Braunschweig. Berühmt als Sex-Talkerin und Moderatorin der Schmidts Mitternachts-Show spielt Lilo Wanders in Braunschweigs Stadtpark „Ein Käfig voller Narren“.

Als käme ein Weltstar direkt vom Flughafen: Das blonde Haar glänzt in der Sonne, das golddurchwirkte Kostüm umspielt die weiblichen Formen, mit einem riesigen schwarzen Ziehkoffer stakst Lilo Wanders über den Waldboden des Stadtparks dem Heinrich-Restaurant zu. Fast eine unwirkliche Erscheinung. Aber bei einer Zigarette auf der Veranda wird der St.-Pauli- und Fernseh-Star in der Kleinstadt wieder so handfest und direkt wie in seinen Rollen: „Ich mag kleine Städte. In der Großstadt lebt man doch auch bloß in seinem Kiez“, sagt sie. Noch bis 24. September spielt Lilo Wanders im Braunschweiger Stadtpark den Travestie-Star Zaza im Stück „Ein Käfig voller Narren“.

Das Ensemble von „Ein Käfig voller Narren“, eine Produktion der Komödie am Altstadtmarkt, die zurzeit im Braunschweiger Stadtpark zu sehen ist.
Das Ensemble von „Ein Käfig voller Narren“, eine Produktion der Komödie am Altstadtmarkt, die zurzeit im Braunschweiger Stadtpark zu sehen ist. © Komödie am Altstadtmarkt | imagemoove

Sie geben das Interview und stehen auf dem Besetzungszettel als Lilo Wanders, also als die Kunstfigur, die der Schauspieler Ernie Reinhardt geschaffen hat. Kommt man da als Figur, die eine Rolle spielt, im Stück nicht etwas durcheinander?

Man denkt auf der Bühne nicht, man muss ganz im Spiel sein. Auch wenn ein Fehler passiert, darf ich nicht rückwärts schauen, woran das jetzt lag, sondern muss weitermachen, sonst fliegt alles auseinander. Auf der Bühne reflektiere ich meine eigene Identität nicht. Gerade in diesem Stück bin ich mit mir eigentlich ziemlich deckungsgleich. Insofern werde ich vielleicht gerade etwas poröser für den Schauspieler Ernie Reinhardt, der als Lilo Wanders auf der Bühne steht. Denn ich spiele ja den schwulen Mann Albin, der sich für seine Cabaret-Auftritte in den Travestie-Star Zaza verwandelt.

Würden Sie als Ernie Reinhardt auch gern andere, männliche Rollen übernehmen?

Das ist eigentlich mein großer Traum. Ich hatte schon einige kleinere Auftritte in Fernsehspielen, da stand ich, glaube ich, nicht mal im Abspann. Immerhin hatte ich eine schöne Szene als Barkeeper mit Christoph Waltz. Ich hätte auch Lust auf Tatort-Kommissar, wenn man da mal einen schrägen Mann wie mich nehmen würde.

Ein befreundeter Regisseur will sogar Shakespeares „Lear“ mit mir machen, in einer sehr speziellen Konstellation. Zur Shakespeare-Zeit wurden ja auch die Frauenrollen von Männern gespielt, und es gibt ein Gerücht, dass die Darsteller von Lears Töchtern alles Geliebte des Lear-Darstellers waren. Wenn man diese Geschichten übereinanderbringen würde, fände ich das sehr interessant. Leider hat Corona erstmal alles zerschlagen.

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Als freien Schauspieler trafen Sie ja die Lockdowns sehr direkt. Die Theater hatten monatelang zu, Veranstaltungen waren verboten.

Über die Monate bekommt man nicht nur materielle, sondern auch seelische Entzugserscheinungen. Ich weiß, dass es vielen Menschen so ging, nicht nur Künstlern. Aber wir Künstler sind vielleicht besonders narzisstisch und brauchen die öffentliche Wirkung noch mehr. Jeder Auftritt jetzt ist eine riesige Freude. Mit 65 kommt ja langsam das Ende des Berufs in Sicht. Da ist es besonders bitter, wenn Projekte nicht zustandekommen. Vor Corona hatte ich hundert Auftritte im Jahr. In diesem waren es bislang vier.

Aber jetzt kommt ja die Serie von „Käfig voller Narren“-Vorstellungen hier in Braunschweig.

Darauf freue ich mich. Wir haben das Stück ja vor Corona schon auf Tournee gespielt. Florian Battermann hat es jetzt noch etwas eingestrichen. Das Bühnenbild ist hier draußen am Pavillon auch kleiner, dadurch ändert sich manches an der Inszenierung. Ich bin da vor der Premiere schon etwas aufgeregt.

Bekannt sind ja der Film und das Musical mit dem Hit „I am what I am“. Es geht um das Schwulenpaar Albin und Georges, dessen Sohn die Tochter eines konservativen Politikers heiraten will. Da die Vorzeigemutter fehlt, springt Albin ein. Nun könnte man sagen, das ist nicht mehr sehr brisant.

Zum Glück leben wir in toleranteren Zeiten. Und dem jungen Paar wäre heute die Zustimmung der Eltern im Zweifelsfall schnuppe. Aber dass es so konservative Eltern heute noch gibt, glaube ich sofort. Gerade in der Schauspielfassung nehmen wir die Texte sehr ernst. Bei aller Albernheit, die drumherum herrscht, sie muss aus einer Verzweiflung heraus entstehen, und je weniger ein Ausweg sichtbar ist, umso absurder werden die Lösungsversuche. Das darf dann auch etwas Klamotte sein, das ist doch herrlich. Wir machen dabei ja die Zuschauer zu Komplizen und zeigen, wie gaga es ist, noch so ein trautes Familienidyll vorspielen zu wollen.

