Wendhausen. . Martin Trapp spürt verlassene Gebäude auf und dokumentiert ihre Vergänglichkeit mit der Kamera.

Alles ist vergänglich, das wissen wir. Allerdings hat das Morbide in unserem hektischen und stets von grell-fröhlicher Werbung durchfluteten Alltag keinen oder nur einen Nischenplatz. Allenfalls beim Tod eines Familienangehörigen oder Freundes werden wir ausgebremst und in voller Aufmerksamkeit mit der Vergänglichkeit konfrontiert. Doch die Endlichkeit des Menschen wird auch deutlich im Verfall von Gebäuden. Wer wird nicht neugierig, wenn er einem entseelten Wohnhaus, Klinikum oder Fabrikkomplex gegenübersteht? Was erlebten die Menschen einst auf der anderen Seite der Häuserwand und der inzwischen staubig-stumpfen Fenster, was ist von ihnen in den Gebäuden geblieben? Welche Spuren sind noch vorhanden? Wann und warum wurden die Bauwerke aufgegeben?

Diese Fragen stellt sich auch Martin Trapp aus Wendhausen im Kreis Helmstedt. Allerdings begnügt er sich nicht damit, die Fantasie spielen zu lassen. Der 37-Jährige begibt sich aktiv auf Spurensuche und dokumentiert seine Entdeckungsreisen mit der Kamera. Menschen wie er suchen gezielt nach „Lost Places“ – verlassenen Orten. Auf seiner Homepage Schunterwelle.de und auf seinem Facebook-Profil nimmt er die Besucher mit auf seine Erkundungstouren.

Besonders eindrucksvoll sind die Fotos von zwei verlassenen Hotels im Umfeld von Hameln. Dort fand Trapp zum Teil noch nahezu perfekt möblierte Zimmer, Zeitkapseln, die sich von der Hektik menschlichen Lebens entkoppelt haben. Der Streifzug von Raum zu Raum zeigt die verschiedenen Stadien des Verfalls.

In diesem Hotelzimmer ist die Welt noch einigermaßen in Ordnung. Der leicht beduselte Lampenschirm und die vertrocknete Pflanze sind Boten der Vergänglichkeit. 
In diesem Hotelzimmer ist die Welt noch einigermaßen in Ordnung. Der leicht beduselte Lampenschirm und die vertrocknete Pflanze sind Boten der Vergänglichkeit.  © Martin Trapp

Mal sind es nur vertrocknete Blumen in der Vase, die das eigentlich harmonische Bild stören, mal wellen sich die Tapeten im Hintergrund. In anderen Räumen sind die Außenwände bereits so von der Feuchtigkeit zersetzt, dass unter den von Schimmel zerfressenen Tapeten zerfallener Putz hervorquillt. Am Empfang hängen an einem von Schimmel und Feuchtigkeit befallenen Bord noch Zimmerschlüssel. In einem weiteren Raum ist der Verfall so weit fortgeschritten, dass dort neben Stühlen und einem Tisch bereits der Farn sprießt. Verfall kann sehr faszinierend sein.

„Notizen, Kleiderschränke und Küchen geben Aufschluss über den Lebensstil der Menschen, die einst in den Gebäuden lebten und arbeiteten“, sagt Trapp. Er leugnet nicht, dass stets ein gewisser Gruselfaktor mitschwingt. Auf seinen Streifzügen, auf denen er mal alleine, mal mit Gleichgesinnten unterwegs ist, will er nicht nur einfach mit der Kamera draufhalten, sondern die Magie dieser Orte festhalten. Und das habe viel mit dem Licht zu tun.

„Ich verzichte zum Beispiel stets auf den Blitz, weil so die Atmosphäre erhalten bleibt“, erläutert Trapp, der als Elektro-Monteur arbeitet. Um seine fotografischen Kenntnisse zu vertiefen, hat er eigens einen Fotokursus absolviert. Seine Datenbank enthalte inzwischen 30.000 Aufnahmen, berichtet er.

Mit Vandalismus hätten seine Erkundungen nichts zu tun, betont Trapp. Menschen, die wie er „Lost Places“ besuchen, würden einem selbst verordneten Verhaltenskodex folgen. Trapp: „Wir verändern nichts, wir zerstören nichts, und wir hinterlassen nichts außer unseren Fußspuren.“ Wenn eines der verlassenen Gebäude von einem Obdachlosen bewohnt werde, würde es nicht betreten. „Diese Menschen sind ohnehin in einer Notlage, darauf nehmen wir Rücksicht. Würden wir reingehen, wäre das wie das Eindringen in eine Wohnung“, sagt Trapp.

Ärger hat Trapp auf seinen Touren nach eigenen Angaben bislang nicht bekommen. Dabei ist ihm durchaus bewusst, dass er sich auf einem rechtlich schmalen Grat bewegt. In einem Fall sei er von einem Sicherheitsdienst gebeten worden, das Gelände zu verlassen.

Ein Federball und eine Musikkassette zeugen von vergangener Fröhlichkeit.
Ein Federball und eine Musikkassette zeugen von vergangener Fröhlichkeit. © Martin Trapp

Je unberührter ein verlassenes Gebäude ist, desto größer ist der Reiz, es zu erkunden, berichtet Trapp. Der Zustand des Gebäudes ist eine Art Währung in der Szene. Trapp steht in Kontakt mit Gleichgesinnten. Tipps für künftige Besuche sind stets erwünscht. „Ich gebe eine Empfehlung aber nur an Menschen weiter, die ich kenne und denen ich vertraue.“ Außerdem erwartet Trapp im Gegenzug einen Hinweis auf ein verlassenes Gebäude, dessen Bekanntheit und Zustand mindestens dem des von ihm empfohlenen Bauwerks entsprechen müsse. Sein Traum: „Ich möchte ein altes Schlösschen im Dornröschenschlaf entdecken.“ Eine Idee, wo er sich diesen Traum erfüllen könnte, hat Trapp bereits. Im nahen Ausland.

Die Recherche im Vorfeld der Erkundungstouren ist aufwendig. Erhält Trapp einen Hinweis, beginnt er das Gelände zu erkunden. In einem ersten Schritt hilft ihm dabei das Internet. Dann wird ausgekundschaftet, wie er in das Gebäude gelangen kann. Startet er schließlich zu einer seiner Foto-Expeditionen, sind neben der Kamera eine Atemmaske, Handschuhe und ein Verbandskasten im Gepäck.

Dabei ist ihm bewusst, dass eine Tour durchaus floppen kann. „Das ist wie beim Angeln. Selbst wenn man nichts fängt, ist schon der Streifzug durch die Natur ein Genuss“, sagt Trapp in der Gewissheit, dass der nächste dicke Fang schon auf ihn wartet.