Lucklum. Im Herbst 1977 eröffneten vier Braunschweiger Freaks die legendäre Musikkneipe und Disko in Lucklum am Elm. Vom 3. November an wird das groß gefeiert.

Eigentlich wollten sie nur eine günstige Wohnung irgendwo im Grünen, die drei Freaks, um ihre neue fixe Idee von einer Land-WG zu verwirklichen. Doch als sie auf den Tipp eines Bekannten hin vor der ziemlich runtergekommenen Gaststätte „Zum biederen Knappen“ in Lucklum am Elm standen, wurden sie schwach. Dieser Ort hatte etwas Magisches, mit dem freien Blick in die sanft gewellte Vorelmlandschaft, in der Nachbarschaft eines uralten Ritterguts, an einem Bächlein, das direkt am Hinterhaus entsprang.

So begann sie, im Herbst 1977, die Geschichte der legendärsten Dorfdisko zwischen Harz und Heide, des Schlucklum in Lucklum. „Ihr könnt das Hinterhaus günstig mieten, wenn ihr auch die Kneipe übernehmt“, sagte der müde bisherige Wirt Fritz Wehrhahn zu den drei Langhaarigen aus Braunschweig. Und die wollten – nur einen Kneiper mussten sie noch finden.

„Ich war eigentlich nur auf das Hinterhaus aus“, erzählt Hubert Mania, der damals Germanistik studierte und dann doch einer der vier Schlucklum-Gründerväter wurde. Die anderen waren sein Kumpel Volker Derwein, den er aus dem linken „Spiel- und Lernzentrum“ in Braunschweig kannte, der Kunststudent Frido Preuß – und Bodo Kracht, ein Lebenskünstler und Aussteiger, der damals vor allem von Landluft, Liebe und dem Verkauf selbstgezogener Hanfprodukte lebte.

„Ich hatte schon alles Mögliche gemacht – aber gezapft noch nie“, erzählt der heute 68-Jährige. Trotzdem erklärte er sich bereit, sich erstmal vor allem um die Kneipe zu kümmern. „Die sah wirklich unglaublich aus. Es gab so Plastiksäulen und einen Plastikspringbrunnen“, erinnert sich Mania. Das Sponti-Quartett renovierte ein bisschen, aber nicht zu viel – und eröffnete einfach. „Zum Einkaufen von Schnaps und Wein bin ich damals regelmäßig nach Braunschweig getrampt“, sagt Kracht.

Der neue Name „Schlucklum“ sei übrigens keine Eigenkreation gewesen, sondern eigentlich ein Spottwort der Nachbardörfler für die Lucklumer, erzählt Mania. „Lucklum galt als Tagelöhnersiedlung rund ums Rittergut. Arme Schlucker eben.“ Und da sei auch was dran gewesen. Viele Alteingesessene waren raue Typen, aber nicht abweisend oder gar furchtsam den freakigen neuen Kneipern gegenüber. Eher neugierig. „Ich musste einige natürlich erstmal unter den Tisch saufen“, grinst Kracht. „Mit Ouzo ging das ganz gut, den kannten sie nicht.“

Höhepunkt der frühen Schlucklum-Zeit waren die Konzerte, die Jazzfan Mania vor allem samstags veranstaltete. Da spielten Braunschweiger Bands wie Pony Tail, aber auch international bekannte Jazzer. „Das war mein Herzensanliegen. Ich habe von einem exklusiven Jazzclub geträumt. Leute wie Philip Catherine und Jasper van’t Hof haben bei uns gejammt“, schwärmt Mania.

Anfangs schlug das mächtig ein. Trotz der JWD-Lage 25 Kilometer elmwärts von Braunschweig und Wolfenbüttel sei der Saal voll gewesen. „Die Leute standen Schlange“, erzählt Mania. „Es gab damals in Braunschweig ja auch keinen Live-Club, außer der kleineren Bassgeige und dem deutlich größeren FBZ.“ Mehr noch als renommierte Jazzer allerdings zogen die damals angesagten Bluesrockbands, räumt Mania ein. Und später die regionalen Vertreter der Neuen Deutschen Welle wie Fee, Shampoo oder International.

So bildete sich schnell die ganz besondere Schlucklum-Atmosphäre heraus. Da hockten Landarbeiter im Blaumann neben Braunschweiger Spontis, Hippies und Jazzfans neben Handwerkern aus den Nachbarorten, da teilten sich Kunststudentinnen die Tanzfläche mit Dorfschönheiten. An Session-Abenden konnte jeder, der wollte, sein Instrument mitbringen. Der Charme des Improvisierten machte das Schlucklum ohnehin aus. Ein Szeneschuppen mit holzgetäfeltem Schankraum und Gläsern in Vitrinen – wo gibt es sowas schon?

Weil die Konzerte – insbesondere die Jazzabende –, auf Dauer aber kaum mehr Geld einspielten, als sie kosteten, wurde im Schlucklum bald auch eine Disko eingeführt. Anfangs habe es im Laden nur eine Jukebox mit Schlagern und ein altes Dampfradio gegeben, erzählt Mania. Doch schon bald ließen die Vier eine vorzeigbare Anlage einbauen. Und die Disko brummte, insbesondere mittwochs und freitags.

„In Braunschweig musste man nur an der Helmstedter Straße den Daumen raushalten, und schon war man da“, erzählt Christina „Rio“ Goedeke, die das Lucklum in den frühen 80er Jahren lieben lernte. „Wo sonst konnte man mitten in der Nacht auf der Straße tanzen? Und eine Sperrstunde gab es da auch nicht.“

Allerdings war nicht alles Friede, Freude, Feldschlößchen. Zwischen den vier Schlucklum-Gründern gab es gelegentlich Spannungen. Das Dasein als Kneiper, ständig von Leuten, Alkohol und Lärm umgeben, hatte auch seine Schattenseiten. Frido Preuß und Volker Derwein stiegen schon nach wenigen Jahren aus, 1982 auch Hubert Mania, der heute als freier Schriftsteller („Gauß“, „Kettenreaktion“) und Übersetzer in Braunschweig lebt.

