Braunschweig. Biathlon-Star und ARD-Kommentator Arnd Peiffer spricht über Wintersport im Klimawandel, Nachwuchsförderung, Olympische Spiele und den Harz.

Mit unserer Region verbindet ihn momentan seine Harzer Heimat und Familie sowie die ehrenamtliche Jurytätigkeit im Talentförderprojekt der Volkswagen Financial Services. Biathlon-Star Arnd Pfeiffer kann mit seinen Kollegen bis zu einer Million Euro pro Jahr an perspektivreiche Sportler verteilen. Im Interview spricht der Olympiasieger über seine neue Kommentatoren-Rolle bei der ARD, Nachwuchs im Spitzensport, Olympische Nachhaltigkeit und die Zukunft des Wintersports angesichts von Energiekrise und Klimawandel.

Herr Peiffer, wenn Sie mal wieder in unserer Region sind, treffen Sie sich gerne mit Familie und Freunden im Harz. Gefällt Ihnen der Wald noch?

Er ist leider in einem traurigem Zustand. Ich bin ja Förstersohn. Da ist für mich die Verbindung zum Wald schon ziemlich stark. Der grüne Fichtenwald, den ich von früher kenne, ist nicht mehr in dem Maße vorhanden. Wenn ich mal laufen gehe, kenne ich mich auf einmal nicht mehr aus, weil es komplett anders aussieht. Man hat von manchen Stellen freie Sicht auf den Brocken, von wo man noch nie freie Sicht hatte. Im Harz sieht man sehr eindrucksvoll, wie der Wald leidet.

Haben Sie Hoffnung auf Besserung?

Ja, aber dass man wieder grünen Hochwald hat, wird lange dauern. Der Wald wird ja auch umgebaut, was sinnvoll ist – wobei ich schon ein Freund der Harzer Fichte bin. Der Brot-und-Butter-Baum, der gehört für mich irgendwie dazu.

2021 haben Sie Ihre Biathlon-Karriere beendet. Was fiel beim Loslassen am schwersten, was am leichtesten?

Eine große Erleichterung ist, dass es nicht gleich ‘ne halbe Katastrophe ist, wenn ich jetzt mal Schnupfen habe. Diese Angst vor Krankheit, Erkältungen und Trainingsausfall war eine große Last, die jetzt weg ist. Auch für die Familie. Früher wurde auch schon mal die Schwester ausgeladen, wenn sie Schnupfen hatte. Das muss eine Familie ja mittragen, das ist nicht immer angenehm.

Aber ich bin schon gerne Rennen gelaufen. Das vermisse ich und muss es akzeptieren. Sonst wäre es ja auch komisch. Ich blicke jedenfalls mit Dankbarkeit zurück.

Vergangenen Winter sind sie Ihrem Sport als Fernseh-Experte treu geblieben. Machen Sie das weiter?

Ja, es geht in neuer Konstellation weiter. Anstelle von Kati Wilhelm, mit der ich mich abgewechselt hatte, kommt jetzt Erik Lesser dazu, mein ehemaliger Zimmerkollege.

Machen Sie nicht auch einen Podcast mit ihm zusammen?

Genau, unser „Biathlon-Doppelzimmer“. Im Moment sind wir allerdings ein bisschen im Rückstand mit den Folgen. Eric würde ich auch als guten Freund bezeichnen. Cool, dass wir jetzt auf dieser Ebene wieder miteinander zu tun haben.

Sie hatten die Biathlon-Übertragungen kritisch gesehen, konnten dann bei der ARD Einfluss nehmen. Was hat sich verändert beim Fernsehen dank Arnd Peiffer?

(lacht) Gerade bei den Analysen vor und nach den Rennen hatte ich mir als Athlet ein bisschen mehr Tiefe gewünscht. Wir haben dann viel darüber diskutiert, es ging um die Niederschwelligkeit. Jemand, der nicht so oft schaut, den will man nicht überfordern, und denen die regelmäßig schauen, will man was Interessantes anbieten. Die Mischung zu finden, ist nicht so leicht.

Auf der anderen Seite bin ich demütiger geworden. Das ganze Drumherum hat man als Athlet nicht durchschaut. Beispielsweise, dass sich die Sendezeiten kurzfristig ändern, weil eine Ministerpräsidentenkonferenz stattfindet. Dann hat man etwas geplant, aber plötzlich fehlt halt die Minute irgendwie. Trotzdem konnte ich ein paar Sachen umsetzen, habe meine Athletensicht nicht komplett abgelegt. Und mit Erik kommt noch mehr Dynamik rein. Wir werden auch regelmäßig die Rennen mitkommentieren. Das werden top anstrengende Tage, vor allem bei zwei Rennen. Aber es macht Spaß. Man lernt was. Und es ist ein total nettes Team.

