Wolfsburg. Der neue VfL-Stürmer spricht im Interview über seine Besessenheit, besser zu werden. Und über eine besondere Begegnung.

. Es sind gefühlsintensive Tage für Wout Weghorst. Der 26 Jahre alte Angreifer des VfL Wolfsburg kam für elf Millionen Euro vom AZ Alkmaar zum Fußball-Bundesligisten, wurde kürzlich Papa und erzielte in Leverkusen seinen ersten Treffer im neuen Trikot. Mit Redakteur Leonard Hartmann sprach der 1,97 Meter lange Sturmhüne über Ziele, Hürden und einen beeindruckenden Freund.

Auf Ihren linken Arm haben Sie sich die Jubelpose nach Ihrem ersten Tor für Alkmaar gegen Ajax tätowiert. Folgt darauf jetzt eines auf dem rechten Arm nach Ihrem Treffer gegen Leverkusen, Herr Weghorst?

(Lacht). Nein, ich denke nicht. Das Tattoo auf dem linken Arm ist eine Erinnerung an mein erstes Spiel in der höchsten niederländischen Klasse, in dem ich sofort ein Tor erzielt habe. Das war ein sehr spezieller Moment für mich. Der Moment, in dem ich wirklich im niederländischen Profifußball angekommen bin. Es fühlte sich wie der echte Start an. Daher werde ich nun nicht ein neues Tattoo machen lassen, wenn ich irgendwo ein Tor schieße. Mit Tattoos bin ich ohnehin fertig. Alle, die ich trage, haben einen Grund und erzählen etwas über mich, die Story meines Lebens. Auf dem Oberarm steht zum Beispiel ein Text, den ich selbst geschrieben habe über meine Familie, meine Brüder und die Religion. Ich lebe den Glauben auf meine Art. Wenn ich einen freien Tag habe, gehe ich in die Kirche, ansonsten bete ich meistens nach dem Aufstehen und vor dem Schlafen. Dabei war meine Familie nie besonders religiös. Ich habe einfach vor ein paar Jahren herausgefunden, dass es mir Kraft und Stabilität gibt.

Sie sind mit drei Brüdern aufgewachsen. Einer ist jünger, zwei sind älter als Sie. Wie war das?

Mit meinem kleinen Bruder habe ich am meisten Fußball gespielt. Im Kindergarten, in unserem Garten, aber auch zu Hause. Wir hatten in unserem Schlafzimmer zwei provisorische Tore aufgebaut, auf die wir immer gekickt haben. Unsere Eltern hätten lieber gesehen, dass wir draußen spielen, aber uns hat es dort oben immer viel Spaß gemacht. Er ist wirklich gut und spielt in der ersten Mannschaft von RKSV NEO. Meine älteren Brüder haben auch gespielt, aber der älteste musste wegen vieler Verletzungen schon früh aufhören. Der andere spielt nur noch aus Spaß. Wir sind sehr eng verbunden, haben eine gute Beziehung.

Haben die drei Ihr Tor in Leverkusen gesehen?

Nein, gegen Schalke waren sie hier. In Leverkusen waren sie nicht.

Sind Sie so abergläubisch, dass Sie Ihren Brüdern nun den Stadionbesuch daher untersagen?

Das werde ich ihnen sicher nicht verbieten (lacht). Ich habe zwar meine Rituale, aber die sind mit der Zeit weniger geworden. Mir geht es vor allem darum, in den richtigen mentalen Zustand für das Spiel zu finden. Das beginnt schon am Abend vor jeder Partie. Da spreche ich noch einmal mit einer Freundin oder mit meinen Brüdern und flachse herum. Aber am Spieltag geht es nur um die Partie. Ich baue meinen Fokus langsam auf, bis ich bereit bin. Und wenn ich raus auf den Rasen gehe, ist der Fokus immer bei 100 Prozent.

Haben Sie das schon immer so gehandhabt?

Ja, das war bei mir schon immer so. Natürlich verfeinern sich die Abläufe mit der Erfahrung immer weiter, und ich finde immer besser heraus, was gut für mich ist und was funktioniert. Am Spieltag bin ich beispielsweise für private Gespräche nicht mehr zu gebrauchen. Da spricht dann niemand mehr mit mir. Drei, vier Stunden vor jeder Partie schalte ich das Handy aus. Und dann versuche ich, ins höchste Konzentrationslevel zu finden.

Sind Sie besessen vom Besserwerden?

Ja. Für mich gibt es keinen anderen Weg. Es ist nicht immer einfach, aber so bin ich nun mal. So war ich bisher erfolgreich, so bin ich hier hergekommen. Und ich werde so weitermachen. Es gibt keine Option für mich, es anders zu machen.

Schaut man auf Ihren Karriereverlauf, fällt auf, dass Sie regelmäßig neue Entwicklungsstufen genommen haben. Vom FC Emmen zu Heracles, dann nach zwei Jahren zu Alkmaar und nun nach wieder zwei Jahren in die Bundesliga zum VfL. War das der Karriereplan?

Genau diesen Weg hatte ich mir vorgenommen. Ich weiß nicht mehr, wie alt genau ich damals war, aber ich habe schon in meiner Jugend einen klaren Plan verfolgt. Ich habe immer gesagt: Ich werde Fußballer. Ich habe nie gesagt: Ich will Fußballer werden. Und dann wurde ich irgendwann 18 Jahre alt und habe immer noch an der Seite von Amateuren gespielt. Die haben freitags vor unseren Spielen noch Bier getrunken – aber ich wollte doch Profi werden. Damals hat es noch nicht geklappt. Doch ich habe mein Ziel nie aus den Augen verloren. Ich habe mir weiter gesagt: Ich werde Fußballer. Und ich habe immer daran geglaubt.

