Berlin. Die Ampel hatte vor der Sommerpause einen Neustart versprochen. Dass es nun wieder Krach gibt, liegt an einem ungelösten Konflikt.

Allen Ermahnungen, guten Vorsätzen und selbstkritischen Reue-Bekundungen zum Trotz: Die Ampel-Koalition kommt aus der Sommerpause, wie sie sich in die politische Auszeit verabschiedet hatte. Sie ist verwickelt in Streit und Durcheinander. Im Konflikt um die Finanzierung der Kindergrundsicherung blockierte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) am Mittwoch ein Gesetzesprojekt, mit dem Finanzminister Christian Linder (FDP) die um ihre Wettbewerbsfähigkeit bangenden deutschen Unternehmen durch Steuererleichterungen in Milliardenhöhe entlasten will.

Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck ist der Leitwolf der Grünen in der Regierung – und hatte grünes Licht für die Verabschiedung im Kabinett gegeben, obwohl er die jährlich geplanten Entlastungen für zu gering hält. Paus wählte trotz Habecks Zustimmung den Weg des Widerstands, offenbar indem sie zwei inhaltlich nicht miteinander verbundene Themen verknüpfte. Sie fordert von Lindner die Zusage, mehr Geld für die Kindergrundsicherung zu bekommen. Das lehnt er ab.

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Ein Sprecher des Familienministeriums wollte die Beweggründe seiner Chefin nicht erläutern und verwies auf „interne Vorgänge“ innerhalb der Regierung. Beifall bekam Paus vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, der das „beachtenswerte Stehvermögen“ der Ministerin im Konflikt mit Lindner um die Kindergrundsicherung lobte. Die vom Finanzminister geplanten Milliardenentlastungen seien angesichts dringender sozialpolitischer Vorhaben „haushalts- und finanzpolitisch unverantwortlich“, hieß es.

Erhoffter Ampel-Neustart zur Mitte der Legislaturperiode ist verpatzt

Der Streit um das zentrale Projekt der Familienministerin beschäftigt die Koalition seit Wochen. Kanzler Olaf Scholz hatte Paus deswegen mit der Hausaufgabe in die Sommerpause geschickt, bis Ende August einen in der Regierung geeinten Entwurf vorzulegen. Die Familienministerin musste nachsitzen. Scholz wollte das Thema abräumen, nun ist es mit voller Wucht zurück. Und der erhoffte Neustart der Koalition zur Mitte der Legislaturperiode verpatzt.

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, und Lisa Paus (Buendnis 90/Die Grünen) im Gespräch.
Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, und Lisa Paus (Buendnis 90/Die Grünen) im Gespräch. © picture alliance / photothek | Florian Gaertner

Bei der FDP rief Paus mit ihrem Veto Unverständnis hervor. „Es ist schon sehr erstaunlich, dass Ministerin Paus mit dieser Blockade auch ihren grünen Kabinettskollegen in den Rücken fällt“, sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki dieser Redaktion. „Einen professionellen Eindruck hinterlässt sie jedenfalls nicht, wenn sie meint, in dieser schwierigen konjunkturellen Situation die Zukunftsfähigkeit des Landes aufs Spiel setzen zu müssen.“

Finanzminister Lindner sagte eine geplante Pressekonferenz zum sogenannten Wachstumschancengesetz kurzfristig ab. Stattdessen meldete sich der FDP-Chef auf dem Social-Media-Portal X (vormals Twitter) zu Wort: Es sei bedauerlich, dass ein Beschluss trotz des Einvernehmens mit Habeck nicht möglich gewesen sei, erklärte Lindner. „Jede und jeder sollte wissen, dass alle sozialen Ausgaben ein starkes wirtschaftliches Fundament benötigen. Auch Familien mit Kindern benötigen gute Arbeitsplätze.“

SPD-Fraktionsvize: Verschieben des Gesetzes nicht nachvollziehbar

Die wirtschaftliche Lage war eins der bestimmenden Themen der vergangenen Wochen. Angesichts hoher Energiepreise und anderer ungünstiger Umstände fürchten deutsche Firmen, im globalen Wettbewerb ins Abseits zu geraten. Vertreter aller Ampel-Partner meldeten sich zuletzt zu Wort und kündigten an, sich alsbald mit Impulsen für die heimische Wirtschaft befassen zu wollen. Lindners Entlastungspaket hätte ein erster Schritt sein können.

Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, nach der Sitzung des Kabinetts.
Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, nach der Sitzung des Kabinetts. © dpa | Britta Pedersen

Dass es nun zumindest vorerst nicht so kommt, rief Murren auch in der SPD hervor. „Das Verschieben des Gesetzes ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagte die Fraktionsvizechefin Verena Hubertz. „Die Wirtschaft braucht jetzt Maßnahmen.“ Die Koalition müsse „in die Gänge kommen“ anstatt sich „gegenseitig zu blockieren“, fügte Hubertz hinzu. „Spätestens nach den Erfahrungen mit dem Heizungsgesetz muss allen bewusst sein, dass es nur gemeinsam konstruktiv nach vorne gehen kann.“

Scholz hatte Ampel-Partner erst am Wochenende ermahnt

Im Streit ums Heizungsgesetz waren es vor allem Grüne und FDP gewesen, die sich beharkt hatten. Lindner hatte einem Entwurf von Habeck zwar im Kabinett zugestimmt, aber im selben Atemzug angekündigt, dass die FDP die Vorlage im parlamentarischen Verfahren umkrempeln wolle. So kam es dann auch. Grüne und SPD hatten dies als Blockade empfunden. Aus der Koalition war am Mittwoch zu hören, Lisa Paus habe nun „den Christian Lindner gemacht“.

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Scholz hatte erst am Wochenende in einem ZDF-Interview den „Ton“ der vergangenen Monate in der Koalition gerügt. Er habe aber den Eindruck, dass viele sich über den Sommer vorgenommen hätten, das zu ändern. „Wir brauchen schon einen klaren Kurs, den man auch sehen kann“, fügte der Kanzler hinzu. Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann wies am Mittwoch die Interpretation zurück, dass die Ampel einen Fehlstart hingelegt habe, und zählte die vielen anderen Vorhaben auf, die im Kabinett auf den Weg gebracht wurden.

Die Regierung sei sich außerdem einig, dass sowohl die Kindergrundsicherung als auch das Wachstumschancengesetz beschlossen werden sollten, hob Hoffmann hervor. Beide Projekte seien „sehr weit gediehen“ in der Abstimmung, mit einer Einigung sei in Kürze zu rechnen. Auf einer Kabinettsklausur im brandenburgischen Meseberg Ende August wolle die Koalition einen „wirtschaftspolitischen Schwerpunkt“ setzen – und dann auch Linders Wachstumschancengesetz beschließen.