Braunschweig. Der Sprachwissenschaftler Prof. Armin Burkhardt erklärt sprachliche Gemeinsamkeiten in Sport und Krieg und warum mehr Sensibilität nötig ist.

Unsere Sprache ist im stetigen Wandel. Manches findet unerkannt statt und schleicht sich in den Alltagsgebrauch ein, andere Entwicklungen prägen den öffentlichen Diskurs, Beispiel: das Gendern. An Professor Dr. Dr. Armin Burkhardt geht kaum eine Entwicklung vorbei. Der Sprachwissenschaftler und Sportfan aus Braunschweig war über viele Jahre Dozent an der TU Braunschweig und Professor an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg sowie Mitglied des Hauptvorstands bzw. Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache. Im Interview geht es um militärische Sprache im Fußball, Hassplakate und – natürlich – das Reizthema Gendern.

Armin Burkhardt
Armin Burkhardt © Privat | Privat

In einem Fußballbericht finden sich gewöhnlich Begriffe wieder wie das „Schießen“, der „Kampf“ oder auch der „Angreifer“. Woher kommen die martialischen Begriffe, Herr Prof. Dr. Burkhardt?

Allgemein gilt: Sprachliche Bereiche, die wie der Sport ein besonderes Interesse auf sich ziehen, entlehnen meist Wörter aus anderen Bereichen als Metaphern. Im Sport haben wir das Phänomen, dass sich vielfach bei der militärischen Sprache bedient wird, aber nicht nur dort; man denke an den Theater-„Regisseur“ oder an technische Metaphorik wie den „Motor“. Und auch umgekehrt werden Metaphern oder Neologismen aus dem Sport in andere Bereiche übernommen.

Ein Beispiel?

Am 18. Juli 1943, also vier Monate nach der Schlacht um Stalingrad, behauptet Joseph Goebbels, die ewige Schande der Germanistik, im „Reich”, man habe bisher ausschließlich im gegnerischen Strafraum gekämpft, und wenn jetzt von feindlicher Seite die Kapitulation gefordert werde, sei das sei genau so, „wie wenn der Spielführer einer unterlegenen an den Spielführer der siegenden Mannschaft das Ansinnen stellt, das Spiel bei einem Vorsprung von etwa 9:2 abzubrechen… Man würde eine Mannschaft, die darauf einginge, mit Recht auslachen und anspucken. Sie hat schon gesiegt, sie muss ihren Sieg nur verteidigen.” Das war natürlich eine völlige Verharmlosung der Sachlage durchs Benutzen einer Sportmetapher.

Und andersherum? Woher kommt das Militärische im Sport oder genauer: im Fußball?

Von Anfang an gab es die Kampfbilder. Konrad Koch hatte 1874 im Regelheft bereits von Stürmern gesprochen. Aber das war eine Lehnbedeutung, übernommen vom englischen Begriff „Forward“. Kochs Verteidiger hingegen hießen damals noch Malmänner, weil sie das Mal, wie das Tor damals noch bezeichnet wurde, beschützten. Markmänner gab es auch, die an der Außenmarkierung tätig waren. Das hatte überhaupt nichts Martialisches oder Kriegerisches.

Wann zog dann das Militärische ein in die Fußballsprache?

Während des 1. Weltkriegs und der 1920er Jahre wurden immer mehr Fußballbegriffe aus dem Kriegerischen übernommen, da der Fußball immer interessanter wurde als Wehrsport. Dann kamen die militärischen Metaphern hinzu. Das Grundsetting legt das natürlich nahe. Es gibt zwei Gruppen, die sportlich aggressiv gegeneinander agieren. Das kann man „kämpfen“ nennen. Die einen verteidigen, die anderen greifen an. Das Spiel ruft diese Analogien hervor. So lange es so weit geht, dass man bei den Kampfmetaphern bleibt, die mit Körpereinsatz zu tun haben, finde ich das nicht weiter schlimm. Das wird es für mich erst, wenn die Waffen ins Spiel kommen: der Sturmtank, die Granate, die Bombe, das Trommelfeuer.

Hat der Krieg in der Ukraine unsere Sinne dahingehend geschärft?

Vielleicht sieht man das in einer Zeit, in der uns tatsächlich jeden Tag ein Krieg in den Nachrichten begleitet, wieder deutlicher als zuvor.

Müssen wir in der Sportsprache sensibler werden?

Vor ein paar Jahren habe ich eine Examensarbeit betreut, in der es um die Frage der Metaphorik in der Fußballberichterstattung in den 1950er Jahren ging. Das relevante Ergebnis war: Kriegsmetaphern waren in den 1950er Jahren besonders häufig zu lesen. Meine Hypothese wäre gewesen: Die Leute hatten die Nase voll vom Krieg und wollten im Sport nicht auch noch von Bomben, Granaten und Kämpfern lesen. Aber das Gegenteil war der Fall.

Welche Metapher finden Sie unpassend?

