Braunschweig. In unserer Serie zu beschleunigten Gerichtsverfahren geht es diesmal um Ladendiebstahl. Im Leserforum können Sie mitdiskutieren!

Zum zweiten Mal in dieser Woche treffen der Ladendetektiv und die Ermittler der Soko Zerm auf dem Flur des Braunschweiger Amtsgerichts zusammen. Erst vor sechs Tagen hat der Detektiv drei Männer erwischt, die in der Parfümerie, für die er arbeitet, hochwertige Kosmetika in ihre Jacken gesteckt hatten. 1500 Euro der Wert. Ein paar Tage später war es eine Mutter mit ihren zwei Kindern. Eine Flasche Chanel für 139 Euro und eine der Marke Hugo Boss zum Kaufpreis von 98 Euro hatten sie „zack“, sagt der Detektiv, im kinderlosen Kinderwagen verschwinden lassen. „Das ist organisiert“, ist er überzeugt. Dass Eltern ihre noch nicht strafmündigen Kinder klauen lassen, hat er schon öfter erlebt.

Seit es in Braunschweig das beschleunigte Verfahren gibt, greift sich die Justiz die Langfinger quasi genauso schnell wie die sich die Edel-Parfüms. Der Detektiv wirkt zufrieden. Zumal er selbst vollen Einsatz gezeigt hat. Davon berichtet er vor Gericht: Im Fall der drei Männer hatte ihn die Filialleiterin alarmiert. „Hier waren drei komische Typen drin. Die Regale sind leer“, habe sie am Telefon gesagt. Er habe gerade in einer anderen Filiale zu tun gehabt, sei schnell rübergekommen und habe die Videoaufzeichnungen angeschaut, auf denen die Beschuldigten gut zu erkennen sind.

Aber erst einmal hatten sie sich davongemacht mit den teuren Parfüms. Der Detektiv warnte andere Kollegen in der Braunschweiger Innenstadt. Und tatsächlich: Am nächsten Tag tauchten zwei der Männer in einem nahe gelegenen Kaufhaus auf.

Man verständigte sich, der Detektiv kam dazu, erkannte die Männer vom Überwachungsvideo und rief die Polizei. Er selbst postierte sich am Kaufhaus-Ausgang. Und zack: Als die Täter den Laden verließen, führte ihr Weg direkt ins Polizeigewahrsam. „Die hatten gleich wieder zugeschlagen“, empört sich der Detektiv. Diesmal waren Sonnenbrillen Kopfhörer und einen Rucksack im Verkaufswert von 144,95 Euro.

Die Indizien sind eindeutig, die Männer leben in Asylbewerberunterkünften, was bedeutet, dass sie einen gelockerten Wohnsitz haben. Ein Fall fürs beschleunigte Verfahren. Festnahme gegen 17 Uhr. Gewahrsam. Durchsuchung ihrer Unterkunft und Fund des gestohlenen Edel-Parfüms. 19 Stunden später werden die mutmaßlichen Diebe in Handschellen in den Saal E 06 des Amtsgerichts geführt.

Der Prozess ist für 13 Uhr terminiert. Schon am frühen Morgen haben fünf Beamte der Soko Zerm auf Hochtouren gearbeitet: Die Personalien der Beschuldigten mussten festgestellt und die Zentralregisterauszüge angefordert werden. Die Videoaufzeichnungen mussten angeschaut und ausgewertet, die Zeugen vernommen die Ermittlungsergebnisse zusammengefasst werden, bevor die Akte an die Staatsanwaltschaft ging. Um den Richtertisch gruppieren sich am Mittag außer den drei Angeklagten sechs Wachtmeister, ein Dolmetscher, eine Schriftführerin und ein Staatsanwalt. Außerdem zwei Verteidiger für die beiden Angeklagten, die vorbestraft sind. Draußen warten die zwei Detektive als Zeugen. Auf den Zuhörerstühlen nehmen zwei der ermittelnden Polizeibeamten Platz. „Alles ein bisschen aufwendiger heute“, stellt der Amtsrichter fest.

Die Angeklagten wollen nichts sagen. Die Verteidiger melden Beratungsbedarf an. Danach erklären die Angeklagten, sie seien zwar in der Parfümerie gewesen, hätten mit den Diebstählen aber nichts zu tun.

Im Gerichtssaal werden die Überwachungsvideos gezeigt. Mit geschultem Blick erläutert der Detektiv: Der mit dem Cappy stehe Schmiere. „Die sind fixiert auf die Marke Tom Ford. Jetzt müssen Sie genau gucken. Zack, ist es weg. Man erkennt die quadratischen Pakete in der Jackentasche.“ Die Männer verlassen das Geschäft, kommen kurz darauf aber zurück. Der Detektiv weiß, warum: Draußen hätten sie das Diebesgut aus den Jackentaschen in ihre Rucksäcke umgepackt. „Die Jackentaschen sind letzt leer, die Rucksäcke knackevoll. Weil es so gut geklappt hat, machen sie gleich weiter. Die lachen uns gerade aus.“

Als sich eine Verkäuferin nähert, verschwinden die Männer. 13 Parfüms zum Stückpreis von mehr als 100 Euro haben sie mitgehen lassen.

