Kiew. Er kämpfte gegen die Russen um das Asow-Stahlwerk, ging in Kriegsgefangenschaft – und doch will Denys Prokopenko zurück an die Front.

Es sind Bilder, die durch die gesamte Ukraine gingen: Nachdem Denys Prokopenko, Kommandeur des Asow-Regiments und russischer Kriegsgefangener, vor anderthalb Wochen gemeinsam mit anderen Schlüsselfiguren der Verteidigung von Mariupol aus der Türkei zurückkehrte, wurde er von Zehntausenden Menschen im Zentrum der westukrainischen Metropole Lwiw empfangen. Nun traf er erstmals wieder auf seine Truppe – und lieferte eine bewegende Rede ab.

“Ich kann nur das wiederholen, was ich noch in russischer Gefangenschaft sagte: Dieser Krieg wird für mich erst dann zu Ende gehen, wenn wir unseren letzten Gefangenen zurückbekommen und die Grenzen von 1991 wiederherstellen“, erklärte der 32-Jährige mit dem Spitznamen „Rettich“ vor den Soldaten. „Ich bin Soldat und mich interessiert aktuell keine andere Tätigkeit.“ Im Moment absolviert Prokopenko noch die Rehabilitation – soll aber seinen Dienst bald wieder aufnehmen.

Eigentlich hätten Prokopenko und weitere Asow-Führungsfiguren, die im September 2022 gegen den Putin-Freund Wiktor Medwedtschuk ausgetauscht wurden, bis zum Kriegsende in der Türkei bleiben sollen. Doch es kam anders. Wie genau es Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seinem jüngsten Staatsbesuch geschafft hat, die Männer freizubekommen, ist nicht bekannt. Doch für die Moral der Menschen in der Ukraine war es ein riesiger Boost.

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Asow-Kämpfer waren auch in Ukraine nicht unumstritten

Nicht jeder Ukrainer hielt früher viel von Asow, dem einstigen Freiwilligenbataillon nationalistischen und ultrarechten Ursprungs, das inzwischen in die Nationalgarde integriert wurde. Die 86 Tage der Mariupol-Verteidigung haben aus den Kämpfern aber unumstrittene Helden der gesamten Nation gemacht. Das Gesicht und die Stimme dieser Verteidigung, vor allem seit der Blockade des Asow-Stahlwerks im April 2022 durch die russischen Truppen war Denys Prokopenko. Er ließ sich regelmäßig aus den riesigen Kellern zur aktuellen Lage interviewen.

Wolodymyr Selenskyj (M), Präsident der Ukraine, schüttelt dem Kommandeur des Asow-Regiments Denys Prokopenko am internationalen Flughafen von Istanbul die Hand.
Wolodymyr Selenskyj (M), Präsident der Ukraine, schüttelt dem Kommandeur des Asow-Regiments Denys Prokopenko am internationalen Flughafen von Istanbul die Hand. © picture alliance/dpa/Ukrainian Presidential Press Office/AP | picture alliance/dpa/Ukrainian Presidential Press Office/AP

Prokopenkos Familiengeschichte ist geprägt vom frühen Tod seines Vaters. Sein Großvater war ethnischer Karele und kämpfte 1939 bis 1940 gegen die Sowjetunion im Sowjetisch-Finnischen-Krieg. Prokopenko selbst hat Deutsch und Englisch an der Kiewer Nationalen Linguistischen Universität studiert – und ließ sich dort zum Englischlehrer ausbilden. Diese Berufswahl kam für viele überraschend, denn eigentlich zeigte er sich vor allem sportbegeistert: Beim Kampfsport, und er mischte in der Fan-Szene von FC Dynamo Kiew mit.

Denys Prokopenko: „Krieg ist Kunst und keine Wissenschaft“

Durch diese Szene landete er 2014 auch im Donbass-Krieg: Die ukrainische Armee war damals bei weitem nicht so stark wie heute. Gerichtet haben es oft Freiwilligenbataillone wie Asow, die zu einem großen Teil aus Fußball-Ultras bestanden. Als Lehrer hat Prokopenko bislang nie gearbeitet. Seine Führungsqualitäten wurden aber bei Asow durchaus bemerkt. Er stieg schnell in der Hierarchie auf – und wurde 2017 zum Kommandeur des Asow-Regiments ernannt.

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Prokopenko war damit jüngster Kommandeur einer Einheit in der Geschichte der Ukraine. Warum er so populär ist, zeigen auch seine Worte aus dem letzten Video, bevor das Asow-Stahlwerk aufgegeben wurde und er in russische Gefangenschaft ging: „Jede Entscheidung, jeder Plan, jede Operation muss angezweifelt werden. Ich hatte immer Zweifel, ob wir hier das Richtige tun, habe aber immer wieder das bestätigt bekommen und darauf bestanden“, sagte er. „Im Krieg riskierst du vieles, nicht alles geht auf.“

Krieg sei eine Kunst und keine Wissenschaft, fuhr er fort. „Wir haben Zeit für unsere Jungs an anderen Ecken der Front gewonnen, damit unsere Aufgabe erfüllt und das Leben von vielen Kameraden gerettet. Dies geschafft zu haben, bedeutet gute militärische Führung.“ Wann genau der rationale und ruhige Kommandeur auf das Schlachtfeld zurückkehrt, ist unklar – aber Russland dürfte das Sorgen bereiten.

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