Ankara/Berlin. Präsident Erdogan hat die Stichwahl in der Türkei gewonnen und wird das Land weiter regieren. In Istanbul dankte er seinen Anhängern.

Es steht fest: Recep Tayyip Erdogan ist der neue alte Präsident der Türkei. Wie der Chef der Wahlbehörde am späten Sonntagabend bekanntgab, hat der 69-Jährige die Wahl gewonnen. Erdogan selbst hatte sich bereits rund zwei Stunden zuvor zum Sieger erklärt. Er danke allen, die es ihm ermöglicht hätten, die nächsten fünf Jahre zu regieren, sagte er vor jubelnden Anhängern in Istanbul.

Bereits bei Bekanntgabe der ersten Zwischenergebnisse lag Erdogan vorn. Am Ende holte er mit rund 52 Prozent der Stimmen den Sieg. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu sah den Präsidenten zunächst mit deutlicherem Vorsprung vor Herausforderer Kilicdaroglu. Nachdem oppositionsnahe Medien zunächst von einer Führung Kilicdaroglus ausgegangen waren, glichen sich die Ergebnisse im Laufe des Abends an und stimmten schließlich überein.

Türkei-Wahl: Das vorläufige Endergebnis

 ErdoganKilicdaroglu
Anteil der Stimmen52,1 Prozent47,9 Prozent

Kilicdaroglu wandte sich am Abend ebenfalls in einer Rede an seine Anhänger. Dabei bezeichnete er den Urnengang als "die ungerechteste Wahl, die jemals in der Türkei stattgefunden hat". Auf die Türkei würden jetzt noch viel größere Krisen warten. Trotz der Wahlniederlage ist Kilicdaroglu der erste Oppositionelle, dem es gelang, in eine Stichwahl gegen Präsident Erdogan einzuziehen – zumindest ein kleiner Erfolg für die Gegner des Präsidenten.

Erdogan-Anhänger feiern mutmaßlichen Wahlsieg ihres Präsidenten

Die Anhänger des Präsidenten feierten dessen mutmaßlichen Sieg unteredessen ausgelassen: Laut dem staatlichen türkischen Nachrichtensender TRT 1 hatten sich am frühen Abend Hunderte Menschen vor Erdogans Haus in Istanbul versammelt. Vor der AKP-Parteizentrale wurde Erdogan ebenfalls gefeiert – mit Feuerwerk und lauten "Allahu Akbar"-Rufen. Autokorsos fahren hupend durch die Bosporusmetropole, die Insassen schwenken türkische Nationalflaggen und Fahnen mit dem Emblem der Regierungspartei AKP. Auch in deutschen Städten gab es zum Teil Autokorsos.

Erdogan-Anhänger feiern den mutmaßlichen Sieg des Präsidenten bei der Stichwahl in der Türkei.
Erdogan-Anhänger feiern den mutmaßlichen Sieg des Präsidenten bei der Stichwahl in der Türkei. © Adem ALTAN / AFP

Die Stichwahl wurde nötig, nachdem im ersten Durchgang vor zwei Wochen kein Kandidat die erforderliche absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreichte. Erdogan ging als Favorit in die Abstimmung. Beim ersten Urnengang hatte er mit 49,5 Prozent der Stimmen die erforderliche absolute Mehrheit nur knapp verfehlt. Kilicdaroglu kam in der ersten Runde auf 44,9 Prozent, Erdogans Vorsprung betrug 2,5 Millionen Stimmen – genau wie bei der Stichwahl.

Wahl in der Türkei: Wahlkampf mit zunehmender Schärfe

In der Endphase wurde der Wahlkampf von beiden Kandidaten mit zunehmender Schärfe geführt. Kilicdaroglu wirkte zum Teil verzweifelt. Er verbündete sich mit der ausländerfeindlichen Sieges-Partei des Ultra-Nationalisten Ümit Özdag und kündigte an, er werde sofort nach seiner Wahl zum Präsidenten alle Flüchtlinge „nach Hause schicken“. Erste Analysen des Wahlabends deuten darauf hin, dass dieses Verhalten dem Oppositionellen Stimmen gekostet haben könnte.

Erdogan warf seinem Gegner derweil „Hassreden“ vor und behauptete, wenn Kilicdaroglu gewinne, sei das „ein Sieg für die Terroristen“. Gemeint haben dürfte er damit die Anhänger der pro-kurdischen Partei HDP, die zur Stimmabgabe für Kilicdaroglu aufgerufen hatte, um Erdogans „Ein-Mann-Regime“ zu beenden. Am Sonntag rief Kilicdaroglu bei der Stimmabgabe in der Hauptstadt Ankara alle Bürger auf, zu den Wahlurnen zu gehen, „um die Unterdrückung und die autoritäre Führung zu beenden und dem Land echte Freiheit und Demokratie zu bringen“.

In Istanbul hat der türkische Präsident Erdogan den Wahlsieg für sich reklamiert.
In Istanbul hat der türkische Präsident Erdogan den Wahlsieg für sich reklamiert. © Jeff J Mitchell/Getty Images

Wahl in der Türkei trotz Unregelmäßigkeiten "frei", aber nicht fair

Internationale Beobachter bewerten die Wahl in der Türkei als grundsätzlich frei. Aus verschiedenen Wahlbezirken wurden am Sonntag zwar Unregelmäßigkeiten, Zwischenfälle und Übergriffe gegen Wahlbeobachter gemeldet. Es scheint aber, so die ersten Berichte, keine großangelegten Wahlfälschungen gegeben zu haben.

