Brüssel. Ein Untersuchungsbericht des EU-Parlaments deckt auf, wie Russland und China bei uns Einfluss nehmen – und nennt konkrete Gefahren.

Der Flughafen im französischen Straßburg ist bei europäischen Politikern ein beliebtes Ziel: Das EU-Parlament hat in Straßburg seinen Hauptsitz, deshalb reisen über den Airport der Elsass-Metropole viele Abgeordnete, Regierungsmitglieder, Beamte und andere Geheimnisträger aus der gesamten Europäischen Union ein und aus. Womit sie kaum rechnen: Ausgerechnet bei Sicherheitskontrollen am Flughafen droht die „Gefahr der Spionage“, warnt jetzt ein brisanter Untersuchungsbericht des EU-Parlaments.

Der Hintergrund: In Straßburg würden ebenso wie an weiteren französischen Flughäfen wie Bordeaux, Brest, Quimper und Toulouse für die Gepäckkontrollen Geräte des chinesischen Herstellers Nuctech eingesetzt. Dieses Unternehmen aber sei mit dem chinesischen Regime und seinem militärisch-industriellen Komplex verbunden und deshalb bereits aus Sicherheitsgründen in den USA, Kanada und Litauen von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen, so der Bericht, der unserer Redaktion vorliegt.

Wenn Nuctech, das jahrelang vom Sohn des Ex-Präsidenten Hu Jintao geleitet wurde, nun dennoch Aufträge für die kritische europäische Infrastruktur erhalte, sei dies ein „Sicherheitsrisiko“. Das Unternehmen, das Röntgengeräte, Scanner und Sprengstoffdetektionssysteme weltweit vertreibt, bestreitet die Vorwürfe, verweist auf eine langjährige problemlose Geschäftstätigkeit in Europa.

Untersuchungsbericht: Russland und China verstärken ihre Spionage

Doch EU-Abgeordnete sind ernsthaft besorgt, fürchten Cyberattacken und den Zugriff chinesischer Behörden auf Scanner-Aufnahmen, Passagier- und Geschäftsinformationen: „Der chinesische Staat verfügt über ein offensives Programm zum Diebstahl geistigen Eigentums und offensiver Spionage, das sich gegen den Westen richtet“, sagt der niederländische Cyberexperte und Abgeordnete Bart Groothuis. Im Untersuchungsbericht ist der Fall ein neues Beispiel für den dringenden Handlungsbedarf beim Umgang mit Staaten wie China und Russland, den die Autoren anmahnen.

Bei der Kontrolle an europäischen Flughäfen kommt zum Teil auch chinesische Technik zum Einsatz. (Symbolbild)
Bei der Kontrolle an europäischen Flughäfen kommt zum Teil auch chinesische Technik zum Einsatz. (Symbolbild) © simonkr/iStock

Zweieinhalb Jahre hatte ein Sonderausschuss die ausländische Einflussnahme auf demokratische Prozesse in Europa untersucht, das Resumee ist beunruhigend. So spricht der Report über wachsende Aktivitäten von Geheimdiensten autoritärer Staaten, die ihren Einfluss in Europa ausweiten wollten. Brüssel als EU-Hauptstadt und als Sitz des Nato-Hauptquartiers gilt als ein globaler Hotspot der Spionage, Schätzungen gehen von mindestens 250 chinesischen und 200 russischen Agenten aus, die hier im Einsatz sind.

Der Bericht nennt keine Zahlen, doch fordert er mehr Kapazitäten für die Spionageabwehr durch das EU-Geheimdienst- und Lagezentrum (Intcen). Mitarbeiter von staatlichen Unternehmen wie der russischen Nachrichtenagentur Tass oder dem chinesischen Schifffahrts- und Hafenunternehmen Cosco müssten von den Behörden der EU-Staaten intensiver überprüft werden, wenn sie Arbeitsvisa beantragten; das Reisen ausländischer Geheimdienstmitarbeiter mit falschen Identitäten müsse erschwert werden.

