Salzgitter. Freibad-Chef spricht beim Besuch der Innenministerin Daniela Behrens von einem Brennpunkt in Salzgitter. Das sind seine Erfahrungen.

Nein. Diese Probleme habe Helmut Fichtner in den Gesprächen mit der Stadt so nie geäußert. Da sei es stets um Fördergelder gegangen. Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel war sichtlich betroffen, als er jüngst die Pizzeria im Hallenfreibad Thiede verließ. Das, was der Geschäftsführer der Thieder Bad gGmbH kurz zuvor geschildert hatte, wird sicher auch den Oberbürgermeister noch eine Weile beschäftigen. Fichtner hatte beim Besuch der niedersächsischen Innenministerin Daniela Behrens in Salzgitter von sexuellen Belästigungen gesprochen, von Badegästen ohne jeglichen Respekt, von ständigen Auseinandersetzungen.

Der Chef des Thieder Freibades berichtet von Übergriffen und respektlosen Jugendlichen

„Ich könnte ein ganzes Buch schreiben“, sagte Fichtner, seit vielen Jahren Geschäftsführer des Bades in Thiede. Und: „Wenn ich - insbesondere die muslimische Community - an die Haus- und Badeordnung erinnere, interessiert das nicht.“ Weise er Badegäste darauf hin, dass das Baden in Leggings und Blusen nicht gestattet sei, interessiere auch das nicht. „Dabei kann ich diese Regeln erklären. Die Fasern verstopfen schlicht und einfach unsere Filter und machen die Anlage kaputt. Doch in der Diskussion mit den uneinsichtigen Gästen bin ich nach zwei Minuten ein Rassist und nach vier Minuten ein Nazi“, schilderte Fichtner.

Die Studentinnen, die ehrenamtlich bei der DLRG arbeiteten, und sich als Aufsicht im Bad Geld fürs Studium finanzieren wollten, würden „sexistisch angegangen“, oder bekämen gesagt: „Du hast mir gar nichts zu sagen.“ Fichtner müsse in der Saison ständig anwesend sein, sonst käme es zu Szenen und Situationen, die die Ehrenamtlichen nicht ertragen könnten und wollten. Er habe sich von Zwölfjährigen schon bedrohen lassen müssen. Bundesweit habe es früher einige Brennpunkte in Bädern gegeben. „Mittlerweile haben wir die flächendeckend“, redete Fichtner Klartext. Das müsse doch thematisiert werden dürfen. Seine Erfahrung allerdings: „Wenn man das macht, ist man gleich ein Rassist.“

Niedersachsens Innenministerin: Die Situation ist so nicht akzeptabel

Erschreckt oder schockiert sei sie angesichts dieser Schilderungen aus dem Thieder Bad nicht, betonte die Ministerin, die auf Einladung des SPD-Landtagsabgeordneten Stefan Klein zu Gast in Salzgitter war. Die Dimension habe sie allerdings schon überrascht. Denn: Als im Sommer die Meldungen von Übergriffen und Gewalt in Freibädern zum Beispiel aus Berlin die Öffentlichkeit schockierten, habe sie bei Polizei und DLRG in Niedersachsen nachgefragt. „Die große Rückmeldung war: So etwas haben wir hier nicht. Dies ist jetzt schon ein Beispiel für eine Situation, die so nicht akzeptabel ist.“

Ministerin Daniela Behrens zu Gast im Hallenfreibad Thiede. Sie diskutierte mit Helmut Fichtner (links) und  Stefan Klein. 
Ministerin Daniela Behrens zu Gast im Hallenfreibad Thiede. Sie diskutierte mit Helmut Fichtner (links) und  Stefan Klein.  © FMN | Rudolf Karliczek