Von einem fairen Wahlkampf kann jedoch keine Rede sein. Erdogan setzte alle Hebel seines Machtapparats in Bewegung. In den meisten Medien fand die Opposition kaum Gehör. Erdogan-nahe Unternehmer kontrollieren 90 Prozent der Zeitungen und elektronischen Medien in der Türkei. Besonders extrem war die Benachteiligung der Opposition beim Staatsfernsehen TRT: Es widmete Erdogan in den sechs Wochen vor der Wahl rund 80mal mehr Sendezeit als seinem Herausforderer Kilicdaroglu.

Kilicdaroglu überzeugt bei Türkei-Wahl in den großen Städten

Kilicdaroglu bekam die meisten Stimmen in den Großstädten Istanbul, Ankara, Izmir, Antalya und Adana sowie in den Provinzen an der Ägäis- und der türkischen Südküste. Auch in den Südostprovinzen schnitt der Oppositionskandidat gut ab, dank vieler Stimmen aus der kurdischen Minderheit. Erdogans Hochburgen liegen dagegen in den eher bildungsfernen, konservativen Bevölkerungsschichten im anatolischen Herzland und an der Schwarzmeerküste.

Die Wahl fand vor dem Hintergrund einer schweren Finanzkrise statt. Die Inflation in der Türkei erreicht im vergangenen Herbst 85 Prozent. Aktuell liegt sie offiziell bei 44 Prozent, doch unabhängige Ökonomen beziffern die tatsächliche Teuerung auf 105 Prozent. Trotzdem ist offenbar eine Mehrheit der Ansicht, dass Erdogan die Wirtschaftsprobleme am ehesten lösen kann.

Auch die Erdbebenkatastrophe, die Anfang Februar in Südostanatolien 300.000 Gebäude zerstörte und über 50 000 Todesopfer forderte, hat Erdogan nicht nachhaltig geschadet. In der besonders stark von der Katastrophe betroffenen Stadt Kahramanmaras bekam der amtierende Präsident im ersten Durchgang fast 72 Prozent der Stimmen. Offenbar trauen ihm die meisten Menschen einen schnellen Wiederaufbau zu.

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Erdogan-Bündnis verteidigt Mehrheit im Parlament

Eine Rolle dürfte auch gespielt haben, dass die von Erdogan geführte Volks-Allianz aus islamistischen und rechtsextremen Parteien bei der Parlamentswahl vor zwei Wochen ihre absolute Mehrheit im Parlament verteidigen konnte. Im Fall eines Wahlsiegs von Kilicdaroglu hätte dies dazu führen können, dass sich Regierung Parlament gegenseitig blockieren. Die Aussicht auf ein solches politisches Patt könnte manche Wähler bewogen haben, in der Stichwahl für Erdogan zu stimmen.

Kemal Kilicdaroglu bei der Stimmabgabe in der ersten Runde der Wahl vor zwei Wochen.
Kemal Kilicdaroglu bei der Stimmabgabe in der ersten Runde der Wahl vor zwei Wochen.

Kilicdaroglu hatte vor der Wahl eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie versprochen. Er wollte die demokratischen Institution und die Gewaltenteilung stärken und die Unabhängigkeit der Justiz wiederherstellen. Das von Erdogan 2017 etablierte Präsidialsystem, das fast die gesamte Macht in den Händen des Staatschefs konzentriert, wollte die Opposition wieder abschaffen. Die dafür erforderliche parlamentarische Mehrheit hatten die Oppositionsparteien bereits vor zwei Wochen verfehlt.

Wie geht es in der Türkei nach der Wahl weiter?

Viele Beobachter erwarten, dass Erdogan seine Macht jetzt weiter zementieren wird. Damit zerschlägt sich auch die Hoffnung auf eine Freilassung zehntausender politischer Gefangener wie des Bürgerrechtlers Osman Kavala und des Kurdenpolitikers Selahattin Demirtas. Beide werden, entgegen Urteilen des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in Haft gehalten.

Stärkeren Druck müssen auch Frauenrechtlerinnen und die LGBTQ+-Community erwarten. Erdogans islamistische Koalitionspartner, auf die er im Parlament angewiesen ist, wollen ein Gesetz zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt abschaffen. Erdogan selbst hatte im Wahlkampf immer wieder gegen Schwule, Lesben und Transgender-Menschen gehetzt. Er bezeichnete sie als „Perverse“ und kündigte an, man werden ihnen nach der Wahl „eine Lektion erteilen“.

Auch die Beziehungen der Türkei zum Westen dürften schwierig bleiben. In der Nato gilt Erdogan wegen seiner großen Nähe zu Kremlchef Wladimir Putin als problematischer Partner. Die EU-Beitrittsverhandlungen liegen wegen der Demokratie-Defizite und der rigiden Anti-Terror-Gesetze in der Türkei seit Jahren auf Eis.