Berlin. Die islamistische Hamas hat unmittelbar Israel attackiert. Im Hintergrund stehen jedoch zahlreiche weitere Interessen. Ein Überblick.

Angesichts der Eskalation in Nahost glühen bei BundeskanzlerOlaf Scholz (SPD) die diplomatischen Drähte. Er telefoniert mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi. Am Donnerstag empfing er den Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, zum Mittagessen. „Alle drei können bei der Vermittlung und Deeskalation in der aktuellen Lage eine wichtige Rolle spielen“, sagte Scholz in seiner Regierungserklärung im Bundestag. Wer spielt welches Spiel im Krieg in Nahost? Ein Überblick über die wichtigsten Akteure.

Iran: Der Strippenzieher im Hintergrund

Auch unter Präsident Ebrahim Raisi ist das Regime in Teheran der große Strippenzieher und Unruhestifter in der Region. Iranische Revolutionsgarden sind in Syrien und im Irak aktiv. Die radikalislamische Hamas im Gazastreifen und die schiitische Hisbollah im Libanon erhalten Geld, Waffen und militärische Ausbildung von der Mullah-Regierung. Nach Einschätzung westlicher Sicherheitskreise lässt Raisi seit geraumer Zeit die Bauteile für Raketen, die von Hamas-Experten zusammengebaut werden, liefern.

Amerikanische und europäische Geheimdienste gehen davon aus, dass die extrem engmaschig koordinierten Terroranschläge der Hamas auf Ziele in Israel mit iranischer Unterstützung erfolgten. Noch gefährlicher ist das Arsenal der Hisbollah-Miliz. Sie verfügt über 140.000 moderne Kurz- und Mittelstreckenraketen aus dem Iran. Die Waffen wurden über den Irak und Syrien in den Libanon transportiert – die wie der Iran zur „Achse des schiitischen Widerstandes“ gehören. Das einigende Band der Länder und Terrorgruppen: Die Zerstörung Israels und die Schaffung eines Groß-Palästinas.

Vor einer direkten Konfrontation mit der mutmaßlichen Atommacht Israel schreckten die Mullahs bislang allerdings zurück. Sie lassen ihre regionalen Marionetten für sich arbeiten.

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Katar: Der reiche Geldgeber

Tamim bin Hamad Al Thani ist seit 2013 der Emir von Katar, das Oberhaupt des Zwergstaats am Persischen Golf. Der 43-Jährige ist Chef eines der pro Kopf reichsten Länder der Welt. Katar verfügt über riesige Gas- und Ölreserven – ab 2026 liefert es für 15 Jahre Flüssiggas nach Deutschland. Gleichzeitig investieren die staatlichen Investmentgesellschaften des Emirs weltweit in Unternehmen. In Deutschland sind sie an Volkswagen, der Deutschen Bank und RWE beteiligt.

Katar hängt wie Saudi-Arabien dem Wahhabismus an, einer streng konservativen Auslegung des sunnitischen Islams. Es pflegt gute Beziehungen zu den Mullahs im Iran, steht aber auch im Ruf, islamistische Terrorgruppen zu finanzieren.

Bundeskanzler Olaf Scholz (r), begrüßt den Emir von Katar in Berlin.
Bundeskanzler Olaf Scholz (r), begrüßt den Emir von Katar in Berlin. © DPA Images | Michael Kappeler

So überweist Katar nach Schätzungen pro Jahr rund 360 Millionen Dollar an den Gazastreifen, wo die Hamas das Sagen hat. Das Geld fließt in die Infrastruktur und den Wohnungsbau. Dies wurde lange auch von Israel toleriert, da es verhinderte, dass die Küsten-Enklave in völlige Armut abglitt. Doch ein Teil der Finanzen kam der Hamas-Führung und ihren Terror-Aktivitäten zugute. Der Hamas-Chef Ismail Hanija lebt in Katar.

