Salzgitter. Nachdem IS-Anhänger aus Salzgitter festgenommen wurden, rückt der islamistische Extremismus wieder in den Fokus. Wie gefährlich ist die Szene noch?

Die Festnahme eines IS-Anhängers aus Salzgitter zeigt, dass die islamistische Terrorgefahr keinesfalls gebannt ist. „Die dschihadistische Propaganda internationaler islamistischer Terrororganisationen ist nach wie vor virulent“, lautet die Einschätzung des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Die Szene ist allerdings schwerer zu verorten.

Gab es vor Jahren noch islamistische Hotspots in Niedersachsen wie in Hildesheim, wo der inzwischen verbotene Deutschsprachige Islamkreis radikale Islamisten auch aus unserer Region anzog, sind die Anhänger islamistischer Terrororganisationen nun nicht mehr auf eine Vernetzung mit Gleichgesinnten vor Ort angewiesen. Vielmehr sind Social-Media- oder andere Online-Plattformen wichtige Kommunikationsmittel. „Die Sicherheitsbehörden haben deshalb eine nur schwer eingrenzbare Zahl an sich im Inland radikalisierten Personen im Blick und gehen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Maßnahmen gegen diese Personen vor, wie dies auch bei der in Salzgitter festgenommenen Person der Fall war“, sagt Bernhard Witthaut, niedersächsischer Verfassungsschutzpräsident, auf Anfrage.

„Gezielt sprechen die islamistischen Terrororganisationen in ihrer Propaganda Personen in den westlichen Ländern an, die in den dortigen Gesellschaften nicht integriert sind, und versuchen diese für ihre Ziele zu rekrutieren“, warnt Witthaut.

Am Mittwoch waren gleich zwei IS-Anhänger aus Salzgitter festgenommen worden: Ein mutmaßliches IS-Mitglied soll für die Terrororganisation auf mehreren Kanälen geworben haben. Nach Informationen unserer Zeitung handelt es sich um den staatenlosen Mahmoud Abu S. (26), einen der „Terror-Zwillinge“ von Salzgitter. Gemeinsam mit seinem Bruder war er schon einmal, im Jahr 2018, vom Oberlandesgericht Celle wegen Werbens für den Islamischen Staat (IS) zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Außerdem wurde eine Frau aus Salzgitter in Frankfurt festgenommen, die im Zuge einer Rückholaktion der Bundesregierung aus einem Gefangenenlager in Syrien zusammen mit anderen mutmaßlichen IS-Anhängerinnen am Flughafen gelandet war.

Der islamistische Terror war in den vergangenen Jahren wieder etwas aus dem Fokus gerückt. Seit dem Verbot des Deutschsprachigen Islamkreises in Hildesheim (DIK) 2017und dem Urteil gegen den Hildesheimer Prediger Abu Walaa 2021 gab es nur noch vereinzelt Meldungen, dass Anhänger für den IS gezielt rekrutiert wurden. Etliche Mitglieder des Islamkreises kamen auch aus dem Raum Salzgitter – wie die am Mittwoch festgenommene Marcia M., die im September 2015 gemeinsam mit ihrem Ehemann Oguz G. nach Syrien ausgereist war. Von dort aus soll sie unter anderem Kontakt zu Frauen in Deutschland aufgenommen haben, die IS-Kämpfer heiraten und sie hier beherbergen sollten. Im Herbst 2016 planten IS-Mitglieder in Syrien den Ermittlungen zufolge einen terroristischen Anschlag auf ein deutsches Musikfestival und rekrutierten dafür Kämpfer, die nach Deutschland geschleust werden sollten. Hierzu kam es letztlich nicht.

