Berlin. Jeder vierte Bewohner des Landes hat eine Einwanderungsgeschichte. Die Ampel-Koalition will das Recht der Realität anpassen. Gut so!

Wer sich mit dem Staatsangehörigkeitsrecht befasst, der kommt an Roland Koch nicht vorbei. Der Name steht für einen Tiefpunkt der demokratischen Kultur hierzulande. 1998/99 war das: Die damalige rot-grüne Bundesregierung schickte sich an, das Recht der Realität im Land anzupassen. Deutschland war längst ein Einwanderungsland, nur wollten weite Teile der Politik und der Bevölkerung das nicht wahrhaben. Die Union erkannte das Mobilisierungspotenzial des Themas und startete kurz vor der hessischen Landtagswahl eine unappetitliche Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. „Wo kann man denn hier gegen Ausländer unterschreiben“, fragten die Leute an den Ständen. CDU-Mann Koch gewann die Wahl und wurde Ministerpräsident.

Ein Vierteljahrhundert ist seitdem vergangen. Niemand, der klar sehen kann und will, wird heute noch bestreiten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Es sind ja nicht nur Millionen von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine oder Syrien, die hier Schutz suchen. Es kommen auch etliche Menschen aus europäischen und nichteuropäischen Ländern, um hier zu arbeiten, zu lernen, zu leben und zu lieben. Laut Statistischem Bundesamt hat jeder vierte Mensch in diesem Land eine Einwanderungsgeschichte. Jeder Vierte! Zuletzt lebten fast elf Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland, mehr als die Hälfte davon bereits seit zehn Jahren oder länger.

Thorsten Knuf , Politik-Korrespondent Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services
Thorsten Knuf , Politik-Korrespondent Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services

Staatsangehörigkeit: Von „Verramschen“ kann keine Rede sein

Das ist die Lage. Und deshalb hat die amtierende Ampel-Regierung in Berlin allen Grund, das Staatsangehörigkeitsrecht abermals einem Update zu unterziehen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) haben dazu einen ersten Gesetzentwurf erarbeitet.

Was sie vorhaben, klingt sehr vernünftig: Der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft soll nicht unbedingt erleichtert, aber doch beschleunigt werden. Statt nach acht Jahren Wartezeit sollen Ausländer künftig schon nach fünf einen Antrag stellen können, bei besonderen Integrationsleistungen sogar nach drei Jahren. Neu ist auch, dass die Mehrstaatigkeit generell zugelassen werden soll. Wer sich einbürgern lässt, kann also künftig ohne Einschränkung seine alte Staatsbürgerschaft behalten.

In der Union protestieren sie wieder laut. Vom „Verramschen“ der Staatsbürgerschaft ist die Rede. Das hätte Roland Koch vermutlich ähnlich formuliert. Dabei ist die die geplante Reform weder besonders kühn noch besonders ausgefallen, sondern einfach nur zeitgemäß: Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass die Bundesrepublik des Jahres 2023 nicht mehr die des Jahres 1950 ist.

Einbürgerung: Fünf Jahre Wartezeit sind internationaler Standard

Die Reform vollzieht auch nach, was in anderen westlichen Staaten längst Standard ist. Auch anderswo muss man in der Regel fünf Jahre warten und seine Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt nachweisen, um einen Anspruch auf Einbürgerung zu erwerben. Wenn Deutschland künftig verstärkt ausländische Fachkräfte ins Land holen will, um Lücken zu füllen, muss es Interessenten eine ähnliche Perspektive bieten.

Und was die Hinnahme der Mehrstaatigkeit betrifft, so folgt auch hier endlich das Recht der Realität: Rund 2,6 Millionen Deutsche haben längst einen weiteren Pass. In der Praxis bleibt längst bei der Mehrzahl der Einbürgerungen die bisherige Staatsbürgerschaft bestehen. Es ist nicht einzusehen, warum jemand, der zugleich US-Amerikaner, Israeli oder Inder ist, nicht auch ein guter Deutscher sein kann. Dem Land wäre sehr geholfen, wenn ihm jetzt schmutzige Grabenkämpfe wie vor 25 Jahren erspart blieben.