winter-Trainingslager in Marbella im Januar 2020. Da habe ich es gut gemacht, bin aber nach wenigen Einheiten umgeknickt und hatte richtig Schmerzen. Allerdings bin ich nicht zum Arzt gegangen, sondern habe weitergemacht, um meine Chance zu bekommen. Da die Schmerzen aber immer stärker wurden, waren meine Trainingsleistungen nicht mehr so gut. Wochen später bin ich erst zum Arzt gegangen, als ich fast nicht mehr laufen konnte. Der hat dann gesagt, dass ich einen Außenbandriss hatte. Ich war nicht weit weg von der ersten Mannschaft in Dortmund. Aber jetzt bin ich hier.

Jetzt sind Sie hier. Einfache Frage: Warum?

Ich habe viel gesprochen mit den erfahrenen Spielern wie Axel Witsel und Marco Reus. Die haben mir geraten, dass es für meine Karriere am allerwichtigsten ist, regelmäßig zu spielen. Es ist egal wo. Spielpraxis ist die beste Entwicklung – am besten eine ganze Saison. Ich habe mich gefragt: Wo ist die Chance darauf hoch? Es gab viele andere Möglichkeiten für mich in Holland und auch in Deutschland. Aber am Ende bin ich hier gelandet, weil ich mich sofort gut gefühlt habe nach den Gesprächen mit Peter Vollmann und Michael Schiele. Wenn es ums Geld gegangen wäre, hätte ich in Dortmund verlängern können. Aber darum ging und geht es mir nicht. Ich bin Profi geworden, weil ich Fußball liebe. Und jetzt will ich sehen, wie weit ich kommen kann. Ich muss spielen, um nach oben zu kommen. Die Braunschweiger haben gesagt: Wenn es nicht ums Geld geht, haben wir hier die besten Bedingungen für dich. Dann habe ich mir gedacht: Okay – warum nicht? Kurz darauf war ich hier.

Wie lange bleiben Sie in Braunschweig?

Ich habe hier für zwei Jahre unterschrieben. Ganz ehrlich: Im Moment kann ich an nichts Anderes denken als an das nächste Spiel. Ich habe richtig Wut im Bauch, weil wir noch nicht gewonnen haben. Jetzt ist es an der Zeit, uns die Punkte zu holen.

Torsten Lieberknecht hat Sie als besten Spieler der ersten beiden Spieltage bezeichnet. Was bedeutet Ihnen solch eine Aussage?

Ja, das ist schön zu hören. Aber es hat uns nichts gebracht. Ich würde lieber persönlich schlechter spielen, wenn uns das einen Sieg ermöglicht.

Merken Sie schon, dass sich die Gegner in Liga 2 gezielter auf Sie fokussieren? Darmstadt hatte extra einen Manndecker für Sie abgestellt.

Ja, das habe ich gemerkt. Aber das ist egal. Wir spielen elf gegen elf. Und wenn ein oder zwei Gegner mehr auf mich gucken, gibt es mehr Räume für meine Mitspieler. Aber es ist für mich gut: Je mehr Widerstand ich bekomme, desto härter muss ich arbeiten – und desto besser werde ich. Ich brauche diesen Widerstand.

Die Partie im DFB-Pokal gegen Hertha war ein besonderes Spiel. Wie haben Sie das erlebt?

Das war der Hammer. Wir hatten von Beginn an das Gefühl, dass wir gewinnen können. Trotz des 0:2 haben wir gedacht, dass wir es noch schaffen können. In der Pause hat uns der Trainer Selbstvertrauen gegeben, war etwas lauter, und wir haben uns gesagt: Einfach Fußball spielen. Wir wussten, wenn wir ein Tor machen, dann können wir auch mehrere schießen. Es war in den Spielen zuvor oft so knapp und unglücklich bei unseren Chancen. Da hat es endlich geklappt.

In der Liga klappt es noch nicht. Wie beurteilen Sie die Lage?

