Berlin. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit dem Betreuungsgeld. Es sei widersinnig und verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, so die Kläger.

Betreuungsgeld in der Region

Am Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht über das Betreuungsgeld, die einst als „Herdprämie“ geschmähte Geldleistung für Eltern, die keine Kita nutzen, sondern ihre Kleinkinder zu Hause betreuen. Die Frage lautet: Verstößt die Zahlung gegen das Grundgesetz? Vom Urteil der Karlsruher Richter sind bundesweit hunderttausende Eltern betroffen: Eineinhalb Jahre nach der Einführung des Betreuungsgelds zahlt der Staat die monatliche 150-Euro-Leistung inzwischen für knapp 400000 Kinder, in Niedersachsen sind es laut statistischem Bundesamt 36214.

Mit 900 Millionen Euro gehört das Betreuungsgeld zu den kleineren Posten im staatlichen Fördertopf für Familien – insgesamt gibt der Staat für Kinder, Ehe und Familie rund 200 Milliarden Euro aus. Eltern, die für ihre ein- und zweijährigen Kinder keine öffentlich finanzierte Kinderbetreuung bei Tagesmüttern oder Kitas in Anspruch nehmen, können das Betreuungsgeld 22 Monate lang beantragen. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern: Im Osten sind die Quoten deutlich niedriger als im Westen.

Gleich nach der Einführung durch die Schwarz-Gelbe Bundesregierung hatte das SPD-geführte Hamburg gegen das Betreuungsgeld geklagt – jetzt müssen die Karlsruher Richter entscheiden, ob das umstrittene Lieblingsprojekt der CSU bleibt oder kippt. Die Argumente der Kläger: Der Staat soll Familien fördern – es sei aber widersinnig, diejenigen mit einer staatlichen Geldleistung zu belohnen, die ein öffentliches Förderangebot, wie die Kitas, ausdrücklich nicht in Anspruch nehmen. Darüber hinaus verstoße das Betreuungsgeld gegen den Gleichheitsgrundsatz: Es setze falsche Anreize für die Berufstätigkeit von Müttern. Die Verhandlung ist öffentlich – mit einer Entscheidung aber ist erst in den kommenden Wochen zu rechnen.

Pikant: Das mittlerweile SPD-geführte Familienministerium muss das ungeliebte Betreuungsgeld vor dem Verfassungsgericht qua Amt gegen die Hamburger Klage verteidigen. Mit Staatssekretär Ralf Kleindiek fährt zudem just jener Mann nach Karlsruhe, der in seiner Zeit als Hamburger Staatsrat die Klage vor zwei Jahren mit vorbereitet hatte. Die CSU ist deswegen misstrauisch: Sie sieht einen „klassischen Interessenkonflikt“ und warnt SPD-Ministerin Manuela Schwesig: Sie sei in der Pflicht, sicherzustellen, dass ihr Mann in Karlsruhe das Betreuungsgeld gewissenhaft verteidige.

Die Sorge der CSU ist nicht ganz aus der Luft gegriffen: Für Schwesig bleibt das Betreuungsgeld eine ungeliebte „Fernhalteprämie“ – die gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten vom frühzeitigen Kita-Besuch abhalte. Studien untermauern das: Forscher der Uni Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts hatten vor Einführung des Betreuungsgelds über 100000 Paare mit Kindern unter drei Jahren befragt. Das Ergebnis: Vor allem Eltern mit niedrigem Bildungsstand und ausländischen Wurzeln sahen das Betreuungsgeld als gutes Argument gegen eine Kita-Besuch.

Die SPD-Ministerin würde das Betreuungsgeld gerne in andere Kanäle lenken – stößt dabei aber auf massiven Widerstand in der Union. Dabei gibt es durchaus Spielräume: Bereits im letzten Jahr hatten die Eltern in Deutschland weniger Betreuungsgeld beantragt als erwartet. Die Haushälter der Koalition korrigierten daraufhin die Planung für 2015 von einer Milliarde auf 900 Millionen - am Ende wurden 100 Millionen frei. Auch in diesem Jahr kalkuliert Schwesig, dass Geld übrig bleibt. Mit ihrem Vorschlag, damit die 1,6 Millionen Alleinerziehenden in Deutschland steuerlich stärker zu entlasten, fuhr sie jedoch bei Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gegen die Wand. Das Betreuungsgeld ist eben mehr als ein Haushaltsposten: Es ist vermintes Gelände.

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