Da kommen wir zurück zum Militärischen. Ich gehe davon aus, dass viele Leser die Metapher gar nicht als solche erkennen, da sie so normal geworden ist. Wenn man aber nur einen kleinen Moment daran denkt, woher sie kommt, dann kann man es eigentlich nicht mehr akzeptieren, jemanden „ins offene Messer laufen“ zu lassen. Das ist zwar kein Kriegshandeln auf dem Niveau des 21. Jahrhunderts, aber es geht um Gewalt mit Waffen. Und das finde ich schief, weil das Fußballspiel an sich nicht mit dem Gebrauch von Waffen verglichen werden kann. Man hat natürlich die klare Vorstellung, dass eine Mannschaft übertrieben aggressiv ist, auf die zur Abwehr bereiten Gegner trifft und dadurch Nachteile erleidet. Das ist ja der Kern, der die Brutalität aber eigentlich nicht benötigt.

Werden die Kriegsmetaphern genutzt, weil sie eben so bildhaft und gut zu merken sind?

Beim Begriff „Schießen“, das vom Englischen „Shoot“ kam, war es nicht wirklich notwendig. Man hätte auch „Stoßen“ nehmen können. Die Italiener nennen den Fußball „Calcio“, also Tritt oder Stoß. Entsprechend könnte man auch vom Torstoß reden statt vom Torschuss. Es hätte also Alternativen gegeben. Aber das finde ich in dem Fall nicht schlimm. Für mich wird es umso weniger akzeptabel, je mehr die Waffen selbst in den Blick kommen und die konkreten Einzelaktionen: offenes Messer, Bomber, Granate. Ich will nicht ausschließen, dass ich nicht selbst auch mal so etwas sage oder gesagt habe. Aber so richtig wohl ist mir dabei nicht – gerade in der heutigen Zeit.

Sie haben den „Bomber“ schon angesprochen. Den Begriff benutzt heute kaum noch jemand.

Ein bisschen sensibler sind wir insgesamt geworden. Es kann auch nicht schaden, noch etwas sensibler zu werden. Den Begriff „Schützenhilfe“ empfinde ich auch als grenzwertig. Er ist ganz eng am richtigen Schießen, dass einer beim Vorstoß Rückendeckung gibt. Das ist schwierig. Ich würde dazu raten, immer mal ein bisschen Selbstbeobachtung zu betreiben und sich zu einer gewissen Zurückhaltung zu zwingen. Aber ganz kommt man aus der Nummer nicht raus.

Wenn ich einen Fußballtext ohne das Wort „Schießen“ schreibe, fehlt Authentizität.

Die Körperlichkeit gehört dazu und macht den Reiz des Sports aus. Und die spiegelt sich in der Begrifflichkeit vom Kampf wider. Aber wenn der Kampf ins Kriegerische übergeht, sollte man vielleicht vorsichtiger werden. Andererseits gilt auch: Wenn man Fußballspiele wie Halma beschreibt, dann wird es langweilig. Das passt auch nicht.

Wohin verändert Sportsprache?

Ein wichtiger Motor ist die Sportberichterstattung. Deren Sprache nennen wir Linguisten auch Reportsprache. Sie und Ihre Kollegen sind letztlich Trendsetter. Manches entwickelt sich auch auf den Sportplätzen als Jargon wie „Pille“, „Pflaume“ oder „Kirsche“. An den alternativen Wörtern für Ball ist das gut zu erkennen. Das „Spielgerät“ benutzt außer Reportern eigentlich niemand. „Pille“ ist aber zu flapsig für einen Bericht. Aber man braucht Variation. Nur vom „Ball“ zu sprechen, ist auf Dauer zu unkreativ. „Leder“, „Kugel“, „Spielgerät“ sind Reportsprache. Ein klassisches Beispiel, wo das gut funktioniert hat, ist „Tiqui-Taca“. Der lautmalende Begriff wurde erstmals bei der WM 2006 im spanischen TV-Sender „La Sexta“ vom Journalisten Andres Montez benutzt, als er den ballbesitzorientierten Kurzpassstil der spanischen Mannschaft analysierte. Das war ihm herausgerutscht, aber alle fanden es so passend, dass es jetzt Standard ist.

Wie blicken Sie als Sprachwissenschaftler auf unsere Zeitung?

Es ist bei mir nicht mehr ganz so schlimm wie früher: Da habe ich nur den Sportteil gelesen (lacht). Heute fange ich beim Sportteil an und arbeite mich dann durch die anderen Ressorts diagonal. Ich lese nicht als Sprachwissenschaftler, sondern als Eintracht-Fan und verschlinge die Texte geradezu, während mich die Berichte über den VfL Wolfsburg gar nicht interessieren. Da schaue ich gar nicht hin. Basketball lese ich auch – aber Wolfsburg? Nie. Da reicht die Überschrift. Aber das ist nur mein persönliches Interesse. Der Wandel im Artikelaufbau und in der Darstellungsform betrifft nicht nur diese Zeitung, sondern auch viele andere Medien. Das ist eine Form von Modernisierung. Es gibt keine bloße Ergebnisbeschreibung mehr, nicht mehr nur die Abfolge von Toren. Es hat eine Bewegung hin zu mehr Lebendigkeit in der Berichterstattung gegeben. Was mich früher noch mehr gestört hat, war eine Hofberichterstattung über die Eintracht. Da war mir vieles zu unkritisch im Umgang mit der eigenen Mannschaft. Das empfinde ich heute nicht mehr so. Man muss die Leute ja nicht niedermachen, aber es hilft manchmal auch der Diskussion, Fehler zu benennen. Wenn ein Spieler einen Fehler macht, macht er einen Fehler. Wohlwollen finde ich okay, aber mehr Kritik. Auch gegenüber der Vereinsführung. Es hilft der Diskussion nicht, wenn man so tut, als gäbe es keine.