Nach dem massiven Terrorangriff der Hamas auf Israel ließ der Emir die Farben der Palästinenser-Flagge auf das Nationalmuseum in Doha projizieren. Katar machte alleine die Regierung in Jerusalem für die Eskalation verantwortlich und verweis auf „ständige Verletzungen der Rechte des palästinensischen Volkes“. Die Regierung fordert die Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt.

Katar versucht aber auch, mit seinen engen Drähten zu islamistischen Extremisten politische Vorteile zu erzielen. Auch jetzt prescht der Emir mit einer Initiative vor, um sich als krisendiplomatische Feuerwehr in aussichtslos erscheinenden Situationen zu profilieren. So will er Emir helfen, einen Austausch israelischer Geiseln der Hamas und palästinensischer Häftlinge in israelischen Gefängnissen zu erreichen. Angeblich gibt es hinter den Kulissen bereits Gespräche mit den USA und Ägypten.

Türkei: Das unberechenbare Nato-Mitglied

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist vermutlich der größte Schaukelpolitiker in der Region – und zudem völlig unberechenbar. Der Chef des Nato-Mitglieds liefert Drohnen an die , kauft das russische Flugabwehrsystem S-400 und präsentiert sich dann wieder als der große politische Vermittler wie bei der Einfädelung des später von Russland gekündigten Getreideabkommens.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist im Israel-Konflikt wenig berechenbar.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist im Israel-Konflikt wenig berechenbar. © AFP | ADEM ALTAN

Lange Zeit unterhielt die Türkei enge Beziehungen zu Israel. Doch in letzter Zeit verkauft sich Erdogan als lautstarker Anwalt der Palästinenser und scharfer Kritiker Israels. So warf er den USA nach der Entsendung von Kriegsschiffen ins östliche Mittelmeer vor, sie wollten „Massaker“ in der Region verüben. Auch die massiven Luftangriffe Israels auf Gaza bezeichnete Erdogan als „Massaker“.

Erdogans Politik und die seiner islamistischer Regierungspartei AKP ist zunehmend religiös grundiert. Der Präsident hat sich in der Vergangenheit als Schutzherr radikal-islamischer Gruppen wie der ägyptischen Muslimbrüder und der aus ihnen hervorgegangenen Terrororganisation Hamas profiliert. Israel bezeichnete Erdogan dagegen häufig als „Terrorstaat“. In der AKP und in den Oppositionsparteien gibt es eine breite Unterstützung für die Hamas.

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USA: Zwischen Befriedung und Intervention

US-PräsidentJoe Biden steht vor den Trümmern seiner Nahost-Politik. Um sich künftig auf den Ukraine-Krieg und vor allem auf die aufstrebende Weltmacht China konzentrieren zu können, wollte er die Region durch einen diplomatischen Durchbruch befrieden. Biden strebte eine Annäherung zwischen der arabischen Schlüsselmacht Saudi-Arabien und Israel an. Dies sollte die zuvor erfolgte Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Ländern Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain und Sudan krönen.

US-Präsident Joe Biden wollte sich außenpolitisch eigetlich auf China konzentrieren.
US-Präsident Joe Biden wollte sich außenpolitisch eigetlich auf China konzentrieren. © DPA Images | Susan Walsh

Mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel wurde dieser diplomatische Prozess torpediert. Das erste Ziel der Amerikaner besteht nun darin, einen Raketenangriff der mit dem Iran verbündeten Hisbollah-Miliz auf Israel zu verhindern. Zur Abschreckung des Irans schickte Biden den Flugzeugträger „USS Gerald R. Ford“ und weitere Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer.

Es ist zunächst eine Drohkulisse Richtung Teheran, um einen regionalen Flächenbrand zu vermeiden. Sollte die Hisbollah Israel trotzdem attackieren, ist eine militärische Intervention der USA zum Schutz Israels nicht ausgeschlossen. Amerika ist Israels Garantiemacht und fühlt sich im Notfall zur Verteidigung des Landes verpflichtet.