China setzt auf Medienbeteiligungen im Ausland

Die Bedrohung geht aber weit über Spionage und Datenklau hinaus, wie der Sonderausschuss in seiner Bilanz deutlich macht: Feindliche Einflussnahmen aus dem Ausland, Desinformation, hybride Bedrohungen, Cyberangriffe nehmen demnach weiter zu. Schon in den vergangenen Jahren seien mehr Fälle verdeckter Einmischungen in das demokratische Umfeld beobachtet worden, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe die Risiken noch verschärft.

Die große Sorge: Die Entwicklung wird sich bis zur Europawahl Anfang Juni 2024 noch verstärken. Die christdemokratische EU-Abgeordnete Sabine Verheyen, die dem Sonderausschuss angehört, sagt: „Immer wieder sehen sich zivile und öffentliche Einrichtungen in der EU ausländischen Cyberattacken ausgesetzt. Die hybride Bedrohung wird noch verstärkt durch ständige und destruktive Versuche von Einflussnahme aus dem Ausland, um unsere demokratischen Prozesse und Institutionen zu untergraben.“

Tiktok sei ein potenzielles Risiko und auch eine Quelle möglicher Desinformation, heißt es in dem Bericht.
Tiktok sei ein potenzielles Risiko und auch eine Quelle möglicher Desinformation, heißt es in dem Bericht. © AFP | PATRICK T. FALLON

Russland gilt als Hauptakteur von Desinformationskampagnen, angetrieben zuletzt durch den Ukraine-Krieg. Zu Moskaus Zielen gehöre es inzwischen auch, die Unterstützung der europäischen Gesellschaft für ukrainische Flüchtlinge zu untergraben. China geht dem Bericht zufolge subtiler vor: So versuche das Land mit vielen Maßnahmen die eigene Propaganda zu verbreiten, nicht nur über die staatlichen Konfuzius-Institute im Ausland, sondern zunehmend auch über Medienbeteiligungen im Ausland.

Die Volksrepublik habe in den letzten zehn Jahren fast drei Milliarden Euro in europäische Medienunternehmen investiert – ohne dass die EU angemessen darauf reagiert hätten. Kritisch blickt der Bericht auf Partnerschaften zwischen Universitäten in Europa und chinesischen Einrichtungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem riesigen Militärkomplex der Volksrepublik.

Untersuchungsbericht warnt explizit vor Tiktok

Eine beträchtliche Anzahl europäischer Forscher, die sich mit künstlicher Intelligenz, Quantentechnologien, Weltraumforschung, Neurowissenschaften und Biotechnologie befassten, werde direkt von China finanziert; diese Partnerschaften müssten auf mögliche Spionage oder Einmischung überprüft werden. Als Konsequenz aus den Untersuchungen sollen die EU-Kommission und der Rat der Mitgliedstaaten die Verwendung von Geräten und Software von chinesischen und russischen Herstellern wie TikTok, ByteDance Huawei, ZTE, Kaspersky, NtechLab oder eben Nuctech, ausschließen, so wird es das Parlament am Donnerstag absegnen.

Die TikTok-App verstoße ohnehin gegen die europäischen Datenschutzregeln, sei damit ein potenzielles Risiko und auch eine Quelle möglicher Desinformation, warnt der Bericht. Tiktok solle daher in allen EU-Institutionen und den nationalen Regierungen verboten werden. Der Chef des Sonderausschusses, der französische Sozialdemokrat Raphaël Glucksmann, sagt: „Hybride Kriegsführung und ausländische Einflussnahme sind keine Fragen der Außenpolitik – sie bedrohen das Fundament unserer Demokratien.“

Der Sonderausschuss habe die Schwachstellen aufgedeckt und Wege zu ihrer Überwindung aufgezeigt. „Für die Kommission und den Rat ist es nun höchste Zeit zu handeln“, mahnt Glucksmann. Von größter Wichtigkeit sei jenes Paket, das die EU-Kommission in zehn Tagen mit ihrer Initiative „Verteidigung der Demokratie“ vorlegen will. Unter anderem will die Kommission Nichtregierungsorganisationen und andere Einrichtungen in der EU verpflichten, Geldzuflüsse aus Nicht-EU-Staaten offenzulegen.