Das Verbot der DIK-Moschee im März 2017 und die Verurteilung Abu Walaas durch das OLG Celle im Februar 2021 hätten maßgeblich zu einer Schwächung der dschihadistisch-salafistischen Szene beigetragen, so Witthaut. Nach wie vor, gebe es aber Personen aus dem salafistischen Umfeld vor Ort. Dabei seien teilweise gewisse Wanderungsbewegungen von Personen aus dem ehemaligen DIK-Umkreis festzustellen, die jetzt andere Objekte in Niedersachsen aufsuchen. Witthaut: „Die Sicherheitsbehörden beobachten deshalb intensiv die weiteren Entwicklungen. Grundsätzlich hat das Verbot zumindest zu einer vorübergehenden Schwächung des Aktionspotentials geführt, da der dschihadistisch-salafistischen Szene in Niedersachsen ein örtlicher Anlaufpunkt fehlt.“

Inzwischen ist die salafistische Szene dem Verfassungsschutz zufolge zunehmend in kleineren und losen Personenzusammenschlüssen organisiert. „Immer wieder werden den Sicherheitsbehörden dabei Einzelpersonen mit salafistischen Bezügen bekannt, bei denen keine Anbindung an eine Moschee oder eine salafistische Gruppe festgestellt werden kann“, so der Verfassungsschutzpräsident. Schwerpunkte salafistischer Aktivitäten liegen zwar in den niedersächsischen Großstädten, salafistische Anlaufpunkte und Aktivitäten können aber flächendeckend in ganz Niedersachsen festgestellt werden.

Die „Terror-Zwillinge“ waren bereits 2018 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden

Mahmoud Abu S: (26), einer der „Terror-Zwillinge“ von Salzgitter, war mit seinem Bruder im Jahr 2018 vom Oberlandesgericht Celle wegen Werbens für den Islamischen Staat (IS) zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Mahmoud Abu S. galt als der radikalere von den beiden – er soll bereits im November 2016 einen Ausreiseversuch unternommen haben, um sich in Syrien dem IS anzuschließen.

Spätestens nachdem die Brüder im Jahr 2015 als Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kamen, begann ihre Radikalisierung. Ab dem Sommer 2017 fertigten sie Propagandamaterial an, um für den IS und Anschläge auf „Ungläubige“ zu werben: als selbsternannte „Mediendesigner des Kalifats“. Ihre Bildcollagen vertrieben sie über verschiedene Kanäle im Messenger-Dienst Telegram, was teilweise internationale Aufmerksamkeit erfuhr.

Bei ihrer Festnahme im Dezember 2017 stellte man mehr als 200.000 Bilder, Videos und Dokumente bei den Zwillingen sicher. Die meisten davon mit extremen dschihadistischen Inhalten, berichtete ein Ermittler. Darunter waren auch Videoanleitungen zum Bau von Bomben und Pläne für Lkw-Anschläge. Konkrete Anschlagspläne wurden den Männern damals nicht zur Last gelegt. Auch wenn im Zuge der Beweisaufnahme rätselhafte Aufnahmen des Bohlwegs in Braunschweig auftauchten. Diese Propagandatätigkeit soll Mahmoud Abu S. nach Verbüßung seiner Haftstrafe fortgesetzt haben. Auch sein aktueller Mitbeschuldigter, Aleem N., gilt in der Szene als extrem gut vernetzt. Er war bereits 2008 wegen Unterstützung von al-Qaida zu einer achtjährigen Strafe verurteilt worden.

Das mutmaßliche IS-Mitglied soll für die Terror-Miliz geworben haben

Im aktuellen Fall wirft die Bundesanwaltschaft dem Beschuldigten unter anderem vor, einem anderen Verdächtigen geholfen zu haben, Texte, Videos oder Audiobotschaften des IS aus dem Arabischen ins Deutsche zu übersetzen und auf verschiedenen Kanälen des Messenger-Dienstes Telegram im deutschsprachigen Raum zu verbreiten. Er soll sich dabei auch als Ratgeber zur Verfügung gestellt und zu übersetzende Dokumente zugänglich gemacht haben. „Zudem dolmetschte er bei der telefonischen Befragung einer Person, die zum IS nach Syrien reisen wollte“, heißt es in der Mitteilung der Behörde. Im Frühjahr 2022 bereitete sich der 26-Jährige den Angaben zufolge vor, mit dieser Person in das Herrschaftsgebiet des IS auszureisen. Dazu sei es aber nicht gekommen. Auch vermittelte er bei einem Streit seines Komplizen mit anderen IS-Mitgliedern „auf Weisung höherrangiger Kader“.