Hatten Sie nie Zweifel?

Natürlich wusste ich, dass es nicht leicht wird. Jeder zweifelt und überlegt von Zeit zu Zeit. Aber am Ende war ich voller Überzeugung, dass ich dahinkommen werde, wo ich hin will. Und jetzt bin ich hier, spiele in der Bundesliga für den VfL Wolfsburg. Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich denke, dass es in diesem Moment meiner Karriere der beste Platz für mich ist. Der Schritt nach Wolfsburg war goldrichtig für mich.

Und der Start verlief perfekt.

Er war ganz gut.

Nicht perfekt?

Nein, perfekt gibt es für mich nicht. Wenn ich in der Schlussminute den Siegtreffer für mein Team erzielen würde, wäre das toll und sehr gut. Aber nicht perfekt. Nach dem Sieg gegen Leverkusen etwa haben Leute von einem perfekten Spiel gesprochen. Ich habe in dem Spiel viel gearbeitet und dazu noch ein Tor gemacht, also war es ganz gut. Aber ich habe auch in der 6. Minute eine Chance ausgelassen, die ein Tor sein kann. Und ich denke eher daran, wie ich diese Situation beim nächsten Mal besser lösen kann. Das ist der Perfektionist in mir.

Muss man Sie bremsen?

Meine Freundin versucht es, ebenso wie mein Berater. Sie sagen: Wout, lass die Extraeinheit ruhig auch mal aus. Aber ich kann nicht anders. Ich muss das machen.

Haben Sie sich ein Vorbild an jemandem genommen?

Nein, zu anderen aufzuschauen, ist nicht mein Ding. Da draußen gibt es niemanden, der so ist wie ich. Ich schaue nur auf mich, das ist mein Weg.

Sind Sie über die Geschwindigkeit Ihrer Entwicklung manchmal selbst überrascht?

Meist kann man Entwicklungen in Echtzeit gar nicht wahrnehmen, weil es so schnell geht. Aber wenn ich auf die Zeit zurückschaue, in der damals alles für mich begann und dann erkenne, wo ich heute bin, war das schon schnell. Aber ich habe einfach immer die Aufgabe angenommen, die mir gestellt wurde und bin mit ihr gewachsen. Es hat immer funktioniert. Ich habe einfach diese Überzeugung in mir: Wenn du etwas wirklich willst, du an etwas glaubst oder für etwas stehst, dann kannst du es schaffen.

Was machen Sie denn, wenn Sie Ihre Karriere irgendwann beenden und im Fußball nichts mehr zu tun haben?

Nichts mehr (lacht). Ich versuche, so viel wie möglich mit dem Fußball zu erreichen. Wenn ich meine Karriere beendet habe, will ich nur noch Dinge machen, die mir Spaß machen.

Was denn, zum Beispiel?

Ich mag es, Menschen zu helfen. In den vergangenen zwei Jahren habe ich mit alten Leuten gearbeitet, die einsam waren und keine Familie oder ähnliche Bezugspersonen mehr hatten. Ich hatte im Fernsehen eine Sendung darüber gesehen und habe meiner Freundin gesagt: Das will ich machen. Dann habe ich in Alkmaar regelmäßig einen alten Mann getroffen. Wir sind spazieren gegangen, haben etwas gespielt und uns unterhalten. Fußball war fast nie Thema. Er bekam zwar irgendwann mit, dass ich Fußballer war, aber das spielte für uns beide keine Rolle. Ich habe das als Mensch getan, nicht als Fußballer.

Wie ging es weiter?

Am Ende waren die Themen oftmals ernster, weil es ihm nicht mehr gut ging. Aber die Treffen fanden natürlich weiter statt. Wenn ich den Raum nach unseren Treffen verlassen habe und er ein Lächeln im Gesicht hatte, wusste ich, dass es sich gelohnt hat. Er hat mir viele Dinge mitgegeben, über die ich später noch nachgedacht und aus denen ich gelernt habe. Er starb dann, was mir sehr naheging. Aber ich habe gemerkt: Menschen zu helfen, gibt mir ein wirklich gutes Gefühl.

Hat Sie diese Erfahrung sensibilisiert, dass es ein Leben außerhalb des Glitzergeschäfts Fußball gibt?

Nein, das wusste ich schon. Ich war mit 18 noch Amateur, daher war mir immer klar, dass es ein Leben außerhalb des Fußballs gibt. Und ich denke, das ist einer der Gründe für meine Einstellung: Wenn du etwas erreichen willst, dann musst du auch hart dafür arbeiten und dann kannst du es schaffen.

Bei den VfL-Fans scheint Ihre Einstellung gut anzukommen, Sie erhalten große Anerkennung.

Ich habe mitbekommen, dass die Fans mir bei meinen ersten Einsätzen applaudiert haben, und das ist natürlich ein tolles Gefühl. Den Leuten gefällt meine Art und Weise zu spielen. Sie schätzen, dass ich immer arbeite. Das spüre ich. Der VfL ist ein Arbeiterklub. Es ist nicht selbstverständlich, auf dem Rasen vor den Fans zu spielen. Dafür muss man arbeiten.