Braunschweig. Jeder kennt sie: die gelben Tennisbälle. Ohne Martin Sklorz und die TU Braunschweig hätte es die Filzkugeln in der Form aber vielleicht nie gegeben.

Novak Djokovic drosch sich mit ihr gerade zu seinem siebten Triumph in Wimbledon. Und auch Jan-Lennard Struff prügelte bei seinem Erfolg beim ATP-Challenger-Turnier im Bürgerpark auf die Braunschweiger Erfindung ein. Nicht, weil die Innovation aus der Löwenstadt sie irgendwie grämen würde. Viel mehr hat er ihre Siegeszüge vielleicht sogar begünstigt. Die Rede ist vom gelben Tennisball. Der nämlich wurde in Braunschweig entwickelt.

Maßgeblich daran beteiligt war Martin Sklorz. Damals – Ende der 1960er Jahre – war Sklorz am Institut für Leibesübungen an der TU Braunschweig beschäftigt. Ihren Anfang nahm die Tennis-Revolution aber an der Theke. Eine echte Schnapsidee sozusagen. „Wir saßen mit ein paar Studenten in einer Kneipe im Magniviertel. Professor Rüssel, der damals einen Lehrstuhl für Psychologie in Braunschweig hatte, bestellte eine Runde Bier und fragte mich anschließend: ,Herr Sklorz, warum spielt man im Tennis eigentlich mit einem weißen Ball?’“, erinnert sich Sklorz. Richtig: Die Bälle, die die Tennisspieler hin- und herschlagen, hatten nicht immer das heute so signifikante Gelb.

Die Arbeit von Martin Sklorz rief Dunlop auf den Plan

Rüssel hatte sich vorher schon mit dem Thema Antizipation im Sport beschäftigt und mit Sklorz zusammengearbeitet. Der wiederum hatte bereits eine Abhandlung zum Thema der Farbe von Tischtennisbällen verfasst. Beide waren Wissenschaftler. Und jede wissenschaftliche Arbeit braucht bekanntlich eine zentrale Fragestellung. Die war ganz einfach: Ist ein weißer Ball für die Sportler ausreichend schnell zu erkennen? Oder gibt es eine Möglichkeit, die Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen – und damit das Spiel effektiver und attraktiver zu machen?

Nachdem Sklorz bei einem Kongress seine Erkenntnisse aus dem Tischtennis vorgetragen hatte, kam die Firma Dunlop auf ihn zu. Anschließend wendete sich der gebürtige Schlesier an den deutschen Tennisbund. „Dadurch entstand eine richtige Welle“, erinnert er sich. Sklorz wirkt routiniert, aber nicht gelangweilt, als er die Geschichte auf seiner in der Sommersonne gebadeten Terrasse erzählt – und das, obwohl er sie schon zum x-ten Mal vorträgt. Mittlerweile ist er 82 Jahre alt. Er wirkt aber nicht so, bewegt sich nach wie vor agil durch sein Haus in Walle. Auch von seiner Rhetorik hat er nichts eingebüßt.

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Talkum und Studenten halfen bei der Forschung zum gelben Tennisball

In den 60ern jedenfalls stürzten sich Sklorz und Co. in die Forschung. Den kompletten Sommer 1969 haben sie damit verbracht, testeten, werteten aus, zogen Schlüsse. Die Tennisschläger der Studenten schmierten sie mit Talkum ein und schossen ihnen verschiedenfarbige Bälle um die Ohren. Die Studenten feuerten sie zurück. Das Muster, das sich dabei in das Pulver auf den Schlägern gedrückt hatte, gab Aufschluss etwa über die Reaktionsschnelligkeit.

Ein wichtiges Gerät dabei war auch das Perimeter zur Messung des Gesichtsfeldes. Peripheres Sehen ist ein wichtiger Bestandteil beim Sport – auch wenn den Athleten das im Eifer des Gefechts kaum auffallen mag. „Ein weißer Punkt ist da nach 45 Grad nicht mehr zu sehen“, erklärt Sklorz, „ein gelber deutlich länger.“

Das sind die fünf Kriterien, die für den gelben Tennisball sprechen

Recht schnell war klar, dass die Farbe Gelb für die Filzkugeln am sinnvollsten war. Alle anderen fielen aus verschiedenen Gründen heraus. „Allerdings gibt es allein in Gelb 5000 verschiedene Farbschattierungen“, sagt Sklorz. Geeinigt haben sich die Forscher schließlich auf das so signifikante Grellgelb, das heutzutage wohl beinahe jeder mit einem Tennisball assoziiert.

Wie groß das Interesse an den Fortschritten war, zeigt das Engagement von Dunlop. Das Unternehmen – hauptsächlich bekannt für seine Reifenproduktion – schickte säckeweise Material nach Braunschweig, um die Forschung voranzutreiben. Fünf Kriterien kristallisierten sich heraus, bei denen die Farbe Gelb am besten abschnitt: das optimale periphere Sehen, die gute Wahrnehmungsfähigkeit, ein geringer Einfärbungseffekt, ein guter Kontrast zum Spielunter- und Hintergrund sowie der Aufforderungscharakter.

