Braunschweig. Aus Sorge vor Strahlung decken sich immer mehr Niedersachsen mit Jodtabletten ein. Wie läuft es im Katastrophenfall?

Der russische Angriff auf die Ukraine und der Beschuss auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja schürt offenbar Ängste in der Bevölkerung auch in Niedersachsen. Apotheken landauf landab verzeichnen zum Teil einen Ansturm auf Jodtabletten aus Sorge vor nuklearer Strahlung.

„Wir können aufgrund von Rückmeldungen unserer Mitglieder bestätigen, dass die Nachfrage in den niedersächsischen Apotheken nach Jodtabletten in den letzten Tagen landesweit sehr angestiegen ist“, sagt eine Sprecherin der Apothekerkammer Niedersachsen.

So melden zum Beispiel auch die Apotheken in Wolfenbüttel eine erhöhte Nachfrage. Allerdings gibt es derzeit Lieferschwierigkeiten“, sagt Caroline Feuersenger von der Forum-Apotheke. Das bestätigt auch Nina Stautmeister von der Herzog-Apotheke. Vor allem bei den hochdosierten gäbe es Engpässe. Stautmeister: „Die Tabletten mit niedriger Dosierung haben nicht den gewünschten Effekt.“

Tatsächlich warnt auch die Apothekerkammer vor der vorbeugenden Einnahme: Von einer Eigenmedikation werde dringend abgeraten. Grund dafür sei, dass die Einnahme von Jodtabletten zu Nebenwirkungen führen kann. Besonders riskant sind diese bei Schilddrüsenerkrankungen.

Nach Angaben des Bundesamts für Strahlenschutz sollten Jodtabletten „nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Katastrophenschutzbehörden eingenommen werden – und nur in der von den Behandelnden genannten Dosis.“

Allerdings ist nicht in jeder Apotheke der Region die Nachfrage gleich groß:

Im Kreis Helmstedt etwa ist die Nachfrage sehr unterschiedlich: Manche Apotheker berichten davon, dass die Menschen mit ganz konkreten Präparat-Wünschen in die Apotheke kommen – und diese dann schon vergriffen seien. Andere können keine erhöhte Nachfrage feststellen.

Ganze zwei Nachfragen hatte Thorsten Stoye bis zum Mittag in seiner Aller-Apotheke in Gifhorns Innenstadt. „Aber wir haben gar nichts vorrätig“, sagt der Apotheker. Die Jodid-Tabletten, die er er als Nahrungsergänzungsmittel bei Jodmangel führe, seien dagegen viel zu gering dosiert – „statt Milligramm im Microgramm-Bereich.“

Diese Rückmeldungen gibt es auch aus dem Kreis Peine. Birgit Rüther von der Hubertus-Apotheke in Peine-Stederdorf meldete drei Nachfragen bis zum frühen Freitagnachmittag. Einen Ansturm gebe es nicht. Aber die Nachfragenden hätten sich vorab gut informiert, fragten gezielt nach den hochdosierten Medikamenten. „Die wollen sich das zuhause hinlegen“, so die Peiner Apothekerin.

Entsprechend der Beratungs- und Sorgfaltspflicht werde mit den Nachfragen der Kunden umgegangen. Unter anderem gebe es den Hinweis, dass eine verstärkte Kaliumdosierung gerade bei dauerhafter Einnahme von Herz-Medikamenten sogar gefährlich sein kann. „Außerdem verweisen wir darauf, dass die Ansage zur Einnahme vom Katastrophenschutz kommt“, so Birgit Rüther.

Engpässe bei Großhändlern

Ein Verkauf stehe derzeit aber auch nach ausführlicher Beratung nicht zur Debatte. „Wir kommen bei den Großhändlern gar nicht ran“, sagt die Peiner Apothekerin. Die gewünschten Präparate seien derzeit nicht bestellbar.

Der Großhändler Noweda Apothekergenossenschaft hat auch bei Peine eine Niederlassung. Eine Sprecherin des Konzerns teilte am Freitag auf Nachfrage zu dem Engpass mit: „Das hochdosierte Jodpräparat ist in der Tat momentan nicht verfügbar. Wir wurden allerdings informiert, dass wir in der kommenden Woche mit einer Lieferung rechnen können. Informationen über eine behördliche angeordnete Kontingentierung liegen uns bislang nicht vor.“ Zur konkreten Lieferfähigkeit könnten nur die Hersteller Auskunft geben.

Lager in Salzgitter gefüllt, aber Probleme bei der Nachlieferung

Auch in Salzgitter hält sich die Nachfrage nach Jodtabletten gedeckt. Sowohl Eva Maria Martens, Inhaberin der Apotheke am Kreisel in Lebenstedt, als auch eine Mitarbeiterin in der Samariter Apotheke in Gebhardshagen berichten von keiner erhöhten Nachfrage. In beiden Apotheken seien die Lager normal gefüllt. Martens sehe aber im Bestellsystem, dass einige Firmen Probleme bei der Nachlieferung haben.

Björn Westphal, Apotheker und Inhaber der Alten Apotheke in Thiede, merke allerdings, dass einzelne Kunden und Kundinnen sich nach Jod-Tabletten erkundigen. Er rate ihnen jedoch ab, Jodtabletten jetzt einfach so zu sich zu nehmen. Die Dosierung sei ohnehin zu niedrig, dass die Jodtablette im Katastrophenfall helfen könne.

