Braunschweig. Samstag vor zehn Jahren übernahm der gebürtige Pfälzer den Job des Profitrainers bei Eintracht Braunschweig.

Würde Eintracht Braunschweig im gesicherten Mittelfeld der Tabelle stehen, wäre wahrscheinlich alles ganz leicht. Dann hätte sich Torsten Lieberknecht bestimmt sogar für ein Interview Zeit genommen. Man feiert ja nicht alle Tage sein zehnjähriges Dienstjubiläum – schon gar nicht als Trainer einer Mannschaft im Profi-Fußball. Arsene Wenger hat es nun auf 22 Jahre beim FC Arsenal gebracht, Sir Alex Ferguson schaffte 27 bei Manchester United und ein gewisser Guy Roux hat den französischen Klub AJ Auxerre sogar 44 Jahre trainiert – mit kleinen Unterbrechungen. Rekordhalter in den deutschen Profi-Ligen ist Volker Finke mit 16 Jahren als Chefcoach des SC Freiburg.

Ansonsten sind Trainer-Karrieren eher kurzweilig. In der 2. Liga sind 10 von 18 Trainern weniger als ein Jahr im Amt. Die zehn Jahre, die Lieberknecht am morgigen Samstag als Trainer von Eintracht Braunschweig vollmacht, sind also schon etwas Besonderes. Eintrachts Meistercoach Helmut Johannsen hat er mit der Anzahl seiner Dienstjahre auch schon vor geraumer Zeit hinter sich gelassen.

Doch trotz des Jubiläums und obwohl diese zehn Jahre Lieberknecht bei Eintracht mit der fast wundersamen Rettung vor dem Absturz in die Viertklassigkeit 2008, dem Aufstieg in die 2. Liga 2011 und der einjährigen Rückkehr in die Bundesliga 2013 in weiten Teilen eine Erfolgsgeschichte waren, will weder bei den Blau-Gelben noch beim Coach selbst so etwas wie Feierstimmung aufkommen.

Keine großen Interviews, wohl nur eine kleine Würdigung auf der Internetseite des Vereins – und auch der Dank der Fans, die Lieberknecht bereits beim vergangenen Heimspiel gegen den FC Ingolstadt mit einer riesigen Choreo geehrt hatten, geriet irgendwie zu einer bizarren Nummer.

Während eine seit Wochen fast leblose Lieberknecht-Elf in Richtung Abstieg taumelt und die Fragezeichen hinter der Zukunft des Trainers immer größer werden, feierten Teile der Anhänger den 44-Jährigen, als wäre nichts gewesen. Der wusste wohl selbst nicht, wie er sich bei diesem Widerspruch verhalten sollte, und wirkte in einem für seine Mannschaft so wichtigen Spiel zeitweise abwesend und teilnahmslos. „Ich sehe es als Wertschätzung der Arbeit, die wir alle bei der Eintracht in den vergangenen Jahren geleistet haben“, wird Lieberknecht auf der Eintracht-Homepage zitiert.

Der Abstiegskampf und damit auch die Krise des Systems Lieberknecht machen es im Moment unmöglich, das zehnjährige Jubiläum dieser Ära entsprechend zu würdigen. In den sozialen Medien liefern sich Pro- und Contra-Fraktion seit Monaten einen verbalen Schlagabtausch. Für die einen ist der gebürtige Pfälzer überschätzter Zauberlehrling, der die Eintracht nach dem Höhenflug wieder in Richtung Abgrund führen wird. Für die anderen ist er eine blau-gelbe Heiligenfigur, die auch noch aus einer Ansammlung mittelmäßiger Hobbyfußballer eine gute Profimannschaft formen würde.

Dazwischen gibt es fast nichts mehr. Der Riss, der im Moment durch die Eintracht-Familie geht, fokussiert sich vor allem auf die Person Torsten Lieberknecht.

Das ist das Problem mit diesem Jubiläum. Zehn Jahre sind an sich schon eine tolle Leistung, dazu war es über weite Strecken eine erfolgreiche Zeit. Doch eine Würdigung kommt im Moment zur falschen Zeit. Jahrelang waren Porträts über ihn einfach zu schreiben. Sie begannen mit dem bodenständigen Menschen Lieberknecht aus der Pfalz, wurden fortgeführt über den Spieler, der als Kämpfer im Mittelfeld in Kaiserslautern, Mainz und am Ende seiner aktiven Karriere in Braunschweig die Knochen hinhielt und endete mit der Geschichte vom Erfolgscoach. Der, der am 12. Mai 2008 als A-Jugendtrainer auf die Eintracht-Geschäftsstelle eilte, sie als Profitrainer verließ und mit sieben Punkten in drei Spielen die Qualifikation für die 3. Liga sicherte und damit die Basis für den Aufschwung legte, der die Löwen anschließend erfasste.

Doch wenn die Rückkehr in die Bundesliga nach 28 Jahren die Krönung dieser Entwicklung war, dann befindet sie sich vielleicht jetzt kurz vor dem Tiefpunkt. Bereits einen Tag nach dem Jubiläum könnte die Ära Lieberknecht mit dem Spiel in Kiel zu Ende gehen. Die Möglichkeit eines Abstiegs liegt darüber wie ein Schatten. Vielleicht wird erst eine gewisse Zeit diesen wieder vertreiben, wenn sich die Aufregung und die Übertreibungen – sowohl die positiven wie die negativen – gelegt haben.

Dann wird man vielleicht auch wieder ganz nüchtern sehen können, was dieser Mann vor allem war: ein Glücksfall für die Eintracht.