Wurde Martin Sklorz durch seine Erfindung reich?

Auch das Fernsehen hatte etwas davon. Schließlich ist die Signalfarbe Gelb an den Bildschirmen viel besser zu erkennen. Nicht nur die Sender aber profitierten, sondern auch die Sportartikelhersteller, die die Braunschweiger Erfindung zum Produkt machen konnten. Und Sklorz? Hat ihn die Tennisball-Revolution zu einem reichen Mann gemacht? „Nein“, antwortet er entschlossen. „Das war damals eine andere Zeit. Es ist keine D-Mark geflossen, was in der heutigen Zeit sicher unvorstellbar ist.“

Die Kriterien für ein Patent hätte der gelbe Ball wohl erfüllt. „Das wäre kein Problem gewesen“, sagt Sklorz. Enttäuscht ist er deswegen nicht. Verbittert schon gar nicht. Ihm sei es dabei nur um die wissenschaftlichen Veröffentlichungen gegangen. Das Thema Geld habe gar nicht zur Debatte gestanden.

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Neben dem Partykeller stapeln sich die Forschungsarbeiten

Dass Sklorz seine Forschung am Herzen liegt, wird bei einem Rundgang durch sein Haus schnell klar. In seinem Keller finden sich stapelweise Nachweise seiner Arbeit. Verstaut in diversen Schränken liegen sie, umsäumt von Enzyklopädien und Sachbüchern aus verschiedensten Disziplinen. Die Regale im Zimmer gleich neben dem Partykeller sind nach Themengebieten beschriftet. Von 1974 bis zum Jahr 2002 war Sklorz Leiter des Sportzentrums der TU. In dieser Zeit hat er sich wahrlich nicht nur mit Tennis beschäftigt. Erste Spielanalysen für den Fußball etwa hat er angefertigt. 20 Sportfachbücher hat er geschrieben.

Der gelbe Tennisball ist aber wahrscheinlich der nachhaltigste Beweis seines Schaffens – eben weil ihn jeder kennt. Die letzte Hürde nahm die Filzkugel spielend. So spielend, dass Sklorz selbst darüber auch heute noch ein wenig überrascht zu sein scheint. Denn eine gute Erfindung ist eben auch erst eine gute Erfindung, wenn sie der Stempel der Bürokratie ziert.

Der Tennis-Weltverband war von der Idee begeistert

Von der Braunschweiger Erfindung profitieren auch Novak Djokovic und Co.
Von der Braunschweiger Erfindung profitieren auch Novak Djokovic und Co. © AFP | SEBASTIEN BOZON

In diesem konkreten Fall heißt das: Der Ball musste in die offiziellen Regeln aufgenommen werden. „Das ging sehr schnell“, erinnert sich der 82-Jährige. Die Initiative des deutschen Tennis-Bundes sei enorm gewesen. Und die International Tennis Federation (ITF), der Tennis-Weltverband, nahm die Änderung des Regelwerks bereits bei der ersten Sitzung an.

Premiere feierte die neonfarbene Filzkugel mit der Musterbezeichnung „Gelb, RAL 1016“ dann im Jahr 1970 bei den Deutschen Tennismeisterschaften im Braunschweiger Bürgerpark. Um die Zuschauer auf die Änderung vorzubereiten, fand sich ein kurzer Erklärungstext im Programmheft. Darin hieß es unter anderem: „Es darf festgestellt werden, daß man auf dem Sektor der Farbgebung von Sportgeräten gravierende Rückstände beseitigen muß.“ Gesagt, getan.

Die Spieler waren überzeugt vom gelben Ball

Zwei Jahre später folgte die Anpassung des Regelwerks der ITF. Genau 50 Jahre ist das nun also her. Ende der 80er Jahre übernahm Wimbledon als letztes Grand-Slam-Turnier die gelben Bälle. Obwohl die Wettkampf-Veranstalter übrigens noch immer die Wahl haben. Die ITF erlaubt nach wie vor entweder gelbe oder weiße Bälle. Faktisch haben die gelben ihre Vorgänger aber längst vertrieben – sowohl von den Tennisplätzen als auch aus den Regalen der Sportfachgeschäfte.

Die Rückmeldungen der Sportler bei der Premiere der neuen Bälle in Braunschweig sei damals „absolut positiv“ gewesen, sagt Sklorz und fügt an: „Das war im Grunde genommen ein Selbstläufer.“ Djokovic und Struff werden in ihrem Leben als Tennissportler wohl noch nie auf einen weißen Ball eingedroschen haben. Ihren Sportskollegen aus dem Jahr 1970 hätten aber wahrscheinlich auch sie zugestimmt.