Allerdings, Daniela Behrens mahnte auch, die Situation nicht verzerrt wahrzunehmen. Ja, in einigen Brennpunkten gäbe es solche Probleme. Aber: „Ich wohne in einem kleinen Dorf bei Cuxhaven. Auch wir haben ein Freibad. Wir haben solche Probleme nicht gehabt.“ Was nicht heiße, dass in und mit Städten wie Salzgitter nicht darüber diskutiert werden müsste, wie Wege und Lösungen gefunden werden könnten. Und: „Unwohl nehme ich überall in der Gesellschaft wahr. Die Übergriffe auf Rettungskräfte zum Beispiel... Da sind auch Deutsche unter den Straftätern. Ich versuche daher, das Thema Respekt insgesamt zu diskutieren. Es ist für uns alle von Bedeutung.“ Ein Punkt, bei dem auch Fichtner zustimmte. Er habe auch deutsche Badegäste, die in Baumwollunterhose ins Wasser wollten, ihren Sekt oder das Picknick direkt am Becken verzehren wollten, und bei denen er auf wenig oder kein Verständnis für die geltenden Baderegeln treffe.

Innenministerin Behrens: Der hohe Zuzug verändert die Gesellschaft

Jedoch: Dass es Probleme, insbesondere mit Jugendlichen und Heranwachsenden gebe - da waren sich alle einig. Klingebiel: „Die Menge des Zustroms von Menschen nach Salzgitter ist schwierig.“ Behrens versicherte, die Hilferufe der Oberbürgermeister und Bürgermeister ernst zu nehmen: „Zu sagen: Wir können nicht mehr, der Zuzug ist hier zu hoch, hat nichts mit Rassismus zu tun.“ Der hohe Zuzug verändere die Gesellschaft.

Behrens machte im Gespräch mit Fichtner aber auch deutlich: „Sie haben hier diese Erfahrungen gemacht. Aber: Das ist nicht überall so. Es gibt viele Muslime, die hier ordentlich leben.“ Dennoch werde sie bei der Polizei noch einmal nachfragen, ob dort diese Problematiken bekannt seien. „Bis 2014 war die Welt hier in Ordnung. Seit 2017 aber stelle ich fest, dass wir hier mit der Integration überfordert sind“, gestand Klingebiel. Insbesondere jüngere Leute „machen hier richtig Stress“. Die Kraft, all die zugezogenen Menschen zu integrieren, reiche irgendwann einfach nicht mehr. Diese Themen müssten offen angesprochen werden, verdeutlichte die Ministerin und versicherte: „Ich führe diese Diskussion offen.“

Oberbürgermeister Klingebiel: Die Überforderung der Gesellschaft ist in Salzgitter deutlich zu sehen

Doch Behrens bekam in Salzgitter auch zu sehen und zu hören, dass es viele engagierte Menschen gibt, die sich um die Integration der Zugezogenen bemühen und tolle Erfolge vorzuweisen haben. Im Stadtteiltreff in Steterburg zum Beispiel. Hier sind auch Menschen mit Migrationshintergrund ehren- und hauptamtlich tätig. Betreuen Kinder, helfen bei Hausaufgaben, bieten bei Sport, Spiel und Spaß Kindern und Jugendlichen verschiedener Nationen Möglichkeiten, sich kennenzulernen, Freunde zu werden. Begegnungen und offene Angebote gibt es auch im Generationentreff der TAG Wohnen und ihren Kooperationspartnern in der Martin-Luther-Straße in Lebenstedt. Hier treffen sich die Menschen aus dem Quartier, hier gibt es Hilfe im Alltag.

Doch auch hier erfuhr Behrens: Auch in diesem Quartier gibt es Probleme. Aber: Auch hier bemühen sich viele Akteure, Integrationsarbeit zu leisten. Auch hier gelingt vieles. Aber auch hier stoßen die Ehren- und die Hauptamtlichen an Grenzen. „Wir haben keine Ressourcen mehr für die, die jetzt noch kommen. Die Überforderung der Gesellschaft ist in Salzgitter sehr deutlich zu sehen. Wir haben viele engagierte Menschen. Aber die sind an der Grenze“, sagte Klingebiel.