Berlin. Anna Lührmann, Staatsministerin im Außenamt, hat lange im Sudan gelebt. Sie fürchtet um ihre Freunde – und übt Kritik am Währungsfonds.

Wenn Anna Lührmann heute an den Sudan denkt, denkt sie auch in ihre Freundin Arwa. Die Staatsministerin für Europa im Auswärtigen Amt kennt das nordostafrikanische Land nicht nur aus Videokonferenzen oder Dienstreisen für ihre Chefin, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Lührmann studierte von 2009 bis 2011 in Omdurman, das gegenüber der Hauptstadt Khartum auf der anderen Seite des Nils liegt. Es ist die Gegend, in der seit Tagen heftig geschossen wird. Mit Arwa hat die heute 39-Jährige seit der gemeinsamen Universitätszeit Kontakt.

"Ich habe große Angst um meine Freunde und Bekannten – dass sie in den Kugelhagel zwischen die Fronten geraten", sagt Lührmann unserer Redaktion. Sie sitzt an einem ovalen Tisch im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin, knapp 4500 Kilometer Luftlinie von der sudanesischen Hauptstadt entfernt. "In Khartum tobt ein erbitterter Machtkampf um die strategisch wichtigen Punkte. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff ist katastrophal."

Sudan: "Das ist sehr emotional und löst bei mir Trauer aus"

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete, die einen dunkelblauen Rock und ein schwarzes T-Shirt mit Jäckchen trägt, spricht schnell. Mal überlegt sie ein paar Sekunden, bevor sie antwortet. Mal malt sie mit ihren Händen Kurven in die Luft. "Das ist sehr emotional und löst bei mir Trauer aus", betont sie.

Im April 2011 hat Anna Lührmann ihren Master in “Gender Studies” an der Ahfad-Frauen-Universität in Khartum abgeschlossen. Hier bekommt sie die Urkunde von dem Präsidenten der Universität, Gazim Badri (r.), überreicht.
Im April 2011 hat Anna Lührmann ihren Master in “Gender Studies” an der Ahfad-Frauen-Universität in Khartum abgeschlossen. Hier bekommt sie die Urkunde von dem Präsidenten der Universität, Gazim Badri (r.), überreicht. © Privat | Privat

Ihre ehemalige Uni-Professorin konnte in den letzten Tagen nach Ägypten flüchten, so Lührmann. Einige ihrer Freunde hätten das Land bereits nach dem letzten Militärputsch 2021 verlassen – "weil sich die Lebensbedingungen verschlechtert hatten".

Vor rund zwei Wochen ist die Lage im Sudan eskaliert. De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burkan, der auch Oberbefehlshaber der Armee ist, kämpft mit dem Militär gegen seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo, den Anführer der mächtigen paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF).

"Mir ging immer wieder durch den Kopf, dass ich das hätte sein können"

Die Evakuierungsaktion der Bundeswehr, die mit ihren Maschinen in den letzten Tagen rund 780 Menschen aus dem Sudan geflogen hat, habe sie "mit großer Anspannung" verfolgt, unterstreicht Lührmann. "Einige Deutsche saßen mit kleinen Kindern nahe der Gefechte in ihren Wohnungen fest. Mir ging immer wieder durch den Kopf, dass ich das hätte sein können. Ich war auch mit meiner damals zweijährigen Tochter in Khartum", fügt sie hinzu. "Die beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus dem Auswärtigen Amt und von der Bundeswehr haben große persönliche Risiken auf sich genommen."

Lührmann wurde 2002 für die Grünen in den Bundestag gewählt. 19 Jahre war sie damals, die jüngste Abgeordnet aller Zeiten. Parallel zum Parlamentsmandat studierte sie an der Fernuniversität Hagen und erwarb einen Bachelor in "Politik und Organisation". 2015 promovierte sie in Berlin mit einer Arbeit zur Wahlförderung der Vereinten Nationen.