Ich mache mir keine Sorgen. Das einzige Gefühl, das ich gerade habe, ist Wut im Bauch. Wir haben einen Sieg verdient. Jeder wusste, dass es gegen Hamburg, Heidenheim und Darmstadt schwer wird für uns. Die spielen oben mit. Aber wir hatten in allen Spielen Chancen auf mindestens einen Punkt.

Wie erleben Sie die Stimmung im Team?

Die Geschlossenheit im Team ist super – genau wie vorher. So eine Stimmung habe ich noch nie erlebt – vor allem nicht in so einer Situation. Die Jungs kennen sich, sie machen auch Sachen neben den Platz zusammen. Wenn im Training mal etwas der Zug oder die Konzentration fehlt, reicht es, wenn einer eine Ansage macht. Dann sind alle wieder voll da. Das ist eine Mannschaft.

Wie Eintracht Braunschweigs Immanuel Pherai Mino Raiola kennenlernte

Wie haben Sie Mino Raiola, Ihren Berater, kennengelernt?

Ich war 15 Jahre alt und habe in der Akademie von AZ Alkmaar gespielt. Als wir in Arnheim gespielt haben, hat Mino zugeguckt. Alle Zuschauer haben sich gefragt, wen er sich anschaut. Da hatte ich einen ganz guten Tag, bin aber in der zweiten Hälfte mit Gelb-Rot vom Platz geflogen. Da dachte ich schon, dass Mino mich jetzt nicht mehr haben will. Aber die Zeit, in der ich auf dem Platz stand, hat gereicht, um ihn zu überzeugen (lacht).

Raiola heftet das Image des skrupellosen Beraters an…

… aber das stimmt überhaupt nicht. Niemand, der ihn kannte, würde etwas Schlechtes über ihn sagen. Er war ein Familienmensch, wie ein Vater für mich und all seine Spieler. Er kümmerte sich um alle – egal, ob der Erling Haaland, Zlatan Ibrahimovic oder Manu Pherai heißt. Er tat alles, um das Beste für seine Spieler herauszuholen.

Wie haben Sie seinen Tod vor einigen Wochen erlebt?

Das war schwierig. Anfang des Jahres haben wir noch mit Borussia Dortmund über einen neuen Vertrag gesprochen. Mino ist immer gut klargekommen mit Michael Zorc, dem BVB-Manager, weil der ihm als einer der wenigen Gesprächspartner auch mal Contra gegeben hat (lacht). Das mochte Mino. Aber als ich dann länger nichts von Mino gehört hatte, habe ich ihm geschrieben, und er meinte, dass er zwar krank, aber dass alles okay sei. Ich wusste nicht, wie schlimm es wirklich war. Fortan hat sich sein Kollege um mich gekümmert. Und dann im April habe ich eine Push-Nachricht aufs Handy bekommen, dass er gestorben ist.

Haben Sie über Raiola auch Erling Haaland kennengelernt?

Ja, als ich mit im BVB-Trainingslager war und mir das Außenband gerissen habe, kam Erling gerade aus Salzburg nach Dortmund. Mino hat mir gesagt: Wenn du etwas lernen willst, schau ihn an – Erling ist ein Vollprofi. Ich wusste sofort, was er meinte. Zum Beispiel setzt Erling bei Dunkelheit eine Brille mit Blaulichtfilter auf, wenn er aufs Handy schaut, damit sein Gehirn vom Handylicht nicht überreizt wird und er gut schlafen kann. Da war er 19 Jahre alt. Und ich dachte: Was für ein Profi – ich hatte noch nie von so etwas gehört (lacht).

Haaland hat all seinen Teamkollegen beim BVB eine Rolex zum Abschied geschenkt. Haben Sie auch eine bekommen?

Nein, ich war der einzige Spieler, der sie abgelehnt hat. Ich habe viele sportliche Dinge von ihm gelernt, und es hat Spaß gemacht, mit ihm zu spielen – das reicht mir.