Berlin. Bundeskanzler Scholz sollte der Ukraine Marschflugkörper Taurus zusagen. Allerdings muss klar sein: Die Hilfe kann damit nicht enden.

Wo ist die rote Linie? Diese Frage begleitet die Politik der Bundesregierung seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vor inzwischen mehr als 530 Tagen. Die Waffenlieferungen an die Ukraine begannen zwei Tage nach Kriegsbeginn mit 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ aus Beständen der Bundeswehr. Es folgten nach und nach Luftverteidigungssysteme, Mehrfachraketenwerfer, schließlich Kampfpanzer und vieles mehr. Jetzt wird über die Weitergabe der Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern nachgedacht.

Vor und mit jeder Entscheidung wurde die Frage diskutiert, ob die Bundesregierung damit eine Grenze überschreiten könnte, die zu einer Eskalation führt. Zu einer direkten kriegerischen Konfrontation zwischen der Nato und Russland. Zu einem Einsatz von Atomwaffen durch Wladimir Putin.

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Ein Teil der deutschen Bevölkerung blickt mit Sorge auf die militärische Unterstützung der Bundesregierung für die Ukraine, befürchtet ein Übergreifen des Krieges auf uns durch die Waffenhilfe, sorgt sich um Perspektiven für einen Frieden im Osten Europas. Andere befürworten die Unterstützung und fordern von der Regierung, mehr, schneller und schlagkräftigere Waffen zu liefern. Wieder andere sind ratlos.

Waffenlieferungen an die Ukraine: Auch diesmal sollte Scholz etwas wagen

Durch die westlichen Waffenlieferungen ist es der Ukraine nicht nur gelungen, sich gegen die Invasoren zu verteidigen, sondern auch militärische Erfolge gegen die Angreifer zu erringen – auch wenn der erhoffte große Erfolg der Gegenoffensive bisher ausgeblieben ist. Durch die Unterstützung Deutschlands leben die Menschen im Großteil der Ukraine nicht unter fremder Besatzung. Welche Gräueltaten ihnen erspart bleiben, haben die russischen Massaker von Butscha gezeigt.

Politikkorrespondent Jan Dörner.
Politikkorrespondent Jan Dörner. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Es war die richtige Taktik, die Entscheidungen über Waffenlieferungen zu wägen, aber auch zu wagen. Auch diesmal sollte Bundeskanzler Olaf Scholz etwas wagen. Die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine würde keine neue Qualität der Waffenlieferungen bedeuten. Großbritannien und Frankreich geben bereits sehr ähnliche Systeme an die Ukraine weiter.

Die Marschflugkörper der beiden Staaten sind in der Ukraine im Einsatz, zu einer Eskalation des Krieges ist es dadurch nicht gekommen. Die britischen und französischen Geschosse werden von der Ukraine nicht gegen Ziele auf russischem Boden eingesetzt. Warum sollte es mit deutschen Marschflugkörpern anders sein?

Eine Wunderwaffe, die den Krieg beendet, gibt es nicht

Beteiligt sich Deutschland, am besten auch im Gleichschritt mit den USA, an der Lieferung solcher Waffensysteme, wird keine rote Linie überschritten. Es wird aber auch keine Wunderwaffe geliefert. In den vergangenen Monaten entstand in der immer wieder hitzig geführten Debatte um Waffenlieferungen oft der Eindruck, die Wende im Krieg sei nahe, wenn die Ukraine nur Kampfpanzer oder Kampfjets westlicher Bauart erhalte. Die bittere Wahrheit ist, dass es diese Wunderwaffe zum Sieg und somit einem schnellen Frieden nicht gibt.

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Die Ukraine wird noch lange Hilfe brauchen, sie wird nach diesem Krieg Sicherheitsgarantien in Form von militärischem Beistand bekommen müssen. Die stetige Unterstützung der Ukraine ist der Schlüssel dafür, dass sich das Land weiter erwehren kann. Eine starke Ukraine ebnet am Ende den Weg zu einem Einlenken Putins. Eine starke Ukraine ist der Garant dafür, dass abseits des Schlachtfelds nach Möglichkeiten für einen Frieden gesucht werden kann.