New York/Washington. Im UN-Sicherheitsrat fordert der ukrainische Präsident das Ende für Russlands Veto-Recht. Den russischen Botschafter lässt das kalt.

Wassili Nebensja, Wladimir Putins verlängerter Arm bei den Vereinten Nationen, muss geahnt haben, was kommt, wenn man Wolodymyr Selenskyj im wichtigsten Entscheidungsremium der UN frei reden lässt. Darum widmete der russische Botschafter zu Beginn der mit Hochspannung erwarteten Sitzung des Sicherheitsrates am Mittwochmittag in New York einige Minuten darauf, Sitzungsleiter Edi Rama die privilegierte Präsenz des ukrainischen Präsidenten mit Verweis auf Verfahrensfehler auszureden. Vergebens.

Der albanische Premierminister konterte den Vorstoß kühl: Wenn Moskau den Krieg stoppe, sagte er, müsse Selenskyj hier nicht als Erster reden. Die Antwort war Schweigen. Dann kam Selenskyj und fuhr prozessual schwerste Geschütze gegen Putin auf.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (M) nimmt an einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates teil.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (M) nimmt an einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates teil. © Craig Ruttle/AP/dpa

Wolodymyr Selenskyj: Russland ist ein "terroristischer Staat"

Sein Petitum: Russland müsse durch ein demokratisches Votum der von 193 Mitgliedsländern gespeisten Generalversammlung der UN als einem von fünf ständigen Mitgliedern im „security council” das Veto-Recht genommen werden.

„Es ist unmöglich, den Krieg zu beenden, denn alle Aktionen hier werden vom Aggressor blockiert”, sagte Selenskyj, der das olivefarbene Polo-Shirt vom Vorabend, als er vor der Generalversammlung sprach, gegen ein gleichfarbiges, frisch gebügeltes Oberhemd eingetauscht hatte.

Selenskyj nahm in seiner kurzen, vom Blatt abgelesenen Rede, der bis in den späten Abend Dutzende weitere von anderen Staatenlenkern folgen sollten, kein Blatt vor den Mund. Er nannte Russland einen „terroristischen Staat” und die „einzige Quelle” für das Leid, das Zehntausende seiner ukrainischen Landsleute seit 574 Tagen zu erdulden hätten.

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Selenskyj fordert: Aus für Russlands Veto-Recht

Ausdrücklich warnte er vor „Kompromissen mit Killern”. Nur wenn Russland seines Veto-Rechts beraubt würde (das auch China, England, Frankreich und die USA genießen), könne der Kreml für den Angriffskrieg wirksam zur Verantwortung gezogen werden. Ein realpolitisches Szenario für seine Forderung gibt es jedoch derzeit nicht.

Selenskyj, der unmittelbar nach seiner 15-minütigen Ansprache den Saal wieder verließ, sprach sich vehement dafür aus, die Zahl der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates zu erhöhen. Neben Afrika und Asien gebühre auch Deutschland ein ständiger Sitz, sagte er. „Deutschland ist zu einem der wichtigsten globalen Garanten für Frieden und Sicherheit geworden”, konstatierte Selenskyj. Später sagte Bundeskanzler Olaf Scholz: „Der Grund dafür, dass das Leid in der Ukraine und überall auf der Welt andauert, ist erschütternd einfach: Russlands Präsident will seinen imperialistischen Plan zur Eroberung seines souveränen Nachbarn, der Ukraine, umsetzen.”

UN: Supermächte blockieren den Sicherheitsrat

Russlands Botschafter Nebensja schaute während Selenskyjs Rede demonstrativ auf sein Mobil-Telefon. Ob er darüber von seinem Chef, Sergej Lawrow, Instruktionen erhielt, ist nicht bekannt. Russlands Chef-Diplomat betrat den Saal mit dem berühmten Hufeisentisch erst, als Selenskyj längst weg war. Das befürchtete Aufeinandertreffen der Top-Vertreter aus Kiew und Moskau blieb also aus. Lawrow hatte substanziell wenig zu bieten. In einer für ihn typischen Historien-Erzählung warf er dem Westen einen „Überlegenheitskomplex” und große Mitschuld an der Krise in der Ukraine vor. Beifall erhielt er nicht.

Dem Sicherheitsrat gehören zurzeit 15 Länder an, neben den fünf Vetomächten gibt es zehn nicht-ständige Mitglieder, die alle zwei Jahre gewechselt werden. Der Streit um das Veto-Recht ist Jahrzehnte alt. USA, Russland und China sorgen mit ihrem Recht auf Nein-Sagen regelmäßig in wichtigen geopolitischen Fragen für Stillstand und Handlungsunfähigkeit.