Wolfsburg. Wolfsburger Langstreckler schwören aufs Einssein mit dem nassen Element. Teilnehmerrekord beim 24-Stunden-Schwimmen.

Vom Ufer weg geht es rund wie in einer Waschtrommel. Beim Startschuss für die Seedurchquerung waren Sturm und Regen aufgezogen – das Zwischenahner Meer spielt mit uns Schwimmern wie mit kleinen Billardkugeln. Die großen Markierungsbojen, die unserem Feld die gut drei Kilometer lange Strecke weisen sollen, verschwinden in großen Wellentälern. Ruhe bewahren, in der Waschtrommel einen Rhythmus finden, gleichmäßig ziehen und atmen ...

Die Flotte der DLRG-Boote legt uns einen Korridor auf die Wasseroberfläche, keiner kann verloren gehen. Wer aufgeben will, hebt den Arm, signalisiert den Helfern, dass er an Bord geholt werden möchte. Nur wenige der 300 Starter tun dies allerdings.

IInes Roessler kommt beim Triathlon aus dem Ratzeburger See. Freiwasserschwimmen ist die erste Disziplin. 
IInes Roessler kommt beim Triathlon aus dem Ratzeburger See. Freiwasserschwimmen ist die erste Disziplin.  © Wolfsburger Nachrichten | Wolfsburger Nachrichten

Freiwasser! Für viele Schwimmer, mich auch, die Faszination schlechthin. Vereinskollegin Ute und ich, beide vom SV Jembke, sind bereits zum dritten Mal in Bad Zwischenahn am Start. „Du weißt nie, wie es wird. Man muss sich jedes Mal neu auf die Bedingungen einstellen, das ist die Herausforderung“, sagt Ute. Für die 54-Jährige ist das Langstreckenschwimmen Gegengewicht zum Alltag. Auch im Schwimmbecken, in der Halle. „Es ist eben viel mehr als Kacheln zählen. Wer sich drauf einlässt, erlebt mit den schönsten Sport der Welt.“ Technik, Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer, die Trainingselemente seien nie langweilig. „Dazu ist diese Sportart zu vielseitig. Und draußen, sei es bei einem Wettkampf oder bei einer Trainingstour im See oder im Meer, gibt es jedes Mal etwas Neues zu entdecken.“

Der Wolfsburger Axel Weinreich, 54, kann sich ein Leben ohne den Schwimmsport gleichfalls schwerlich vorstellen. Auch wenn er einmal für einige Jahre damit ausgesetzt hat. „Ich habe hinterher gemerkt, dass mir da eine Menge fehlt.“ Als Neunjähriger war er bereits Leistungsschwimmer beim Wolfsburger TV Jahn, später wurde er Triathlet beim VfB Fallersleben, heute ist Axel beim VfL in der Sparte der Dreikämpfer Mitglied.

Als vor zwei Wochen das große 24-Stunden-Schwimmen im Badeland mit neuem Melderekord anstand, ließ er sich kurzerhand vor Ort erstmal zum Helfer und Bahnenzähler machen, bevor er selbst ins Wasser stieg. „Solche Veranstaltungen muss man unterstützen, das war ja eine Riesenwerbung fürs Schwimmen“, freut sich Sportler Weinreich, der beim Charity-Wettstreit nachmittags und nachts dann doch selbst ins Wasser ging, bevor er weiter die Bahnen der anderen Starter notierte. Sieben Kilometer schwamm er im 50-Meter-Becken des Badelandes für die guten Zwecke Obdachlosentreff und United Kids Foundation.

„Draußen zu schwimmen ist allerdings noch etwas ganz Besonderes“, schwärmt Axel Weinreich zudem. „Wenn die Sonne über dem See aufgeht oder sich die Natur von ihrer grimmigen Seite zeigt – es ist eine große Faszination, sich mitten in den Elementen zu bewegen. Und natürlich macht auch der Wettstreit mit anderen, die dieses Faible teilen, immer großen Spaß.“

Ines Roessler aus Wolfsburg, die im Rahmen der Triathlon-Disziplinen ihre Liebe zum Schwimmen in freier Natur entdeckte, beschreibt ihre Passion so: „Mehr Leute haben den Mount Everest bezwungen als den Ärmelkanal durchschwommen.“ Und fügt hinzu: „Für mich ist Schwimmen sehr meditativ. Keine Hilfsmittel, keine Ablenkungen, ich bin mit meinem Kopf und meinem Körper alleine. Dabei nimmt der Schwimmer die Bewegungen der Wellen auf und passt sich an, das kenne ich weder vom Laufen noch vom Radfahren, das Einswerden mit dem Element.“

Überall in Deutschland und im benachbarten Ausland gibt es mittlerweile große Freiwasserschwimmen, an denen jeder, der sich gesund genug und ausreichend trainiert fühlt, teilnehmen kann. Die Strecken liegen zwischen 500 Metern bis zu langen Distanzen von 15 und mehr Kilometern. Es gibt Einzelwettbewerbe und Staffeln, Veranstaltungen im Meer und in den vielen Seen, die Deutschland bietet.

Geschafft:  Ute Kuntze (links) und Redakteurin Barbara Benstem schwammen durchs Zwischenahner Meer.  
Geschafft: Ute Kuntze (links) und Redakteurin Barbara Benstem schwammen durchs Zwischenahner Meer.   © Wolfsburger Nachrichten | Wolfsburger Nachrichten

In unserer Region locken z.B. das Tankumsee-Schwimmen oder die Arendsee-Durchquerung in Sachsen-Anhalt. Den Abschluss der diesjährigen Freiwasser-Saison hat in Niedersachsen Wilhelmshaven gemacht. Am letzten September-Wochenende wurde dort im Hafen über gut zweieinhalb Kilometer geschwommen. Wer sich über alle Veranstaltungen informieren will, findet sie im schwimmkalender.de.

Nicht zuletzt weil Seen oder Meere oftmals empfindlich kalt sind, aber auch aus Sicherheitsgründen (der Anzug kann eine Auftriebshilfe sein) ziehen viele Schwimmer einen Neoprenanzug an. Das Reglement für die Ärmelkanalschwimmer verbietet das allerdings. Wer nach den traditionellen Regeln der britischen Kanalschwimmer-Gesellschaft gewertet werden will, darf nur Badehose und Badeanzug tragen. 1875 hatte Cäptn’ Matthew Webb die Querung von England nach Frankreich das erste Mal geschafft. Ein Beiboot ist bis heute Pflicht, nicht zuletzt, weil der Kanal eine vielbefahrene Fähr- und Frachtschiffverbindung zwischen Großbritannien und dem Festland darstellt.

Zurück in die Halle: In Wolfsburg fand erneut das große Non-Stop-Schwimmen für den guten Zweck statt. Schirmherrin war Deutschlands Schwimm-Ikone Franziska van Almsick. Was die Veranstalter besonders freute: Die Teilnehmerzahl war im Vergleich zur vorangegangenen Auflage vor zwei Jahren noch einmal um 200 gestiegen. 530 Starter in allen Altersklassen hatten gemeldet, mehr als 40 Kilometer schlugen beim ausdauerndsten Einzelschwimmer innerhalb von 24 Stunden zu Buche.

Das einzige, was den Schwimmern bisweilen Bauchschmerzen bereitet, ist ihre Trainingssituation im Becken. Deutschlandweit wird oftmals auf Spaßbäder gesetzt. Dies hatte auch Franziska van Almsick kürzlich im Interview mit dieser Zeitung kritisiert. Schwimmen lernen sei eine Lebensversicherung erklärte sie mit Blick auf zu viele Kinder, die ertrinken würden.