Kiew. Skurrile Szenen an der Grenze zu Belarus: Um die andere Seite zu nerven, nutzen die Soldaten wilde Methoden – und eine Kartoffel.

Bis zuletzt hatte die Ukraine gehofft, dass es nicht dazu kommen würde: Doch als die russische Armee am 24. Februar 2022 von Belarus ins Land einmarschiert, ist klar: Der nördliche Nachbar steht aufseiten Wladimir Putins. Zuvor hatte Minsk noch zwischen der Ukraine und Russland vermitteln wollen – der belarussische Verteidigungsminister soll sogar sein Ehrenwort gegenüber seinem ukrainischen Kollegen gegeben haben, dass es nicht zu einem russischen Angriff vom belarussischen Boden aus kommt.

Doch das angebliche Ehrenwort von Wiktor Chrenin war nichts wert. Seit dem Abzug der russischen Streitkräfte Ende März 2022 auss den nördlichen Vororten Kiews gab es zwar keine ernsthaften Versuche mehr, die belarussisch-ukrainische Grenze zu überqueren – sogar die russischen Luftangriffe von belarussischen Territorium haben aufgehört. Doch in Kiew ist man überzeugt, dass das allein der Drohung zu verdanken ist, andernfalls Ziele in Belarus anzugreifen.

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Ukraine verstärkte Truppen an der Grenze zu Belarus

Nach dem abgeblasenen Aufstand von Jewgenij Prigoschin werden die Karten nun aber neu gemischt – Hintergrund ist die möglichen Stationierung von Wagner-Truppen oder deren Resten in Belarus. Offiziell bestätigt ist deren Ankunft bisher nicht, aber es gibt Anzeichen dafür, dass Zeltenlager für die Kämpfer errichtet werden. In der Ukraine löst das keineswegs Panik aus, denn die Gefahr russischer Sabotageaktionen und kleinerer Angriffe zur Bindung der ukrainischen Truppen an der belarussisch-ukrainischen Grenze ist auch ohne Wagner groß.

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Schon seit April 2022 hat die Ukraine nicht nur massive Verteidigungsstellungen und Minenfelder an der Grenze aufgebaut, auch ein nicht unbedeutender Teil der ukrainischen Armee blieb aufgrund der Gefahr permanent im Norden stationiert. Dass Wagner tatsächlich einen halbwegs erfolgreichen Vorstoß in Richtung Kiew wagen könnte, liegt eher im Bereich der Science Fiction. Dennoch wollen die ukrainischen Verantwortlichen selbst auf potenzielle Gefahren reagieren.

Ein Grenzsoldat schaut auf die andere Seite nach Belarus: Was er dort wohl sieht?
Ein Grenzsoldat schaut auf die andere Seite nach Belarus: Was er dort wohl sieht? © picture alliance / abaca | ABACA

Aus diesem Grund hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vergangenen Freitag angeordnet, die nördliche Front noch einmal zu verstärken. Und auch der Befehlshaber der ukrainischen Armee, Walerij Saluschnyj, sprach Wagner in einem Interview offen an: „Ich habe viele Befürchtungen und Wagner ist eine davon“, sagte er der „Washington Post“. „Aber sie ist bei weitem nicht die einzige.“ Auch wenn nicht direkt gekämpft wird, hat sich belarussisch-ukrainischen Grenze zuletzt ein anderer Krieg verschärft. Ein Psycho-Krieg zwischen den ukrainischen und belarussischen Grenzpolizisten und Grenzsoldaten.

Angebot an Überläufer mit belarussischem Borschtsch

Schon im März hatten die Ukrainer an den Grenzposten zu Belarus sechs große Plakate mit der Aufschrift „Besatzer haben auf ukrainischem Boden keinen Platz“ installiert. Die Belarussen antworteten darauf mit eigenen Plakaten, auf denen „Wir werden der Ukraine helfen, echte Besatzer zu finden“ stand – daneben ein US-amerikanischer Soldat, auf den eine Lupe gerichtet ist. Der Kreml wirft Washington seit langem vor, die Ukraine in Wahrheit für einen Angriff auf Russland zu bewaffnen.

Im April gingen die Ukrainer dann einen Schritt weiter. Sie stellten eine riesige Leinwand an der Grenze auf, die Aufnahmen von getöteten Zivilisten in der Kiewer Vorstadt Butscha zeigte. Auch eine Ansprache von Selenskyj an das belarussische Volk wurde auf der Leinwand abgespielt. Immer wieder stellten die Grenzsoldaten die Luftalarmsirenen an, die ukrainische Zivilisten beinahe täglich bei Gefahr hören.

Auf einem ukrainischen Plakat an der belarussischen Grenze steht:
Auf einem ukrainischen Plakat an der belarussischen Grenze steht: "Wir haben zusammen den Faschismus besiegt, wir können auch den russischen Faschismus besiegen".  © Twitter | Natalka

Ende Mai kam die Replik aus Belarus – dieses Mal in Form einer eher fragwürdigen kulinarischen Trolling-Methode. Folgende Audiobotschaft ertönte über die Grenze in die Ukraine: „Borschtsch ist das, was uns verbindet. Vergesst das nicht, Genossen. Wenn ihr nichts mehr zum Kochen habt, kommt auf unsere Seite. Wenn ihr unseren belarussischen Borschtsch probiert, würdet ihr das nicht bereuen.“ Über tatsächliche ukrainische Überläufer ist nichts bekannt.

Ukraine wirft Belarus Verrat vor – mit skurrilem Vergleich

Stattdessen nahmen die Ukrainer das Angebot zum Anlass, um ein weiteres Mal die Rolle der Belarussen im Angriffskrieg zu adressieren. „Leider hat sich das Rezept der belarussischen Borschtsch-Variante geändert, weil bei dessen Zubereitung ein Messer verwendet wurde, das den Ukrainern zuvor in den Rücken gerammt wurde.“ Seither gehen die gegenseitigen Sticheleien fast täglich weiter. Und der Psychokrieg an der Grenze treibt immer kuriosere Blüten.

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Im Juni schickten ukrainische Grenzsoldaten eine mit einer Kartoffeln beladene Drohne auf die andere Seite – Belarus ist für seine Kartoffelproduktion bekannt. Die Belarussen warfen ihrerseits den Ukrainern in einer Audiobotschaft vor, betrunken an der Front zu kämpfen: „Wodka scheint ein notwendiger und ständiger Begleiter des unvermeidlichen ukrainischen Sieges zu sein“, hieß es darin.

Wie albern diese verbalen Scharmützel zwischen Ukrainern und Belarussen an der Grenze auf den ersten Blick auch wirken mögen, sie täuschen nicht über die angespannte Lage zwischen den beiden Nachbarn hinweg. Seit dem 24. Februar 2022 wissen die Ukrainer genau: Von Belarus könnte auch ein zweites Mal eine böse Überraschungen ausgehen – und seien es doch die Wagner-Söldner.

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