„Möchten Sie Ihre Einlassung nochmal überdenken?“, fragt der Richter. Plötzlich zeigen sich die Beschuldigten geständig und reuevoll. Der Diebstahl sei nicht geplant gewesen. Das allerdings sieht der Richter anders: In aller Ruhe, ohne jedes Anzeichen von Nervosität, hätten die Männer Parfüms in die Ärmel und Jackentaschen gesteckt. „Das nenne ich mal professionell.“ Die Beute sei offensichtlich zum Verkauf bestimmt gewesen. Juristisch handele es sich um gewerbsmäßigen gemeinschaftlichen Diebstahl – der Strafrahmen liegt zwischen drei Monaten und zehn Jahren. Für den schon einschlägig vorbestraften und unter Bewährung stehenden 31-Jährigen hat das eine achtmonatige Freiheitsstrafe ohne Bewährung zur Folge. „Sie haben Ihre Chance gehabt.“ Der Richter erlässt wegen Fluchtgefahr einen Haftbefehl für den Mann, dessen Asylantrag bereits abgelehnt wurde. „Hier in Deutschland haben Sie keine Perspektive mehr.“

Die beiden Mittäter verurteilt der Amtsrichter zu vier Monaten Haft auf Bewährung beziehungsweise zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 10 Euro. Es ist 16.50 Uhr. Noch keine 24 Stunden sind seit ihrer Festnahme vergangen.

Einige Tage später sitzt eine 40 Jahre alte Mutter dem Richter gegenüber. Derselbe Tatort, derselbe Detektiv. Die Frau trägt einen dicken blauen Parka zur schwarz-weiß-karierten Hose – so wie am Vortag, als sie von der Polizei festgenommen wurde. Ihre 17 Jahre alte Tochter und den 9-jährigen Sohn soll sie in der Parfümerie zum Klauen angeleitet haben. „Ich will wissen, wo meine Kinder sind“, klagt sie. „Zwei Kinder waren bei mir, als die Polizei kam. Seitdem weiß ich nicht mehr über sie. Ich habe stundenlang geweint.“ Noch nie sei sie in einer solchen Lage gewesen, übersetzt ein Dolmetscher. Noch nie habe sie gestohlen. In dem Geschäft habe sie eine Creme für ihre geschwollenen Augen kaufen wollen. Die Kinder hätten die Parfüms eingesteckt. „Ich habe nichts gemerkt.“ Das Video beweise das Gegenteil, sagt kurz darauf die Staatsanwältin. „Die Angeklagte war die treibende Kraft. Sie hat ihre Kinder instrumentalisiert.“

Wieder ist der Detektiv als Zeuge geladen: Die Tochter, analysiert er das Video, gehe gleich gezielt in die Chanel-Abteilung. Die Mutter zeige mit der Hand auf die Parfüms und gebe Befehle, was zu stehlen sei. „Die Tochter nimmt es und der Bruder soll es einstecken. Die wissen genau, dass er noch nicht strafmündig ist.“ Am Kohlmarkt stellte die Polizei das Trio. Im Kinderwagen fanden die Beamten ein Chanel-Parfüm für 139 Euro und eines der Marke Hugo Boss zum Preis von 98 Euro.

Die Angeklagte sagt, sie habe in ihrer Heimat nichts zu essen gehabt und sei vor sechs Monaten nach Deutschland gekommen mit ihrem Mann und sechs Kindern.

Der Amtsrichter verurteilt die Mutter zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 7 Euro. Sie ist nicht vorbestraft, vielleicht habe sie bisher nur Glück gehabt, meint die Staatsanwältin. Auch der Richter glaubt nicht, dass sie zum erstem Mal auf Diebestour war. „Selbst für die Kinder schien das schon Normalität gewesen zu sein.“ Er habe ernsthaft über eine Freiheitsstrafe nachgedacht. Sollte sie nochmals erwischt werden, könnte es für sie sogar mit einer Strafe ohne Bewährung enden.

Leserforum zum beschleunigten Verfahren

Z um Thema „Beschleunigtes Verfahren“ veranstaltet unsere Zeitung gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig am Mittwoch, 25. September, ein Leserforum. Beginn ist um 19 Uhr im Amtsgericht Braunschweig. Auf dem Podium sitzt unter anderem Barbara Havliza, Niedersachsens Justizministerin.

Interessierte Teilnehmer müssen sich im Vorfeld einer Sicherheitsüberprüfung durch die Behörden unterziehen. Dafür ist eine Anmeldung mit Namen, Geburtsdatum, Anschrift und Rufnummer nötig an veranstaltung@bzv.de. Am Abend gibt es im Amtsgericht Braunschweig eine Einlasskontrolle. Ein Personalausweis ist mitzuführen. Anmeldefrist: Freitag, 13. September, 10 Uhr. Die Plätze sind begrenzt.