Braunschweig. Die Fußball-Nationalspielerin des VfL Wolfsburg spricht im Interview über das Spiel vor 90.000 Fans in Wembley und die Entwicklung des Frauenfußballs.

Die Kapitänin ist an Bord für das große Spektakel. Gerade noch rechtzeitig hat Alexandra Popp vom VfL Wolfsburg ihre Verletzung auskuriert und bereitet sich mit den deutschen Fußballerinnen auf das Freundschaftsspiel gegen England im Londoner Wembleystadion vor (Samstag, 18.30 Uhr, Eurosport). Die 28-Jährige sprach im Interview über ihre Vorfreude, vor 90.000 Fans aufzulaufen, ihre Erwartungen an das Spiel und die Entwicklung des Frauenfußballs.

Frau Popp, hat die Aussicht auf das Spiel im Wembley Ihnen bei der Genesung nach dem Außenbandriss geholfen?

Ja, das kann man so sagen. Natürlich war ich erstmal enttäuscht, weil ich dachte, ich schaffe das nicht. Aber dann war mein Ehrgeiz geweckt in der Reha-Phase. Und ich hatte unsere medizinische Abteilung hinter mir und bin sehr dankbar, dass es geklappt hat. Auch dem Verein, der mir das Go gegeben hat, dass ich jetzt hier sein darf.

Hatten Sie da Bedenken?

Na ja, wir haben ja mit dem VfL gleich zwei Top-Duelle nach dem Länderspiel, im Pokal und in der Liga gegen die Bayern. So etwas ist immer schwierig. Aber der VfL wusste, wie wichtig dieses Spiel für mich ist, und zum Glück haben sie ja gesagt.

Wie wichtig ist Ihnen denn das Spiel?

Na ja, in Wembley vor 90.000 Leuten zu spielen, das passiert im Frauenfußball ja nicht jeden Monat. So ein Event ist für jeden Fußballer und jede Fußballerin etwas ganz Besonderes. Allein in Wembley zu spielen, weil es so eine große Geschichte hat, und dann noch vor so vielen Zuschauern. Das ist für uns alle ein ganz, ganz großes Ding. Außerdem bin ich ja nicht mehr die Jüngste, wer weiß, ob so eine Chance nochmal kommt. Von daher ist es schon sehr wichtig für mich, dabei zu sein.

Wissen Sie, welches die größte Zuschauerkulisse war, vor der sie je gespielt haben?

Das ist schwierig. Ich schätze, es war das Eröffnungsspiel 2011 unserer Heim-WM in Berlin mit mehr als 70.000. Aber sicher bin ich nicht, es könnten auch in den USA mal noch mehr gewesen sein.

Spielt es sich anders in einem vollen Riesen-Stadion?

Ich mag das sehr, weil die Emotionen und die Stimmung einen leiten und führen. Egal, ob das Stadion für oder gegen die eigene Mannschaft ist. Man saugt das einfach auf und nimmt es unterbewusst ins Spiel mit. Ich hoffe für unser Team, gerade die jungen Spielerinnen, dass es diesmal auch diesen Effekt gibt und wir uns in eine Art Rausch spielen.

Wie bereiten Sie sich auf diese Ausnahme-Kulisse vor? Nicht dass die jungen Spielerinnen zu nervös sind.

Man redet natürlich drüber, aber was genau passiert, wird man erst am Samstag wissen. Allerdings merke ich, dass die Vorfreude bei allen riesengroß ist, was schon mal gut ist. Da ist keine, die Bedenken hat oder unsicher ist, sondern es geht in eine positive Richtung. Alle freuen sich auf das Stadion und das Spiel, das ist schon eine gute Voraussetzung.

Fühlen Sie sich privilegiert gegenüber den Mitspielerinnen, die nicht dabei sein können? Werden ihre verletzten VfL-Kolleginnen Almuth Schult und Svenja Huth die Partie wenigstens von der Tribüne miterleben?

Almuth kommt, soviel ich weiß, nach London, bei Svenni bin ich nicht sicher. Ich denke, alle, die für die Nationalmannschaft nominiert werden, sind privilegiert. Da kann man nicht ein Spiel eine Stufe höher ansetzen. Es ist ja auch bloß ein Freundschaftsspiel, nur eben mit einem speziellen Hintergrund, der es noch schöner macht.

Der Frauenfußball scheint inzwischen anderswo in Europa einen höheren Stellenwert zu haben als in Deutschland. Oder wird er nur besser vermarktet?

Ein Spiel im Wembley-Stadion, das für sich genommen schon eine Marke ist, lässt sich natürlich gut verkaufen. Und in England passiert in dieser Richtung viel im Frauenfußball, was gut ist. Die haben sich unter den Top-Vier der Welt etabliert, Fußball hat an sich schon ein hohes Ansehen im Land. Außerdem wird momentan viel gearbeitet, weil England 2021 die EM ausrichtet. Es wäre schön, wenn es bei uns auch wieder in so eine Richtung gehen würde. Wir sind da bereits im Austausch mit dem Verband.

Warum bekommen die Engländerinnen ihren Fußballtempel voll für ein Frauen-Testspiel?

