Moskau. Belarus’ Machthaber war lange abhängig von Putin. Beim Wagner-Aufstand konnte er sich als nützlich erweisen. Oder hat er eigene Pläne?

Jewgeni Prigoschin wirkte ganz zufrieden, eher wie ein Sieger, als er Samstagnacht in den Geländewagen stieg, der ihn nach Belarus bringen sollte – ins zumindest vorläufige Exil. Er wird sich dort wohlfühlen, steht zu vermuten. Im Museum kann er ein ganz besonderes Exponat bewundern, einen Vorschlaghammer, mit dem Prigoschins Wagner-Kämpfer in der Ukraine Deserteure in den eigenen Reihen brutal bestrafen, signiert von einem Wagner-Kämpfer.

Warum ausgerechnet Alexander Lukaschenko, der „letzte Diktator Europas“, wie ihn viele nennen, zum Vermittler wurde, darüber spekulieren viele. War es eine gesichtswahrende Lösung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin? Offenbar fand sich in Russland niemand sonst, der mit Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hätte verhandeln können. Deshalb bot sich Lukaschenko an. Er kennt Prigoschin nach Angaben des Kremls bereits seit 20 Jahren persönlich.

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Prigoschin hatte am Samstagabend den Rückzug seiner Söldner verkündet und betont, es sei „nicht ein Tropfen Blut unserer Kämpfer“ vergossen worden. „Jetzt ist der Moment gekommen, wo Blut vergossen werden könnte.“ Deshalb sei es and der Zeit, die Kolonnen umdrehen zu lassen.

Belarus: Lukaschenko klammert sich an die Macht

Der belarussische Präsident, der sich an seine Macht klammert, ist in vollständiger Abhängigkeit von Russland. Wirtschaftlich, politisch und auch militärisch. Jüngst erst hatte Putin seinen belarussischen Amtskollegen ins sommerliche Sotschi am Schwarzen Meer zitiert. Der reich gedeckte Tisch, der freundliche Umgang sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, wer das Sagen hat: Putin.

Dieses von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichte Foto zeigt Wladimir Putin (r), Präsident von Russland, und Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus, während ihres Treffens am 9. Juni in Sotschi.
Dieses von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichte Foto zeigt Wladimir Putin (r), Präsident von Russland, und Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus, während ihres Treffens am 9. Juni in Sotschi. © dpa | Gavriil Grigorov

Jetzt konnte Lukaschenko auch etwas für ihn tun. Der belarussische Machthaber war Agrarwissenschaftler, bevor er in die Politik ging. Sein Aufstieg begann als Politoffizier einer Panzerkompanie, dann Sekretär der KPdSU und Direktor einer Sowchose. Lukaschenko verkörpert das verkrustete politische System der Sowjetunion wie kaum ein anderer.

1991 unterstützte Lukaschenko den Augustputsch gegen Michail Gorbatschow in Moskau. Er, der später selbst tief in Korruption verstrickt war, führte er ab 1993 den parlamentarischen Anti-Korruptionsausschuss in Belarus und erhob Vorwürfe gegen Regierungsmitglieder. Schließlich verlor die damalige Regierung eine Vertrauensabstimmung im Parlament und musste zurücktreten. 1994 wurde Lukaschenko erstmals zum Präsidenten gewählt. Seitdem hält er sich an der Macht, wenn es sein muss auch mit Wahlfälschungen.

Lukaschenko empfahl Wodka gegen das Coronavirus

Berühmt wurde er mit seinen Äußerungen zur Corona-Pandemie. Am Rande eines Eishockeyspiels machte er sich gegenüber einer Fernsehreporterin lustig. „Es gibt hier keinen Virus. Oder sehen sie ihn hier irgendwo herumfliegen?“ Wodka würde gegen die Infektion helfen, Saunagänge oder auch Traktorfahren an der frischen Luft. Als die Kämpfe in der Ukraine begannen, hatte Lukaschenko durchaus eine abwartende Haltung, kommentierte sogar manchmal kritisch.

Jewgeni Prigoschin (r) verlässt am Samstagabend Rostow am Don - offenbar bei guter Laune.
Jewgeni Prigoschin (r) verlässt am Samstagabend Rostow am Don - offenbar bei guter Laune. © dpa | -

Viele Menschen in Belarus sind und waren mit Russlands „Spezialoperation“ im Nachbarland nicht einverstanden. Oppositionelle legten russische Militärzüge lahm, sie nannten sich „Schienenpartisanen“, in Anlehnung an die Partisanen im Zweiten Weltkrieg, die gegen die Nazis kämpften. Doch im Sommer 2020 half Russland Lukaschenko die Proteste Hunderttausender Demonstranten zu zerschlagen. Der Preis dafür ist nun seine vollkommene Abhängigkeit von Kremlchef Putin.

Russische Atomraketen in Belarus stationiert

Belarus ist Aufmarsch- und Nachschubgebiet für die russischen Truppen. Nun stationiert Russland sogar Atomwaffen im Land, am 7. Juli wird es losgehen. Belarus erhält nach der freiwilligen Abgabe seiner Atomwaffen infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion erstmals seit den 1990er Jahren wieder nukleare Waffen. Stationiert werden Iskander-Raketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können. Auch mehrere belarussische Kampfflugzeuge wurden auf die neuen Waffen umgerüstet.

Nun also ist Belarus die neue Heimat von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin. Doch mancher geht davon aus, dass er dort nicht lange bleiben wird. Vielleicht greifen seine Söldner bald wieder in die Kämpfe in der Ukraine ein. Von Belarus aus. Zunächst aber schweigt der Exilant, sein Telegram-Kanal ist still.