Salzgitter. Auf unseren Artikel über eine Transgender-Pfarrerin aus Salzgitter kamen viele Reaktionen. Manche waren menschenunwürdig, meint Katrin Schiebold.

In Salzgitter hat sich eine Pfarrerin mit 61 Jahren getraut. Seit Langem weiß sie, dass sie im falschen Körper lebt. Als Mann geboren, hat sie sich doch immer als Frau gefühlt – und lange nicht den Mut gefunden, ihrer Familie, ihrem Umfeld, ihrem Arbeitgeber das zu gestehen. Dass sie sich doch noch geoutet und nun den mühsamen Weg der Transition eingeschlagen hat, ist bewundernswert. Es verdient allergrößten Respekt.

Umso erschütternder sind einige Kommentare, die nach Veröffentlichung dieser Geschichte auf unserem Instagram-Kanal zu lesen waren. Menschen wie diese Pfarrerin verrieten die christlichen Werte, war unter anderem zu lesen. Das sei nicht normal. Ich frage mich: Welche christlichen Werte denn? Was ist mit Toleranz, Menschenliebe, Gerechtigkeit, Respekt, Wertschätzung? Das sind Werte, die mir sofort durch den Kopf schießen. Und was ist schon normal?

Vielfalt ist auch in der Kirche gewollt

Das starre Festhalten an Rollenbildern, die Tatsache, dass Menschen immer noch in Schubladen gesteckt werden, das Schwarz-Weiß-Denken – es hält sich hartnäckig. Dabei ist die Welt viel komplexer. Geschlecht ist eine Kombination mehrerer, ganz unterschiedlicher Eigenschaften auf individueller und sozialer Ebene. Entscheidend ist, wie man sich selbst erlebt – unabhängig von dem bei der Geburt zugewiesenen oder dem sozial zugeschriebenen Geschlecht. Diejenigen, die nicht in die Geschlechter-Normen passen, stehen doch dafür, dass Gott – wenn wir einmal bei der christlichen Sicht bleiben wollen – sich nicht an die Regeln der Menschen hält, sondern jeden Menschen einzigartig geschaffen hat.

Dass transidente Menschen in der Gesellschaft sichtbarer werden, dass sie sich offenbaren, outen und somit zu Vorbildern auch für andere werden, ist ein wichtiger Schritt hin zu einer offenen Gesellschaft, die Vielfalt lebt. Und Vielfalt ist doch auch in der Kirche gewollt.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat schon vor einigen Jahren eine bahnbrechende Handreichung zum Thema Transsexualität in der Kirche veröffentlicht. Darin steht unter anderem:

„1. Mose 1,27 hält fest, dass es Unterschiede zwischen Menschen gibt, wirft aber auch eine Frage auf: Wie können die vielen unterschiedlichen Menschen das Bild der Einheit Gottes sein? Die Menschen werden gemeinsam in eine Bewegung hineingeschaffen, die von Anfang an auf Versöhnung und Eins-Werdung zielt – und damit auf die Überwindung von Abgrenzung und Herrschaftsverhältnissen.“

Aufgabe der Kirche ist es, Orientierung zu geben

Noch immer haben Trans*Personen mit Vorurteilen, Unwissenheit, Ausgrenzung und Stigmatisierung zu kämpfen. Und die Kirche beziehungsweise viele ihrer Anhänger tun sich mitunter schwer, zu akzeptieren, dass sich Sichtweisen ändern. Das traditionelle christliche Menschenbild, der Glaube, dass Männer und Frauen einer gottgegebenen Rolle folgen, ist in vielen Kreisen unserer Gesellschaft immer noch ausgeprägt.

Schon die Diskussion um die Segnung homosexueller Paare hat in der evangelischen Kirche Jahrzehnte beansprucht. Umso wichtiger ist es, sich nicht vor dem Wandel zu verschließen, den Wandel weiter voranzutreiben. Das forderte übrigens schon Martin Luther von der Kirche – und leitete wichtige Reformen ein. Aufgabe der Kirche ist es, Orientierung für die Auseinandersetzung mit Aufgaben und Herausforderungen unserer Zeit zu geben.

Die evangelische Kirche hat sich auf den Weg gemacht, Handreichungen zu dem Thema Transsexualität entwickelt – um für das Thema sensibel zu machen und für die Belange transsexueller Menschen in und außerhalb der Kirche einzutreten. Auch die Landeskirche Braunschweig hält selbstverständlich an ihren Mitarbeitenden fest, die sich als Trans* identifizieren. Das ist gut und richtig. Aber Reaktionen wie jene, die wir zu dem Artikel über die Transgender-Pfarrerin aus Salzgitter lesen mussten, zeigen, wie weit wir von einer offenen Gesellschaft noch entfernt sind.