Mein perfektes Wochenende. Mit Historiker Thomas Dahms auf den Spuren von Karl dem Großen: Der „Deitweg“ von Magdeburg nach Aachen führte durch den Oderwald.

Ostfälischer Deitweg

Zwischenstopp mitten im Oderwald: Wer die Augen schließt, hört nichts außer dem Wind in den Buchen und Eschen. Entfernt knackt es leise im Unterholz. Ansonsten herrscht absolute Ruhe in dem dichtbewaldeten Höhenzug südlich von Wolfenbüttel. „Hier hat es im Mittelalter mächtig gebrummt“, sagt Historiker Thomas Dahms. „Hier verlief sozusagen die A 2 zu Zeiten von Karl dem Großen.“

Durch den Oderwald führt der Historiker eine Wandergruppe über den „Ostfälischen Deitweg“, wie der „A 2“-Abschnitt in unserer Region heißt. Dahms gehört zu den Menschen, die andere für Geschichte sofort begeistern können. „Hier kam Karl der Große öfter entlang“, erklärt er. Der „Deitweg“ sei die Fernstraße des Frankenkönigs zwischen Aachen und Magdeburg im 8. Jahrhundert gewesen.

„Wie an einer Perlenkette liegen die ältesten Orten unserer Region an dieser mittelalterlichen Straße.“ Am Rande des Oderwalds zeigt Dahms mit ausgestrecktem Arm auf die Sichtachse und zählt auf: Cramme, Barum, Heerte, Assel, weiter nach Hildesheim. In die andere Richtung nach Ohrum, Kissenbrück, Schöningen, Helmstedt, Magdeburg.

Magdeburg an der Elbe war ein wichtiger Außenhandelshafen für das Fränkische Reich, sagt er. Hier habe etwa der Beinsteinhandel mit den Völkern in Osteuropa floriert. Dabei ist es kein Zufall, dass die mittelalterliche A 2 direkt durch unsere Region führte. „Die Oker war eine natürliche Barriere, doch in Ohrum gab es eine breite Kiesbank mitten im Fluss. Eine überwindbare Furt.“ Deswegen habe das Dorf Ohrum eine herausragende Stellung im Fränkischen Reich gehabt.

Cramme wohl ältestes Dorf

Doch zunächst zum Beginn der Wanderung an der Kirche in Cramme. Die 900-Seelen-Gemeinde gehört vermutlich zu den ältesten Dörfern in der Region, vermutet Dahms. „Cramme hat keine sprachliche Beziehung zu den Nachbarorten.“ Die Nachbarnamen enden meist auf „te“ und „de“ wie Thiede und Beuchte. Cramme müsse noch älter sein, die Siedlung könnte sogar vorchristlich sein, meint er.

Von Cramme wandert die Gruppe hinauf zum Rand des Oderwaldes – rechts vom Weg erheben sich am Horizont die Berge des Harzes. „Der ‚Ostfälische Deitweg‘ war eine Vorrangstraße. Die angrenzenden Dörfer waren verpflichtet, ihn in Ordnung zu halten.“ Die Bezeichnung Deitweg lasse sich mit Volksweg übersetzen.

Wie sah der Verkehr auf der mittelalterlichen A 2 aus? Der Weg wird sicherlich zweispurig gewesen sein, ist er überzeugt. Unterwegs waren Pilger, Heerzüge und Händler mit ihren Tragen. Meist gingen die Menschen in der Gemeinschaft. „Kein Händler wäre alleine mit seinen Waren in den dunklen Oderwald gegangenen.“

Drei Staatsakte in Ohrum

Die höchste Erhebung im Oderwald ist der Hungerberg, 205 Meter hoch. In seiner Nähe trifft die Wandergruppe auf einen zugewachsenen Grenzstein. Dahms rupft das Grün vom Stein, die Initialen des Herzogtums Braunschweig und des Königreichs Hannover werden sichtbar. „Zeichen der Geschichte lassen sich in unserer Kulturlandschaft überall finden“, sagt er. Im Laufe der Zeit habe die Moderne vieles überprägt, doch Grenzsteine, Sichtachsen in der Landschaft sowie Orts- und Straßennamen erzählen von der Vergangenheit.

Während seines Studiums in England hatte der promovierte Historiker gelernt, diese Bezüge in der Kulturlandschaft zu lesen. In der englischen Literatur stolperte er auch über einen Ortsnamen: Ohrum im Frankenland. Der gebürtige Salzgitteraner war erstaunt über die Bedeutung des Dorfes in seiner Heimat.

„Hier wurde im 8. Jahrhundert Reichsgeschichte geschrieben. Es gab hier gleich drei Staatsakte in den Annalen des Fränkischen Reiches“, sagt er. „Das ist für Ohrums Größe außergewöhnlich.“ Die Furt über die Oker in Ohrum wurden im Jahr 747 zum ersten Mal Schauplatz der Geschichte: Pippin der Kurze, Vater von Karl dem Großen, soll dort mit seinem Halbbruder Grifo um die Herrschaft im Frankenreich gekämpft haben. Karl selbst kam erst 775 nach Ohrum, damit die Ostfalen unter der Führung des Grafen Hessi sich ihm an der Oker unterwerfen, sagt Dahms. Die Ostfalen gehörten mit den Westfalen und den Enger zu dem Volk der Sachsen, gegen die Karl im Namen des Christentums Krieg führte.

Im Jahr 780 soll Karl erneut zu einem Staatsakt nach Ohrum gekommen sein, zur „Sachsentaufe“. Um seine Herrschaft zu stärken, ließ er in einem Wasserloch an der Oker die Ostfalen zwangstaufen. Noch heute erinnere an die Zwangstaufe der Flurname „Vaddernloch“, das hinter der Ohrumer Kirche an der Oker liege.

Verkehr auf 14 Meter Breite

Am Ende des Oderwalds hat die Wandergruppe einen herrlichen Blick auf Ohrum an der Oker. Wie war Karl unterwegs, als er im Mittelalter hier durchkam? „Er war eine Reisekönig, immer unterwegs von Pfalz zu Pfalz. Dabei hatte er sicherlich eine schnelle Eingreiftruppe, ausgestattet mit den besten Waffen der Zeit“, erklärt Dahms. Dazu käme noch sein ganzer Hofstab – Köche, Handwerker und seine Familie.

Hinunter nach Ohrum wird der „Deitweg“ zu einem Hohlweg, der inzwischen zugewachsen und nicht mehr passierbar ist. Doch Dahms freut sich über den Zustand, obwohl seine Wandergruppe einen Umweg gehen muss. „Hier können wir in der Kulturlandschaft ablesen, wie breit die mittelalterliche A 2 war“, sagt er. Mit breiten Schritten zählt er: etwa 14 Meter. Eine heutige Autobahnspur ist meist 3,5 Meter breit. In Ohrum verläuft der „Deitweg“ über den Schmiedeweg, entlang an der Kirche direkt hinunter in das Okteral. Damals floss die Oker noch am Dorfrand, heute ein Stück weiter östlich.

WANDERUNG

Thomas Dahms führt am Donnerstag, 3. September, ein weiteres Mal Interessierte über den historischen „Ostfälischen Deitweg“ – allerdings in umgekehrter Richtung. Karl-Friedrich Weber (Geopark Harz, Braunschweiger Land und Ostfalen) wird die Wandergruppe begleiten und über die Geologie der Region berichten.

Treffen ist um 14 Uhr an der Kirche in Ohrum. Die Wegstrecke nach Cramme beträgt etwa 9 Kilometer.