Für ihn stieß Wolfgang „Lucius“ Goedeke dazu, der bald zu dem Gesicht des Schlucklums wurde – gemeinsam mit seiner Frau Rio, die er hier kennenlernte, und von der oben schon die Rede war. Goedeke hatte Erfahrung als Wirt: Er hatte bereits seit Anfang der 70er Jahre in Braunschweiger Kneipen wie der „Pfeife“ gearbeitet, die er dann gemeinsam mit Norbert „Bolle“ Bolz zum Jazzclub „Bassgeige“ ausbaute.

1984 zog es auch Bodo Kracht wieder ins Weite. Immer noch langmähnig und guter Dinge, lebt er heute in Dedeleben in Sachsen-Anhalt, wo er den Betrieb „Lichtblick“ gegründet hat, der Kerzen aus nachwachsenden Rohstoffen produziert.

Goedeke führte das Schlucklum eine Zeit mit einem anderen Kompagnon und seit Anfang der 90er Jahre alleine mit seiner Frau Rio. „Das war die Zeit, die ich fast am schönsten fand. Da stieß auch eine neue Generation von Gästen dazu.“ Vom Hippieschuppen hatte sich der Laden mehr und mehr in einen Indierock-Club verwandelt, ohne dass das frühere Publikum wegblieb. Zur pittoresken Mischung aus Dörflern und Großstädtern kam nun noch der Mix der Generationen hinzu. Zur jüngsten gehörte Axel Bosse, der im nahen Hemkenrode aufwuchs und heute zu Deutschlands angesagtesten Songschreibern zählt.

So hätte das noch lange weitergehen können. Ging es aber nicht, weil die Gutsbesitzer-Familie von Henninges die freie Wiese gegenüber dem Schlucklum schließlich doch zu Bauland machen wollte. Dass es zwischen der Disko und den künftigen Bewohnern zu Konflikten kommen würde, war klar. „Unsere Existenz war gefährdet“, erzählen Rio und Lucius Godecke, die längst eine Familie gegründet hatten und in Lucklum auf dem Rittergut zur Miete lebten.

Sie einigten sich mit den von Henninges auf einen Kompromiss: Sie schlossen das Schlucklum und erhielten auf dem Gut zu fairen Konditionen die Chance, einen alten Pferdestall zu einer neuen Gastronomie auszubauen. Eine Herkulesaufgabe – aber immerhin die Chance, vor Ort weiter auf den Schlucklum-Spirit zu setzen.

Doch erst einmal wurde im Mai 1997 so rauschend wie tränenreich Abschied vom alten Schlucklum gefeiert. „Im November haben wir dann mitten auf der Stall-Baustelle eine erste improvisierte Revival-Party gestartet“, erzählt Rio Goedeke. „Wir hatten mit ein paar Dutzend Leuten gerechnet. Es kamen 600. Schon mitternachts war das Bier alle. Wir mussten neues von der Tankstelle holen.“

Im Jahr darauf eröffnete auf dem Rittergut die malerisch gelegene „Wegwarte“. Sie ist geräumiger und das Ambiente eleganter als im rumpeligen Schlucklum, aber nicht abgehoben, ein gelungener Mix aus altem Gemäuer, Stahl und Glas, beliebt für Familienfeiern und als Wirtshaus. Zahlreiche Schlucklum-Stammgäste haben hier geheiratet. Neben dem Gaststättenbetrieb organisieren die Goedekes etwa zweimal monatlich „Tanzpartys“, bei denen der freie Geist des alten Schlucklums zu spüren ist, und gelegentlich auch Konzerte.

Und so könnte es ewig weiterlaufen, oder zumindest noch 40 weitere Jahre – wenn es nach den Goedekes geht.

So wird das Jubiläum gefeiert

Freitag, 3. November: Konzert „40 Jahre Schlucklum“ mit Clever & Smart (Blues), Feine Herren (Blues, Soul, Country) und International. Die Band um Musiker wie Claus Hartisch, Helge Preuss und Wolfram Bäse-Jöbkes zählte in den 80er Jahren mit deutschsprachigem Rock und Reggae-Einflüssen zu den populärsten Gruppen der Region. Sie schrieb Klassiker wie „Zonenrandgebiet“ und tritt nun noch einmal auf. Beginn 20 Uhr, Karten: 20 Euro (VVK 18).

Sonntag, 5. November: Ausstellungseröffnung „40 Jahre Schlucklum“ mit Fotos, Plakaten und Videoinstallation. Beginn 16 Uhr.

Donnerstag, 9. November: Gesprächsrunde „40 Jahre Schlucklum“ mit den Gründern Bodo Kracht, Hubert Mania und Volker Derwein. Moderation: Wolfgang Stenke. Beginn 19 Uhr. Eintritt frei. Anmeldung erbeten unter (05305) 90 13 04.

Samstag, 11. November: Tanzparty „40 Jahre Schlucklum“ mit Musik von den 70ern bis in die 90er Jahre. 21 Uhr. 4 Euro.

Freitag, 17. Nov.: Americana-Konzert mit Namoli Brennet (Gitarre) und Amy Zapf (Bass). 20 Uhr, 16 Euro.

Weitere Tanzpartys am 18. November und am 25. November ab 21 Uhr. 4 Euro.

www.wegwarte-lucklum.de