Lebenstedt. Innerhalb weniger Stunden startet Sevda Gündogdu eine große Hilfsaktion. Dann startet der Lkw mit Hilfsgütern ins Krisengebiet.

Alle paar Minuten halten Autos am Dienstag an der Berliner Straße 55. Sie stehen in der zweiten Reihe, die Fahrerinnen und Fahrer machen ihre Warnblinker an und holen große graue Säcke, Kartons und Plastikbehälter aus ihrem Kofferraum. Darin sind Winterklamotten, Hygieneartikel,Babynahrung, hin und wieder ein paar Batterien und Taschenlampen. All diese Waren landen im Lager von Sevda Gündogdu, die gemeinsam mit ihrem Mann den Geschenkeladen Akdeniz Export betreibt.

Lager von Akdeniz Export quillt schon über

Das kleine Lager quillt schon am Dienstagmittag über. „Eigentlich wollten wir bis 18 Uhr Spenden annehmen“, sagt Gündogdu, während sie mit Vater und Sohn Klamotten sortiert.

Im Lagerraum ist nur wenig Platz. Auf ein paar Quadratmetern türmen sich die Spenden. Dazwischen schlängelt sich die Familie. Vater Mehmet Kederli bringt noch zwei Säcke rein. „Wir werden den ganzen Tag damit verbringen, alles in Kisten umzupacken und richtig zu ordnen“, sagt Gündogdu.

Berat Serdar Gündogdu, Mehmet Kederli und Sevda Gündogdu müssen die vielen Sachspenden noch ordnen und in Kisten verpacken. 
Berat Serdar Gündogdu, Mehmet Kederli und Sevda Gündogdu müssen die vielen Sachspenden noch ordnen und in Kisten verpacken.  © Funke Niedersachsen | Marvin Weber

Sevda Gündogdu will ihren Landsleuten helfen

Als sie von den schweren Erdbeben gehört hat, sei ihr schnell klar gewesen, dass sie helfen muss. „Der erste Schock hat tief gesessen“, sagt Gündogdu. Sie blickt zurück: „Ich habe noch geschlafen, als die ersten Nachrichten am frühen Morgen rausgingen. Das volle Ausmaß der Katastrophe habe ich erst ein paar Stunden später realisiert, nachdem die Kinder aus dem Haus waren.“ Sevda Gündogdu ist eigentlich eine starke Frau, wie sie sagt. Immer mit einem Lächeln im Gesicht. Nach dem sie die Nachrichten geschaut hat, konnte sie nicht anders, als erst einmal zu weinen. Um „den Schock loszuwerden.“

Dann war Handeln angesagt. Am Montagabend bat sie in den sozialen Medien nach Spenden. Der Zulauf sei riesig gewesen. Gündogdu erzählt: „Viele wollten direkt am Abend vorbeikommen und unterstützen. Zu wissen, dass meine Landsleute sich gegenseitig so viel helfen, ist wirklich überwältigend. Ich wünschte, wir könnten viel mehr tun.“

Genehmigung vom türkischen Konsulat

Ihre Familie sei glücklicherweise nicht davon betroffen. Viele Freunde und Bekannte hätten allerdings Familienmitglieder in der türkisch-syrischen Grenzregion, die sie auch einen Tag nach den Beben noch nicht erreichen könnten. „Wir versuchen, so gut wie möglich für sie da zu sein“, sagt Gündogdu. Ihre Mutter koche beispielsweise für ihre Nachbarn.

Gündogdu ist mit einem Event-Organisator aus Lehrte vernetzt. Der habe bereits die Genehmigung vom türkischen Konsulat, einen Lkw mit Spenden in die Türkei zu schicken. Nach Ladenschluss sammeln Familie und Freunde also alle Spenden aus dem Lager auf und bringen sie in ihren Privatfahrzeugen nach Lehrte. Von dort aus treten die Hilfsgüter ihre lange Reise ins Katastrophengebiet an.

Blick in eine Kiste: Sevda Gündogdu packt Kinderkleidung zusammen. 
Blick in eine Kiste: Sevda Gündogdu packt Kinderkleidung zusammen.  © Funke Niedersachsen | Marvin Weber

Die letzten zwei Tage waren für die Geschäftsfrau und Mutter von drei Kindern sehr stressig – im positiven Sinne, wie sie sagt. „Das ist so ein kleiner Preis. Wir schlafen hier in unseren warmen Betten, haben ein Dach über dem Kopf und stehen nicht vor dem Ruin.“

Geldspenden werden nicht angenommen

Aus Respekt vor den vielen Opfern verzichtet die Familie in den kommenden Tagen darauf, laut Musik zu hören oder sich besonders zu amüsieren. „Eigentlich ist das ein Ritual, das wir für Verstorbene in unserer Familie haben. Diese Katastrophe ist aber so schwer. So zeigen wir unser Mitleid“, erklärt Gündogdu.

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Geldspenden will Gündogdu übrigens nicht annehmen. „Das finde ich als Privatperson einfach nicht richtig“, erklärt sie. Sie selbst und ihre Familie hätten bereits an Konten, die von der türkischen Katastrophenschutzbehörde und der internationalen Hilfsorganisation „WEFA“ eingerichtet wurden, gespendet.