New York. Janina Bandi, eine Frau aus Münster, kämpft in New York für schärfere Gesetze – mit mittlerweile vier Millionen Mitstreiterinnen.

Wie ein Kugelhagel prasselten in diesem Jahr die Nachrichten aus den USA auf uns ein: 49 Tote in Orlando, 58 Tote in Las Vegas, 26 Tote in Texas. Dazwischen die Selbstmorde, die es nicht in die Schlagzeilen schafften, und die Kleinkinder, die versehentlich ihre Geschwister erschossen. Jährlich sterben über 33 000 Menschen in den USA durch Waffengewalt. Im Jahr 2013 waren es in Deutschland 849.

Die Deutsch-Amerikanerin Janina Bandi muss nicht mehr wachgerüttelt werden. Die 41-Jährige lebt seit elf Jahren in den USA und setzt sich dort als eines der Gründungsmitglieder von „Moms Demand Action“ für einen sichereren Umgang mit Waffen ein. 75 Prozent ihrer Mitstreiter haben persönliche Erfahrung mit Waffengewalt wie Travis Zane, der im Jahr 2013 auf dem Uni-Campus von Santa Barbara mitansehen musste, wie eine Kommilitonin erschossen wurde. Oder Laura House, deren Vater sich mit einer Waffe selbst tötete. Oder Marie Delus, deren Neffe auf den Straßen von New York erschossen wurde. „Moms Demand Action“ zählt inzwischen fast vier Millionen Mitglieder. Nicht alle sind Mütter, auch Männer sind dabei. Mit ihrer Freiwilligenarbeit verfolgen sie ein gemeinsames Ziel: Das Land von Waffengewalt zu befreien.

„Als ich nach New York zog, wunderte ich mich, warum an so vielen Straßenecken in Harlem Friedhofskerzen mit frischen Blumen und Fotos standen. Bis mir erklärt wurde, dass überall dort Menschen erschossen worden waren.“ Trotz aller aufrüttelnden Berichte: Nichts änderte sich. „Ich bin in Münster aufgewachsen, als die Stadt noch zu der britischen Besatzungszone gehörte. Das Militär war sehr präsent. Wir haben auch Jäger in der Familie, die privat Gewehre besitzen. Aber Waffengewalt war nie ein Thema“, erinnert sie sich. Janina ist international geprägt. Sie ist in Chicago geboren, hat Zeit in Ägypten, Dubai und Ungarn verbracht. „Einen so entgleisten Umgang mit Waffen wie in den USA habe ich allerdings noch nirgends gesehen“, sagt sie.

Sie wollte helfen, die USA sicherer zu machen, fand aber lange keine landesweite Bewegung, der sie sich als Freiwillige anschließen mochte. Das änderte sich, nachdem ein psychisch kranker 20-Jähriger im Dezember 2012 in seine alte Grundschule eindrang und 20 Erstklässler und 6 Erwachsene mit dem halbautomatischen Sturmgewehr seiner Mutter tötete. Es war zehn Tage vor Heiligabend. Janina Bandi wurde bewusst, dass sie eine Veränderung nur herbeiführen konnte, indem sie sich einer großen Bewegung anschloss, die über die Grenzen ihres Viertels hinausging.

Sie fand eine Initiative von Shannon Watts, einer Mutter aus Indiana. Bei „Moms Demand Action“ waren schnell mehr als eine Million Mitstreiter zusammen. Schon vier Wochen nach ihrem Einstieg marschierte Janina Bandi mit 1000 Gleichgesinnten über die Brooklyn Bridge. Der Protest zielt nicht auf ein Verbot von Waffen ab. In den USA ist das Recht eines jeden Bürgers, Schusswaffen zu tragen, Teil der Verfassung. Das Verfassungsgericht bestätigte 2008 diesen Zusatzartikel, erlaubte aber auch, den Waffenbesitz gesetzlich einzuschränken. „Moms Demand Action“ verlangen keine Verfassungsänderung. Sie wollen, dass der Personenkreis, der eine Waffe legal erwerben und tragen darf, eingeschränkt wird.

Die „Moms“, wie Janina sie liebevoll nennt, haben mit der National Rifle Organisation (NRA), einen mächtigen Gegner. Diese Lobby der Waffenbesitzer und -hersteller finanziert Kampagnen von Politikern mit, die für eine Lockerung der Waffengesetze sind und den Erwerb von Waffen fördern. Trump erhielt für seinen Wahlkampf wohl rund 30 Millionen US-Dollar von der NRA.

Die Organisation ist erfolgreich. Inzwischen gibt es in den USA mehr Waffen als Menschen. Allerdings ist nun die Wahrscheinlichkeit, im eigenen Land erschossen zu werden, 25 Mal höher als in anderen Industrieländern. Im Kampf gegen diese Waffenpolitik haben die „Moms“ einen reichen New Yorker auf ihrer Seite: Michael Bloomberg. Der Milliardär und ehemalige Bürgermeister der Stadt ist für Finanzspritzen gut. Über das Jahresbudget der „Moms“ will Janina Bandi nicht sprechen, aber es liegt laut Medienberichten in zweistelliger Millionenhöhe. „Am meisten geben wir für Infomaterialien und Schulungen aus“, erklärt sie.