Wann ist die Einnahme von Jodtabletten sinnvoll?

Die Apothekerkammer Niedersachsen erläutert: Die Einnahme von hoch dosierten Kaliumiodid-Tabletten soll die Schilddrüse im Katastrophenfall mit radioaktiver Strahlung vor der Aufnahme von radioaktivem Jod schützen, indem sie die Schilddrüse mit nichtradioaktivem Jod sättigen. Dadurch kann das radioaktive Jod nicht mehr gespeichert werden. Der Zeitpunkt der Einnahme von Kaliumiodid-Tabletten ist besonders wichtig. Werden die Kaliumiodid-Tabletten zu früh eingenommen, kann das nichtradioaktive Jod vom Körper bereits ausgeschieden worden sein, wohingegen bei einer zu späten Einnahme die Jodblockade möglicherweise nicht ausreichend ist. „Daher sollten Kaliumiodid-Tabletten zur Strahlenprophylaxe nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Katastrophenschutzbehörden eingenommen werden“, heißt es in einer Mitteilung – in Niedersachsen ist dies das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport. Bei Bedarf werden die Tabletten an die Bevölkerung verteilt.

Was sind Kaliumiodid-Tabletten?

Die hochdosierten Kaliumiodid-Tabletten zur Strahlenprophylaxe sind laut Apothekerkammer nicht gleichzusetzen mit Jodtabletten zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen. „Niedrigdosierte Tabletten sind nicht zur Jodblockade der Schilddrüse als Strahlenschutzmaßnahme geeignet“, so die ausdrückliche Warnung der Apotheker: Die hochdosierten Kaliumiodid-Tabletten können Nebenwirkungen wie Reizungen der Magenschleimhaut verursachen oder zu allergischen Reaktionen wie Hautausschlägen sowie Gewebswassereinlagerungen, Halsschmerzen, Augentränen, Schnupfen, Speicheldrüsenschwellungen oder Fieber führen.

Erwachsene über 45 Jahren sollen keine Kaliumiodid-Tabletten einnehmen, da bei ihnen das Gesundheitsrisiko für schwerwiegende Schilddrüsenerkrankungen (zum Beispiel durch Jod ausgelöste Schilddrüsenüberfunktion oder Krebs) vergleichsweise hoch ist. Bei bestimmten Erkrankungen wie Schilddrüsenüberfunktion dürfen die hochdosierten Kaliumiodid-Tabletten nur nach Rücksprache mit dem Arzt eingenommen werden. Bei bekannter Überempfindlichkeit gegenüber Jod (diese ist sehr selten und darf nicht mit der häufigen Allergie gegenüber Röntgenkontrastmitteln verwechselt werden) dürfen die Tabletten nicht eingenommen werden.

Land hat rund 25 Millionen Tabletten Vorrat

Für Notfälle besteht zudem ein Landesvorrat. Dazu erklärte ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums am Freitag, derzeit lagere die Gesamtmenge – 25,2 Millionen Tabletten – Jodtabletten an einem zentralen Ort im Land. Grundlage sind Beschaffungen des Bundes 2020. „Darüber hinaus sind die bisher dezentral vorgehaltenen Jodtabletten weiterhin in verwendungsfähigem Zustand an den jeweiligen Lagerorten eingelagert“, heißt es in einer Erklärung weiter. Details werden nicht genannt.

Ausgabe im Notfall örtlich

Im Bedarfsfall würde eine Ausgabe der Tabletten über die örtlich zuständigen Katastrophenschutzbehörden in jeder Gemeinde und jeder größeren Ortschaft erfolgen. Katastrophenschutzbehörden sind Kreise und Städte. Vor allem Wahllokale sind als Ausgabestellen vorgesehen, der Wohnsitz ist laut Innenministerium aber in diesem Fall nicht entscheidend.

Die Ausgabe von Jodtabletten könne zwar grundsätzlich landesweit erfolgen, heißt es weiter. Sie würde jedoch nur in den Regionen erfolgen – oder auch zeitversetzt in verschiedenen Regionen – in denen gemäß Messungen und Prognosen der zuständigen Stellen ein Niedergang radioaktiven Jods zu befürchten stehe. Sie könne auch auf vulnerable Gruppen begrenzt werden.

So läuft der Katastrophenschutz

Land und primär Katastrophenschutzbehörden „pflegen“ laut Ministerium jeweils einen allgemeinen Katastrophenschutzplan. Dazu können „Sonderpläne“ kommen, beispielsweise wenn ein chemischer Betrieb mit besonderem Unfallrisiko in der Nähe ist.

Derzeit entsteht außerdem ein Landesnotfallplan für einen großflächigen kerntechnischen Unfall. Mit dem Ukraine-Konflikt hat das nichts zu tun: Es geht um Anlagen in Niedersachsen oder im Grenzgebiet zu anderen Bundesländern oder Ländern. Der Plan soll bestehende Planungen zusammenführen. Den Hut auf hat beim Strahlenschutz der Bund: „Nach dem Unfall von Tschernobyl wurde 1986 das Bundesumweltministerium gegründet, drei Jahre später das Bundesamt für Strahlenschutz“, heißt es auf der Webseite des BfS. Doch Länder, Kreise und Städte führen aus, was nötig ist.