Durch ihre Arbeit an der Sportschule der Bundespolizei haben sie einen Überblick über alle Wintersportarten. Gibt es genügend Nachwuchs oder haben die Kinder andere Interessen?

In manchen Sportarten sieht es dünn aus. Biathlon ist relativ gut aufgestellt. Aber zum Beispiel haben wir große Schwierigkeiten, nordische Kombinierer einzustellen, es gibt ganz wenige Bewerber. Die Probleme sind von Sportart zu Sportart unterschiedlich und treten in Phasen auf.

Dass sich Kinder für eine Sportart entscheiden und sie auch konsequent weiterführen, wird schwieriger, weil es einfach wahnsinnig viel Konkurrenz gibt. Aber gerade im Wintersport muss man viele Sportarten als Kind sehr früh lernen.

Niemand kann später mit dem Skispringen anfangen oder mit Alpin. Alle die erfolgreich waren, standen mit vier oder fünf Jahren schon auf den Ski. Da geht es auf dem Weg zur Weltspitze darum, wie viele tausend Skitage man sammelt. Da kommt Geld ins Spiel und der Wohnort – also wer kann es sich leisten, dass sein Kind im Winter 100 Skitage hat...

Sprint-Europameisterin Gina Lückenkemper hat kritisiert, wir hätten in Deutschland ein Belohnungs- und kein Fördersystem. Was sagen Sie?

Meine Gegenfrage: Wie will man es anders machen? Die Fachverbände nehmen die Besten eines Jahrgangs in ihre Kaderstruktur auf. Die bekommen dann Förderung, und die, die knapp daran scheitern, nicht. Das war ja bei mir selbst auch der Fall. Worauf Gina anspielt, ist, dass derjenige, der das beste Potenzial hat, die beste Förderung kriegen sollte. Aber wie will man das messen? Dann müsste man ja auch Rahmenbedingungen mit berücksichtigen, wie oft war jemand verletzt, wie viel hat er trainieren können, was hat der für Belastungen durch Reiserei oder vielleicht familiär. Das finde ich ganz schwierig.

Ich glaube, es muss verschiedene Fördermöglichkeiten geben, da macht es die Vielfalt. Dass man nicht sagt, wie im DDR-System, wenn ich einmal rausfalle, bin ich weg. Sondern, wenn ich es nicht in die behördliche Spitzensportförderung schaffe, dann gibt es vielleicht etwas über die Sporthilfe oder ein Stipendium oder so ein Projekt wie hier in Braunschweig.

Was sind bei der Jurytätigkeit in Braunschweig Ihre wichtigsten Kriterien, um jemanden zu fördern?

Herausstechen muss natürlich dieser Wille und Ehrgeiz, sich weiter zu verbessern. Zielgerichtetheit gehört dazu. Außerdem wird es auf den persönlichen Eindruck im Video ankommen. Also, wie ist jemand drauf, hat er Lust, ist er begeistert? Aber das ist auch schwierig, weil ich ja Sportler fördern will und keine Selbstvermarkter. Auch wenn es nett ist, wenn man das kann.

War es bei Ihnen so, dass die Selbstvermarkter die Nase vorne hatten?

Nein. Es waren die, die nach der 10. Klasse aufgehört haben und in die behördliche Spitzensportförderung gegangen sind. Das hätte ich auch machen können. Die einen werden mit 16 Profi, wie Magdalena Neuner, haben allein dadurch einen Riesenvorteil gegenüber denen, die noch ganz normal in der Schule sitzen, aber kämpfen trotzdem in einer Altersklasse um die Kaderplätze. Und gerade in dem Alter, wo man noch zur Schule geht, macht die finanzielle Ausstattung der Eltern viel aus. Wer einfach sagen kann, ich kaufe nochmal fünf Paar Ski, hat einen großen Vorteil.

Unabhängig vom Geld, welche Tipps für junge Sportler haben Sie, um mal Olympiasieger zu werden?

Da tue ich mich schwer. Denn es muss so viel zusammenkommen. Der Faktor Glück allein schon. Aber ich glaube, es lohnt sich immer, viel in die technische Ausbildung zu investieren, egal welchen Sport man macht. Trainingsumfänge und physisch draufpacken kann man später noch. Aber für die koordinative Ausbildung sind die jungen Jahre prädestiniert, und später profitiert man davon.

Im Wintersport werden Bobbahnen vereist, Schneekanonen angeworfen, Flutlicht eingeschalt. Wie geht das noch in der Energiekrise?

Da geht es knallhart um Kosten. Man kann mit einfachen Maßnahmen anfangen, ein bisschen zu sparen. Werden zum Beispiel Nachtrennen auf Tageszeiten legt, braucht man nicht so eine wahnsinnige Beleuchtung. Allein das Licht für einen Biathlon-Weltcup kostet einen sechsstelligen Betrag.

Ist der deutsche Wintersport in Gefahr?