Auf Konfrontationskurs gehen die „Moms“ nicht. Ihnen ist es wichtig, Jüngere dazu zu bringen, Umgang mit Pistolen oder halbautomatischen Gewehren gewissenhafter und vielleicht auch skeptischer zu sehen. Die stärkste Waffe von „Moms Demand Action“ sind ihre eigenen Mitglieder, die selbst eine Schießerei miterlebt haben, verletzt wurden oder einen Menschen verloren haben. Janina hat Hunderte von Stunden damit verbracht, Opfer von Waffengewalt so zu schulen, dass sie in der Lage sind, ihre Geschichte öffentlich vorzutragen.

Auch Janina ist betroffen. Ihr Freund bekam vor Jahren in Harlem einen Schuss ins Bein. Es ist mehr als nur eine Narbe geblieben. „Für ihn tu’ ich das hier alles.“

„Moms Demand Action“ setzen dort an, wo Statistiken den größten Konsens in der Bevölkerung aufzeigen. Umfragen des Pew Research Centers zeigen, dass selbst 77 Prozent der Waffenbesitzer für einen Sicherheits-Check von Waffenkäufern sind. Zwar existiert bereits ein entsprechendes Bundesgesetz, aber nicht alle Staaten wenden es in gleichem Maße an. Es gilt zudem nur für Verkäufe durch lizensierte Waffenhändler. Privatverkäufe können in vielen Staaten und online ohne Überprüfung des Käufers stattfinden.

Selbst wenn ein Waffenhändler alles richtigmacht, kann er sich nicht sicher sein, ob er das halbautomatische Sturmgewehr mit Schalldämpfer vielleicht einem verurteilten Psychopathen ausgehändigt hat. Die Datenbanken für Zuverlässigkeitsprüfungen sind unvollständig, denn die Einspeisung erfolgt freiwillig und einige Staaten wie Alaska, Montana und Wyoming senden so gut wie keine Daten.

Das Militär ist ebenfalls angehalten, zu melden, wenn sich ein Armeemitglied eines Gewaltverbrechens schuldig gemacht hat. Auch hier gibt es Versäumnisse, wie der jüngste Fall des Amoklaufs eines ehemaligen Angehörigen der US-Luftwaffe in einer texanischen Kirche gezeigt hat.

„Wenn alle Staaten an einem Strang ziehen würden, hätten wir ein viel sichereres Land“, glaubt Janina. Aber die Staaten sind eigenwillig – historisch bedingt.

„Moms Demand Action“ haben allerdings schon einige Erfolge zu verbuchen. Dank ihres Engagements ist es nun in neun Staaten verboten, eine Waffe ohne Waffenschein zu tragen. Mit dem Hashtag #SkipStarbucks zog die Gruppe einen Boykott der Starbucks-Kette auf und schaffte es, dass das Management einen Rückzieher machte und sich gegen das offene Tragen von Waffen beim Kaffeegenuss aussprach.

Doch es gibt noch viel zu tun, findet June Rubin, ein weiteres Gründungsmitglied: „In Colorado dürfen Lehrer Pistolen im Klassenzimmer tragen. In Iowa dürfen Blinde Waffen bei sich führen, und in Florida haben viele eine Waffe im Handschuhfach.“ Das Unverständnis über solche Gesetze lässt die „Moms“ wachsen. Inzwischen marschieren Tausende einmal im Jahr über die Brooklyn Bridge. Ganze Familien laufen mit und tragen Schilder mit Aufschriften wie „Entwaffnet den Hass“ oder „Für mehr Waffenvernunft“.

Die Gegenseite setzt derweil auf Einschüchterung. Bei Veranstaltungen sei es in Texas schon vorgekommen, dass „Moms“ von Waffenbesitzern eingekreist wurden, erzählt June Rubin. Angst vor Übergriffen hat Janina nicht. „Ich habe zwar in den ersten Jahren keine Fotos von mir veröffentlicht, aber irgendwann wurde mir klar: Entweder ich mache das hier richtig oder gar nicht.“ Dass der Wandel Jahre oder Jahrzehnte braucht, nimmt sie sicher an.

Für die erschossenen Kinder von Newtown spielt Zeit keine Rolle mehr. Am 14. Dezember jährte sich der Amoklauf zum fünften Mal. Für die Trauerwache in einer Kirche in Manhattan haben die Mütter Fotos mit glücklichen Kindergesichtern ausgesucht. „Heute würde euch euer Land besser beschützen “, möchten die „Moms“ eines Tages zu ihnen sagen können.