Die mächtige paramilitärische Gruppe Rapid Support Forces (RSF) kämpfen in Sudans Hauptstadt Khartum.
Die mächtige paramilitärische Gruppe Rapid Support Forces (RSF) kämpfen in Sudans Hauptstadt Khartum. © AFP | -

Vor der Reise hatte sie Arabischkurse belegt und viel über den Sudan gelesen

Wichtige Erkenntnisse für das Thema gewann sie im Sudan. Ihr Mann war dort deutscher Botschafter, 2009 folgte sie ihm mit der kleinen Tochter nach. An der Ahfad-Universität für Frauen in Omdurman studierte sie "Gender and Peace Studies", Geschlechter- und Friedensforschung. 2011 schloss sie mit einem Master-Diplom ab. Danach reiste sie durch das ganze Land und organisierte für die UN Trainings für Abgeordnete der Länderparlamente. Vor der Reise hatte sie Arabischkurse belegt und viel über den Sudan gelesen.

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Am meisten beeindruckt hat Lührmann die "Wärme und Herzlichkeit der Menschen". Besondere Erinnerungen hat sie an das islamische Moulid-Fest, zu dem sie ihre Mit-Studentin Arwa begleitet hat. Bei den Feierlichkeiten zu Ehren des Propheten Mohammed seien Tänze zu rhythmischer Musik aufgeführt worden. "Man sitzt die ganze Nacht zusammen, lacht, redet und isst Süßigkeiten", schwärmt Lührmann.

Als die Regierung sparen musste, gab es Unruhen im Land

Wann sind die Dinge im Sudan aus dem Ruder gelaufen? Lührmann holt tief Luft, bevor sie redet. "Nach dem Abtritt des Langzeit-Autokraten Omar al-Baschir im Jahr 2019 gab es ein Zeitfenster der Hoffnung, dass sich die Dinge im Sudan zum Besseren wenden", erinnert sich die Diplomatin. Eine ihrer ehemaligen Kolleginnen bei den UN, die Sudanesin Dalia el Roubi, habe sie bei ihrem letzten Besuch in Khartum im Februar 2020 getroffen. "Sie arbeitete für den zivilen Übergangs-Premier Abdalla Hamdok als Pressesprecherin. Damals lag ein tolles Gefühl von Aufbruch in der Luft", so Lührmann.

Anna Lührmann, seit 2021 Staatsministerin für Europa und Klima.
Anna Lührmann, seit 2021 Staatsministerin für Europa und Klima. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Doch dann habe der Internationale Währungsfonds (IWF) Druck auf die Politik ausgeübt und ein schmerzhaftes Strukturprogramm gefordert: "Die Regierung sollte sparen und die Subventionen für Nahrungsmittel drastisch kürzen. Es gab Unruhen im Land", kritisiert Lührmann. Ihre Lektion aus der damaligen Zeit: "Die Gesamtheit der internationalen Gemeinschaft hätte den Sudan unmittelbar nach den Umbrüchen so unterstützen müssen, dass sich die Lebensbedingungen spürbar verbessern."

Als Nächstes wird sei ihre Freundin Arwa per Whatsapp kontaktieren

Dabei habe es kürzlich noch Hoffnung gegeben, so Lührmann. "Vor ein paar Wochen war man auf einem guten Weg, zwischen Militär und zivilen Gruppen ein Abkommen hin zu demokratischen Wahlen und einer zivilen Regierung auszuhandeln." Der UN-Sondergesandte für den Sudan, der Deutsche Volker Perthes, sei "sehr optimistisch" gewesen. "Das Abkommen in dieser Form ist nun Makulatur."

Mitten im sudanesischen Chaos wirbt die Staatsministerin nicht nur für die Schaffung einer "politischen Lösung". Sie denkt an Arwa. "Meine Freundin, die mich vor 13 Jahren zum Moulid-Fest mitgenommen hatte, kontaktiere ich per Whatsapp, wenn das wieder geht."