Russland, der Trittbrettfahrer im Nahostkonflikt

Lange Zeit verfolgte der russische Präsident Wladimir Putin eine pragmatische Politik im Nahen Osten. Er setzte sich einerseits für einen unabhängigen Palästinenserstaat ein. Gleichzeitig akzeptierte Putin stillschweigend, dass Israel Stellungen der iranischen Revolutionsgarden in Syrien bombardierte, wenn sie der israelischen Grenze zu nahe kamen.

Der Ukraine-Krieg veränderte das Koordinatensystem des Kremlchefs. Russland unterhält eine strategisch wichtige Waffenbrüderschaft mit dem Iran. Teheran liefert eine große Anzahl von „Shahed“-Drohnen, die in der Ukraine große Schäden in den Städten und an Kraftwerken anrichten.

Putin ist eine Art Trittbrettfahrer des gegenwärtigen Konflikts. Ein neuer Nahost-Krieg bindet die Aufmerksamkeit des Westens und lenkt vom Waffengang in der Ukraine ab. Putins Kalkül beruht auf drei Punkten. Erstens: Die Waffen, die die USA für Israel bereitstellen, können nicht der Ukraine zugutekommen. Zweitens: Das Engagement in zwei Kriegen wäre für die amerikanische Öffentlichkeit zu viel; im Zweifelsfall fällt die Ukraine hinten runter. Drittens: Eine Krise in Nahost treibt den Ölpreis in die Höhe, was der Staatskasse in Russland nutzt.

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Ägypten ist in einem „kalten Frieden“ mit Israel

Das Land am Nil war 1948 einer der erbittertsten Feinde des 1948 neu gegründeten Staates Israel. Im Jahr 1982 gab die Regierung in Jerusalem die im Sechstage-Krieg 1967 eroberte Sinai-Halbinsel an Ägypten zurück. Seitdem lebt das Land – wie auch Jordanien – in einem „kalten Frieden“ mit Israel. Auch der heutige Präsident Abdel Fattah al-Sisi bleibt diesem Kurs treu. Al-Sisi arbeitete mit den israelischen Sicherheitsbehörden eng zusammen. Der ägyptische Präsident, der 2013 seinen der islamistischen Muslimbruderschaft nahestehenden Vorgänger Mohammed Mursi aus dem Amt geputscht hatte, ließ die Hamas verbieten. Dennoch hat Ägypten Kontakte zu der Gruppierung im Gazastreifen. US-Außenminister Antony Blinken bemüht sich durch eine Einschaltung Ägyptens um eine Freilassung der Geiseln im Gazastreifen.

Saudi-Arabiens auf außenpolitischen Wackelkurs

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman („MBS“) will die Ölmonarchie in eine moderne Wirtschaftsmacht verwandeln. Deshalb bereitet er sein Land bereits heute auf die Zeit nach Öl und Gas vor: Solar-, Wind- und Atomenergie sollen mit Riesenschritten ausgebaut, die Wirtschaft diversifiziert werden. Sein Image als „Blutprinz“ – ihm wird von westlichen Geheimdiensten eine direkte Beteiligung an der grausamen Ermordung des saudi-arabischen Regimekritikers Jamal Khashoggi im Oktober 2018 vorgeworfen – will er ablegen.

Den Anstrich der Modernisierung flankierte „MBS“ mit einer politischen Annäherung an Jerusalem. Es wurde sogar über eine baldige Anerkennung Israels spekuliert. Das sollte auch westliche Investoren für das Königreich anlocken. Diese Pläne sind mit der Hamas-Attacke obsolet. Saudi-Arabien steht unter dem Druck der arabischen Gesellschaften, Solidarität mit den Palästinensern zu zeigen.

„MBS“ reagierte zunächst mit einem Balanceakt. Einerseits rief er dazu auf, die Eskalation in der Region herunterzufahren. Andererseits warnte er vor einer „Entziehung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes“. Das passt zu seinem außenpolitischen Wackelkurs: Die Annäherungsversuche Richtung Israel hinderten ihn nicht daran, im März eine Normalisierung der Beziehungen mit Israels Erzfeind Iran zu vereinbaren.