Als ich die Filmfassung des Stücks zum ersten Mal im Kino sah, habe ich immer an ganz anderen Stellen gelacht als der Rest des Publikums. Das mit den Frauenkleidern war für mich nicht so interessant. Mich hat diese Ehegeschichte angesprochen, was da läuft, wenn einer von beiden nicht mehr so vorzeigbar ist. Albin hat ja Probleme mit seinem Altern, das spricht mich jetzt als nicht mehr 50-Jährigen auch an der Rolle besonders an.

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Travestie-Shows sind in der Komödie am Altstadtmarkt meist ausverkauft. Der „Käfig voller Narren“ ist auf den Bühnen meist ein Renner. Dabei ist Travestie dann aber doch meist bloß ein Unterhaltungsmoment und oft ja auch komisch überzeichnet.

Genau genommen ist Lilo Wanders ja keine Drag Queen wie Olivia Jones, sondern ich bin Damen-Darsteller und überzeichne nicht.

Stimmt, Ihre Figur ist eher bissig als komisch. Wie ist sie entstanden?

Die erste Fassung entstand für ein Theaterstück im Schmidt-Theater und war eine ziemlich grelle Persiflage auf Evelyn Künneke. Ich hatte mal ein Interview mit ihr gemacht, wo sie mich gnadenlos abgekanzelt hat. Aber ich hatte es auch denkbar ungeschickt angefangen, indem ich erzählte, dass ich ihre ganzen Aufnahmen auf Schellackplatten von meinem Vater geerbt hätte.

Wir haben uns später übrigens angefreundet. Sie hat mich im Schmidt-Theater in dem Stück gesehen, wo ich sie nachmachte, und rief rein: „Genau so war’s“. Sie war ja dann auch Gast in der Schmidt-Show, und ich habe sie am Ende richtig geliebt. Als sie schon todkrank war, bin ich sogar mal für sie eingesprungen.

Die zweite Fassung der Lilo Wanders entstand dann für die Schmidt-Mitternachtsshow, das war die bissige Moderatorin mit dem Sex-Hobby. Als Vox dann für „Wa(h)re Liebe“ anfragte, sollte ich auch so eine Art Karl Dall in Blond sein, der seine Gesprächspartner runtermacht. Aber das wollte ich nicht. Wenn ich mit den Menschen über Sex reden sollte, konnte ich ihnen ja nicht bösartig begegnen. Also wurde die dritte Fassung der Lilo Wanders eigentlich sehr ernsthaft und den Menschen zugewandt. Zehneinhalb Jahre habe ich so die Sexpertin gegeben. Mir ging es dabei immer um Aufklärung, aber Spaß gehört ja auch zum Sex.

Man kann heute sicher sagen, dass Sie das Thema aus der Schmuddelecke geholt haben. Und Sie haben im Zeitalter von Aids wichtige Aufklärung geleistet. Kann man sagen, die Sendung ist überflüssig geworden, weil sie zu erfolgreich war?

Es gab von Spiegel-TV, unserem Produzenten, tatsächlich die Idee, die Sendung nochmal aufleben zu lassen. Es wäre mir dann noch mehr um Aufklärung gegangen. Aber die jungen Leute gucken ja kein Fernsehen mehr, und wir hätten es für die Zielgruppe von einst gemacht: Dafür hätten wir altes Material vorgeholt, mit der Gegenwart verglichen. Hat sich aber auch wegen Corona zerschlagen.

Nach meinen Auftritten vertrauen mir die Menschen ja immer noch manches an. Eine junge Frau erzählte, dass sie mit einer männlichen Jungfrau geschlafen habe, der habe sich aufgeführt wie im Porno. Sie habe ihm erstmal erklären müssen, dass es hier nicht um Hochleistung geht. Mir war immer wichtig, beseelten Sex in den Vordergrund zu stellen. Heute, wo jedem im Internet der schnelle Zugriff auf Pornos möglich ist, muss man behutsam regulieren und erklären, dass neben dem Triebabbau die Gefühlsebene wichtig ist. Ich sage immer, geküsstes Fleisch leuchtet, dann ist man auch zu den Mitmenschen freundlicher.

Sie selbst sind schwul, mit einer Frau verheiratet, haben inzwischen erwachsene Kinder. Was ist die wahre Liebe?

Es gibt viele Lieben. Es gibt Paare, die nach Jahrzehnten noch voll aufeinander abfahren, es gibt entsagungsvolle und freundschaftliche Beziehungen. Viele Leute erzählen ja, dass nach einem gemeinsamen Arbeitstag im Homeoffice die Neugier aufeinander nicht mehr groß ist. Ich plädiere immer für getrennte Wohnungen, wenn’s geht – „nur zusammen bei Verlangen“. Mir haben Fernbeziehungen immer gutgetan. Im Alter spielen körperliche Ideale auch nicht mehr so eine große Rolle. Über welke Haut lässt sich hinwegsehen, wenn man nur etwas Humor hat. Menschen, die sich im Alter gefunden haben, berichten mir immer, dass sie ein reges Sexualleben haben. Dass darüber im Breitenmedium Fernsehen gesprochen wurde, war, glaube ich, wichtig.

Wo hat die Sexpertin noch gelernt?

Heute sind die sexuellen Identitäten mehr im Fluss. Ich lerne ständig neu über Trans-, Inter-, Pansexuelle. Manche meinen, dazu ihren Körper verändern zu müssen. Aber ich habe auch einen bärtigen Mann getroffen, der mir sagte: Ich bin eine Frau, aber ich muss es nicht äußerlich zeigen. Ist doch klasse. Sexualität sollte befreiend sein, dann steht wieder der Mensch im Vordergrund.

Karten unter (0531) 1218680 und www.komoedie-am-altstadtmarkt.de