Da weiß ich keine Details. Nur, dass Kinder unter 16 Jahren das Ticket für ein Pfund bekommen. Mit solchen Aktionen ist es einfacher, ein Stadion voll zu bekommen. Man möchte seinen Sport aber eigentlich nicht unter Wert verkaufen und muss mal abwarten, was in den nächsten Jahren in Deutschland möglich ist. Fakt ist: die haben tatsächlich 90.000 Karten verkauft. Und nun hoffe ich erstmal, und die Engländerinnen auch, dass auch alle Ticketkäufer kommen und es ein tolles Spiel wird.

In England, Spanien oder Frankreich werden auch bei besonderen Ligaspielen der Frauen die Stadien der Männer voll. Ist es denkbar, dass Sie schon bald mal in der vollen VW-Arena oder Allianz-Arena in München auflaufen?

Na ja, wir sind ja schon in der VW-Arena deutscher Meister und haben Champions-League-Spiele gemacht. Es ist also möglich. Gegen Olympique Lyon war es zum Champions-League-Viertelfinale im Vorjahr auch angedacht, ins große Stadion zu wechseln. Aber dann war uns wichtiger, unser AOK-Stadion voll zu bekommen, was ja auch gelungen ist. Es war eine tolle Atmosphäre. Trotzdem wünsche ich mir, dass es mal klappt, die große Arena zu füllen. Die Frage ist nur: Wie?

Haben Sie angesichts der starken Entwicklung im Ausland konkrete Forderungen oder Wünsche an den Verband oder ihren Verein?

Wir sind ja bereits am Reden, dass man mehr Marketing machen sollte für den Frauenfußball. Mehr bleibt uns Spielerinnen ja nicht, umsetzen müssen es andere. Man merkt aber schon, dass sich beim DFB etwas bewegt. Auch durch den neuen Präsidenten Fritz Keller, der auch hier zu unserem Lehrgang kommen wird. Wir hoffen einfach, dass wir es hinkriegen, in ein paar Monaten oder Jahren auch wieder in vollen Stadien zu spielen. Für nächstes Jahr ist schon ein spezielles Event angedacht. Und jetzt in Wembley werden DFB-Leute vor Ort sein und sich mit den Engländern austauschen. Das ist schon mal ein wichtiger Schritt in eine gute Richtung.

Hat der Frauen-Mannschaftssport in Deutschland vielleicht ein zu geringes Ansehen? Ist er in der Gesellschaft nicht akzeptiert genug als attraktiver Leistungssport?

Das ist schwer zu bewerten. Ich finde schon, dass die Anerkennung sehr hoch ist. Klar reden Leute davon, dass Frauenspiele langweilig wären und nicht so schnell. Aber wir gehen genauso an die körperliche Leistungsgrenze wie die Männer. Wenn man Bilder von vor zehn Jahren mit den heutigen vergleicht, sieht man ja, dass Athletik und Tempo um einiges gestiegen sind. Ich will den Leuten die Anerkennung nicht absprechen. Aber eine Optimierung geht natürlich immer.

Durch das Viertelfinal-Aus bei der WM haben Sie die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio verpasst und im nächsten Sommer keinen Höhepunkt. Welchen Stellenwert hat das Spiel in England vor diesem Hintergrund?

Der ist sehr groß, auch wenn es nicht um Punkte geht. Wir brauchen Spiele gegen Mannschaften, die mit oben in der Weltspitze stehen. Das Spiel ist immens wichtig, denn wir werden sehen, welche Schritte wir schon gemacht haben und was noch zu tun ist. Wir wollen ja immer besser werden, und dafür ist dieses Spiel vor dieser Kulisse natürlich eine bessere Plattform als ein EM-Qualifikationsspiel gegen einen klar unterlegenen Gegner.

Was dürfen die Fans von Ihrer Mannschaft erwarten? Was wünschen Sie sich für das Spiel?

Dass wir möglichst selbstbewusst auftreten, mutig nach vorne spielen und nach vorne verteidigen, die Engländerinnen früh unter Druck setzen, Tore schießen und das Spiel gewinnen. Wir wollen die 85.000 Zuschauer, die für England schreien, bändigen und Wembley zum Schweigen bringen.

Zuschauerzahlen Frauenfußball

Der Weltrekord liegt bei 90.185 Fans im WM-Finale USA gegen China 1999. In England sahen 80.023 Zuschauer das Olympische Finale 2012 zwischen den USA und Japan.

In Deutschland kamen jüngst zur EM-Quali 5504 Besucher nach Aachen. Bei der Heim-WM 2011 waren es 26.428 pro Partie, das Eröffnungsspiel in Berlin gegen Kanada sahen 73.680 Zuschauer.

Die Frauen-Bundesliga hat den Schnitt von 800 auf knapp mehr als 1000 gesteigert. Das Pokal-Finale 2019 Wolfsburg gegen Freiburg verfolgten in Köln 17.048 Zuschauer – weniger als in den Vorjahren. In England sahen das Manchester-Derby 31.213 Besucher, in Spanien kamen 60.739 zu Atletico Madrid gegen Barcelona,