Peking. Peking baut mit simulierten Präzisionsschlägen und Kampfjets eine Drohkulisse gegenüber Taiwan auf. Kommt es bald zum offenen Konflikt?

Nur wenige Stunden, nachdem Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen im Flieger zurück nach Europa saßen, kündigte Chinas Staatsführung ihre verspätete Vergeltungsaktion gegen Taiwan an: Am Samstag startete die Volksbefreiungsarme dreitägige Militärübungen rund um die Insel. Zu Dutzenden überquerten bis Montag chinesische Kampfflugzeuge die Mittellinie der Taiwan-Straße, auch ein Flugzeugträger kam gefährlich nahe. Gleichzeitig simulierte die chinesische Armee auch „Präzisionsschläge“ gegen den demokratisch regierten Staat.

Aus dem bisherigen Säbelrasseln könnte sehr schnell blutiger Ernst werden. Chinas Machtdemonstration erfolgt auf eine USA-Reise von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen, die am Mittwoch den Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, getroffen hat. Der Konflikt könnte außer Kontrolle geraten – sei es auch nur durch ein Missverständnis oder eine Kurzschlusshandlung.

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Möglichkeiten bieten sich zuhauf: Am Montag drang der US-Zerstörer „USS Milius“ laut Angaben Pekings ohne Genehmigung der chinesischen Regierung in die Gewässer nahe der Spratly-Inselgruppe nördlich Taiwans ein. Als Antwort schickte die chinesische Volksbefreiungsarmee sowohl Marine- als auch Luftstreitkräfte, um das amerikanische Kriegsschiff zu verfolgen.

Xi bekräftigt seinen Machtanspruch: Keine Unabhängigkeit für Taiwan

Die Bewohner Taiwans selbst reagieren vor allem mit demonstrativem Schulterzucken. Sie haben sich längst an das regelmäßige Säbelrasseln Chinas gewöhnt. Dabei macht Staatschef Xi Jinping regelmäßig deutlich, dass man sich auch militärische Mittel für eine „Wiedervereinigung“ Taiwans offenhält. Erst am Donnerstag bekräftigte Xi bei einem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Peking seinen Machtanspruch: „Zu erwarten, dass China in der Taiwanfrage kompromissbereit ist, ist nur Wunschdenken. Wer das tut, wird sich nur selbst ins Knie schießen.“

Chinesische Marineschiffe nehmen an einer Militärübung in der Straße von Taiwan teil. Die chinesische Volksbefreiungsarmee hat Präzisionsschläge gegen
Chinesische Marineschiffe nehmen an einer Militärübung in der Straße von Taiwan teil. Die chinesische Volksbefreiungsarmee hat Präzisionsschläge gegen "wichtige Ziele auf der Insel Taiwan und in den umliegenden Seegebieten" simuliert. © dpa | Uncredited

Einige US-Generäle halten bereits eine chinesische Invasion bis zum Jahr 2027 für möglich, da bis zu diesem Zeitpunkt die wichtigsten Modernisierungsprogramme für Pekings Militär abgeschlossen sein werden. Viele europäische Diplomaten in Peking halten einen militärischen Konflikt in den nächsten Jahren weiterhin für unwahrscheinlich, nehmen Chinas Drohungen aber mehr als ernst. Ihre Interpretation: Der 69-Jährige möchte seine historische Vision eines „wiedervereinten“ Chinas noch persönlich erleben. Der Zeithorizont hierfür betrage rund zehn bis maximal 15 Jahre.

Taiwan-Frage: Experten halten Konflikt zwischen China und USA für möglich

Die Position des Westens ist eine Gratwanderung: Man erkennt prinzipiell Peking als alleinige chinesische Regierung an und unterhält auch keine offiziellen Botschaften in Taipeh, lehnt aber gleichzeitig jede erzwungene Veränderung des Status quo ab. Anders ausgedrückt: Die 23 Millionen Inselbewohner sollen selbst um ihre Zukunft bestimmten können. Deren Urteil fällt eindeutig aus: Spätestens seit Chinas repressiver Niederschlagung der Hongkonger Opposition in den letzten Jahren hat sich die Wahrnehmung der Volksrepublik massiv verschlechtert.

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Experten halten Taiwan als wahrscheinlichste Streitfrage, an dem sich ein militärischer Konflikt zwischen Peking und Washington entfachen könnte. Denn der kleine Inselstaat verfügt für beide Weltmächte über eine zentrale Bedeutung: China argumentiert seinen territorialen Machtanspruch historisch, die USA hingegen wollen einen demokratischen Partner unterstützen. Die offiziellen Narrative spielen keine unerhebliche Rolle, doch bilden natürlich nur einen Teil der Wahrheit ab.

Soldaten an Bord eines Marineschiffs während einer Militärübung in der Straße von Taiwan.
Soldaten an Bord eines Marineschiffs während einer Militärübung in der Straße von Taiwan. © dpa | Uncredited

Mindestens ebenso wichtig ist die geografische Position der Taiwan-Straße. Sie bietet nicht nur die Kontrolle über eine der wirtschaftlich wichtigsten Schiffsrouten, sondern würde China im Falle einer Eroberung auch den Zugang zu Tiefwasserhäfen ermöglichen, mit denen Peking seine U-Boote vorbei am US-Überwachungssystem in den Indo-Pazifik entsenden könnte. Damit würde die von Washington seit Ende des Zweiten Weltkriegs aufgebaute Sicherheitsarchitektur, die den Alliierten Südkorea und Japan eine stabile Entwicklung ermöglichte, wie ein Kartenhaus zusammenfallen.

Europa könnte wichtig sein, um China von Invasion abzuhalten

Auch wenn Europa in diesem Konflikt eher Beifahrer ist, kommt dem Kontinent dennoch als Zünglein an der Waage eine wichtige Bedeutung dabei zu, China vor einer Invasion abzuschrecken. Diese Strategie hat nun ausgerechnet der französische Präsident Emmanuel Macron bei seinem jüngsten Staatsbesuch in China unterlaufen.

Als Macron im Flieger von Peking nach Guangzhou saß, sagte er einem Reporter des Magazins „Politico“: „Die Frage, die wir Europäer uns stellen müssen, lautet: Liegt es in unserem Interesse, eine Krise auf Taiwan zu beschleunigen? Nein. Das Schlimmste wäre zu denken, dass wir Europäer bei diesem Thema zu Mitläufern werden und uns von der US-Agenda und einer chinesischen Überreaktion leiten lassen müssen.“

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Seine Aussage ist vor allem deshalb umstritten, weil sie den sich hochschaukelnden Konflikt vor allem als Folge einer „US-Agenda“ darstellt, wo doch die militärischen Drohungen gegen den Inselstaat von der chinesischen Volksbefreiungsarmee ausgehen. „Die Verwechslung von Ursache und Folge ist die übliche Propaganda der Volksrepublik China und Putins“, kommentiert der Historiker François Godement von der französischen Denkfabrik Institut Montaigne. „Dass Macron darauf hereinfällt, zeugt entweder von Unwissenheit oder einem zynischen Nicken gegenüber China.“