Berlin. Die Ampel-Koalition in der Krise: Das oberste Gericht zwingt zum Kurswechsel in der Haushaltspolitik. Die Alternative wäre dramatisch.

Das Elterngeld fällt nun doch großzügiger aus als geplant, Kürzungen bei den Freiwilligendiensten oder der Integrationsförderung sind vom Tisch. Die Ampel-Koalition zieht zum Abschluss der Haushaltsberatungen die Spendierhosen an. Für die Sozialpolitik ist das eine gute Nachricht. Dennoch wirken die Etatbeschlüsse wie aus der Zeit gefallen. Hat die Koalition den Ernst der Lage nicht verstanden oder ist jetzt schon alles egal?

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von dieser Woche steht der Staat vor einer Zeitenwende bei seinen finanziellen Möglichkeiten – und die Ampel hätte gut daran getan, dass auch bei ihrer gesamten Haushaltsplanung für 2024 zu berücksichtigen. Die bittere Wahrheit ist: Steuererhöhungen stehen ebenso zur Debatte wie Ausgaben-Kürzungen. Dem Land drohen nach Jahren immer neuer Wohltaten heftige Verteilungskämpfe. Und der Koalition vielleicht das Aus.

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Denn mit der Entscheidung der Karlsruher Richter, der Regierung die Umwidmung von Corona-Nothilfekrediten für andere Aufgaben zu untersagen, fehlen dem Bund ja nicht nur gigantische 60 Milliarden Euro im Klimafonds, die für Investitionen etwa in die Wärmenetze, Bahnsanierung oder die Umrüstung von Stahlfabriken eingeplant sind. Auch ein weiterer Milliarden-Fonds für die Energiepreisdämpfung ist plötzlich gefährdet. Mehr noch: Im Kern ist den Koalitions-Parteien plötzlich der bequeme Weg versperrt, ihre grundsätzlichen Konflikte mit dreistelligen Milliardensummen auf Pump zuzukleistern, die in Sondertöpfen getarnt werden.

Haushaltskrise: Streicht die Ampel Subventionen?

Theoretisch gäbe es einen schlichten Ausweg: Die Schuldenbremse im Grundgesetz ließe sich wieder abschaffen – doch die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag wird es im Interesse künftiger Generationen nicht geben. Kanzler Scholz und seiner Regierung bleibt keine andere Wahl, als jetzt ihre gesamte Politik auf den Prüfstand zu stellen und die Lasten einer Kehrtwende möglichst gerecht zu verteilen. Entweder werden mit Steuererhöhungen die Einnahmen verbessert oder mit dem Rotstift Ausgaben reduziert.

Christian Kerl ist Politik-Korrespondent in der FUNKE Zentralredaktion.
Christian Kerl ist Politik-Korrespondent in der FUNKE Zentralredaktion. © FMG | FMG

Kluge Politik könnte beide Optionen in einem verträglichen Mix nutzen. Die Wiedereinführung einer Vermögensteuer oder die Anhebung der Erbschaftssteuer, um bei angemessenen Freibeträgen die wirklich Reichen der Republik stärker heranzuziehen, darf in diesen Krisenzeiten nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Tabu müssen aber all jene Steuererhöhungen bleiben, die Wachstum kosten würden.

Schuldentrickserei hielt die Ampel notdürftig zusammen

Gleiches gilt für die Ausgabenseite. Es wäre von gefährlicher Kurzsicht, bei den Investitionen für die Klima- und Energiewende anzusetzen. Aber die Koalition könnte zum Beispiel umweltschädliche Subventionen streichen, was ja ohnehin im Aufgabenheft der Ampel stand. Doch hat das Regierungsbündnis noch die Kraft für den notwendigen Neustart? Die Schuldentrickserei war ja der Klebstoff, der die Ampel notdürftig zusammenhielt. Nicht ausgeschlossen, dass es jetzt zum Bruch kommt.

Noch haben alle Ampelparteien Angst vor Neuwahlen. Aber was, wenn die wundgescheuerte FDP sich ausrechnet, dass schmerzhafte Kompromisse in der Steuerpolitik mehr Wählerstimmen kosten als die Flucht aus der Regierungsverantwortung? Auch die Grünen, deren klimapolitischer Markenkern durch neue Kürzungen gefährdet ist, werden diese Option prüfen. Viel hängt vom Kanzler ab. Sein ungewöhnlicher Aufruf zur „Tapferkeit“ der Koalitionäre entspricht dem Ernst der Lage. Das fröhliche Weiter-So in der Haushaltsplanung passt allerdings nicht dazu.