Allgemein auf jeden Fall. Diese Saison wird man es mit Abstrichen irgendwie hinkriegen. Aber man merkt beim Deutschen Ski Verband schon die erhöhten Reisekosten, jedes Hotel ist teurer geworden, jede Tankfüllung für den Bus. Das Budget wächst nicht entsprechend mit.

Und langfristig hat der Wintersport einfach ein Problem mit dem Klimawandel. Die Gletscher werden immer weniger. Es gibt weniger junge Menschen, die in Schulzeiten auf Schnee kommen, weniger Schneetage, und das ist irgendwann ein Problem. Im Langlauf und Biathlon vielleicht weniger als beim Alpin, weil man viel auf Skirollern machen kann. Aber irgendwann, wenn es gar keinen Schnee mehr gibt in bestimmten Regionen, wird es auch keine Nachwuchs-Biathleten mehr geben. Und irgendwann ist es so warm, da hilft auch eine Schneekanone nicht. Denn um die einzusetzen muss es unter null Grad sein.

Und was macht der organisierte Wintersport dann?

Das ist eine Herausforderung. Die Alpinen fliegen nach Chile, um in den Sommermonaten auf den Gletscher zu kommen. Das kostet Geld. Und andererseits hat man weniger Nachwuchs.

Der Biathlon-Verband hat diesen Sommer in Ruhpolding die WM auf Skirollern mal größer aufgezogen. Also auf unseren Trainingsmitteln. Vielleicht ist das ein Zukunftsmodell, dass sich irgendwann eine Sommer-Linie etabliert. Also Biathlon ohne Schnee. Aber da blutet mir natürlich das Herz. Vielleicht sind wir bald eine Sommersportart und müssen dann auch mit den anderen Sommersportarten konkurrieren.

Dann dürfte auch Ihr Privileg der TV- Wochenenden fallen, um das der Sommer- und Hallensport die Winterkollegen so beneidet.

Das wird jetzt sowieso interessant wegen der Fußball-WM. Die grätscht uns ins Winterprogramm rein. Und da hat Biathlon als Zugpferd das Privileg, das wir trotzdem immer live sind, häufig am Vormittag. Vielleicht profitieren wir sogar von der WM weil viele schon früher einschalten. Aber andere Sportarten werden nur aufgezeichnet oder gestreamt. Bis zum WM-Finale am 18. Dezember ist für Wintersport erstmal nicht viel Raum.

WM-Gastgeber Katar ist umstritten, genauso hatten Sie zuletzt die Olympia-Ausrichterländer kritisiert. Nun geht es nach Paris und Cortina. Eine bessere Wahl?

Auf jeden Fall. Ich bin nach wie vor sehr kritisch, gerade bei China. Und es geht ja weiter mit solch absurden Wettkämpfen: Die Asia Winter Games sollen nach Saudi Arabien, sie wollen Wintersport in der Wüste machen. Da ist es zwar kalt, aber da ist wirklich null Niederschlag.

Cortina hingegen hat Tradition. Vielleicht sind wir Europäer auch arrogant, dass wir sagen wir wollen es so wie es immer war. Aber zumindest findet Olympia in einer Region statt, in der jedes Jahr Weltcups laufen. Da finde ich schon mal sehr sympathisch, dass alle Sportstätten weiter genutzt werden. Und ich glaube, es werden ganz tolle Spiele werden, weil die Region eine Wintersport-Region ist, die Begeisterung wird riesig sein, das wird nicht so steril ablaufen.

Bei den European Championships in München kam die Forderung auf, dass Deutschland einen neuen Olympia-Anlauf wagen solle. Eine gute Idee aus Ihrer Sicht?

Ich fände es gut – an Bedingungen geknüpft. Diese EM in München war ja ein super Event, eine tolle Werbung. Entscheidend ist für mich, dass es ein Nachhaltigkeitskonzept gibt, dass es für Familien attraktiv ist mit einer gewissen Vielfalt und ohne Gigantismus. Es sollten vorhandene Sportstätten genutzt werden, auch wenn dann vielleicht nicht alles auf einem Fleck über die Bühne gehen kann. Wenn neue gebaut werden, müssen sie weitergenutzt werden. Mit so einem Konzept könnte es funktionieren in Deutschland. Dann könnte so richtig Euphorie entstehen, ähnlich wie jetzt in München.

Haben Sie noch einen Tipp für Karriere-Beender?

Man sollte direkt wieder etwas machen. Egal was. Das ist mein Tipp. Wenn man denkt, ich mache erstmal ein paar Jahre nichts, dann ist das, denke ich, total ungesund. Ich würde depressiv werden. Man braucht Aufgaben und man braucht auch Erfolgserlebnisse, auch wenn das keine Medaillen mehr sind. Wobei du als Athlet das Problem hast, eine Aufgabe zu finden, die annähernd so cool ist, wie die, die man hatte.