Vor dem Derby gegen Hannover 96 gab es ein Plakat, auf dem stand: Tod und Hass dem BTSV. Wie blicken Sie darauf?

Die Auseinandersetzung nicht nur der Spieler, sondern auch der Fans, gehört zum Sport dazu. Die Frage ist nur: Wie weit geht man? Ich bin auch gegen Hannover – natürlich. Das ist für mich ein absolut rotes Tuch. Aber ich käme nie auf die Idee, einem Hannoveraner irgendetwas zu tun. Und zum Plakat: Früher habe ich gedacht: Solange man das nicht ernst meint, ist es einfach nur eine Provokation. Im Laufe der Zeit habe ich den Eindruck gewonnen, die meinen das ernst. Die wollen nicht gleich einen sportlichen Gegner erstechen. Aber Hass und Kampf – das meinen die schon ernst. Kampf mache ich nicht mit. Auch nicht Hass, sondern nur Rivalität. Robuste Auseinandersetzungen auf dem Feld gehören dazu. Allerdings sollte man schon überlegen, wo es zu kriegerisch wird.

Wie blicken Sie derzeit generell auf die deutsche Sprache und beispielsweise das Gendern?

Ich habe mir angewöhnt, darauf zu achten, ob konsequent gegendert wird, und dabei festgestellt, dass die, die ständig gendern wollen, es gar nicht durchhalten. Das schafft keiner. Am ehesten noch Anne Will. Viele andere wollen, aber vergessen es dann irgendwann. Es treibt zudem fürchterliche Blüten. Dass Wörter gegendert werden, die sowieso gar nicht Maskulinum oder Femininum sind. Manche sagen Mitgliederinnen und Mitglieder, dabei ist das Mitglied ein Neutrum – und mehr kann man eigentlich nicht haben. Umgekehrt las ich neulich die Meldung: „Schlagerstar ist schwanger“. Die hat mich natürlich überrascht. Ich glaube, hier sieht man ganz deutlich, wohin es führt, wenn man das generisch gemeinte Maskulinum nur noch im Sinne von ,männlich’ interpretiert.

Sprechen Sie von Studierenden?

Manchmal, aber eher selten. Ich nutze Studentinnen und Studenten, wenn ich sie anrede. Wenn es mir besonders wichtig ist, darauf hinzuweisen, dann auch. Aber im Normalfall nicht. Ich kann nicht mehr als alle meinen. Das generische Maskulinum als grammatische Form ist dazu am besten geeignet.

Es gab den Vorschlag, das generische Femininum zum Standard zu erheben, weil da das Maskulinum immer mit eingeschlossen sei. Beispiel: Bei „Pilotin“ ist sowohl der Pilot als auch die Pilotin vorhanden.

Nach der Grammatik, die sich im Laufe der Jahrhunderte als Grammatik entwickelt hat und nicht als Spiegelbild der Gesellschaft, ist das Maskulinum die neutrale Form, in der die Pilotin immer schon eingeschlossen war. Diese Dinge amüsieren mich. Im Rundfunk habe ich neulich gehört: Auf der Autobahn seien mehrere Radfahrerinnen und Radfahrer unterwegs. Ob das nun Männer oder Frauen sind, interessiert an der Stelle doch überhaupt niemanden. Im Sport finde ich es auch interessant, weil die Sportlerinnen normalerweise vom Gendern überhaupt nichts halten, da es sie abgrenzt von der männlichen Leistung. Sie werden dadurch abgegrenzt, während sie sonst in der Gruppe enthalten waren.

Glauben Sie, Gendern ist ein Trend oder entsteht da ein Boden?

Umfragen unterstreichen meine Sicht darauf: Die Mehrheit der Bevölkerung macht nicht mit. Einige Gruppen leben das Thema stärker, beispielsweise in der Uni, aber da ist es auch schon fast Gruppenzwang, wenn man nicht mitmacht. Da wird man direkt gefragt: Warum machst du nicht mit? Bist du Macho? Das finde ich nicht gut. Der Zweck ist ja ein sinnvoller. Man will dokumentieren, dass man in jeder Hinsicht für Gleichberechtigung der Geschlechter ist. Das ist vollkommen in Ordnung. Aber ich weiß nicht, ob man sich einen Gefallen damit tut, wenn man moralisiert und dogmatisch wird. Wenn man ein Prinzip daraus macht, wird es lästig. Auf Dauer, glaube ich, wird das nichts. Das lässt sich nicht durchhalten. Mit Sternchen schon gar nicht. Deswegen ist das Gendern bei mir unter Mode abgespeichert.