Berlin. Zu Ostern enden die letzten Corona-Regeln. Ein Rückblick auf die absurdesten Momente – und was Deutschland von Israel lernen kann.

Bei Historikern gibt es eine beliebte Dehnungsübung fürs Gehirn: Sie dient dazu, den eigenen Blickwinkel zu weiten und keine unfairen Urteile zu fällen. Die Übung geht so: Man stellt sich vor, was die Leute VOR einem Ereignis, zu Beginn einer Krise wussten, glaubten und erwarteten. Lateinisch: ex ante. Dieser Blick unterscheidet sich fundamental vom Blick ex post, vom Rückblick auf ein Ereignis. Man kann es auch einfach sagen: Nachher ist man immer schlauer. Das gilt auch für die Pandemie.

Drei Jahre Corona: Heute sind wir ein Volk von 80 Millionen Virologen

Im Frühjahr 2020, vor genau drei Jahren, wussten wir praktisch nichts über das neuartige Coronavirus - mussten als Land aber handeln. Heute sind wir, salopp gesagt, ein Volk von 80 Millionen Virologen.

Der absurdeste Moment aus heutiger Sicht: Die krasse Fehleinschätzung der anrollenden Gefahr. Anfang 2020 verschickte das Bundesgesundheitsministerium eine bemerkenswerte E-Mail an viele deutsche Redaktionen, die davor warnte, das neue Virus, das sich gerade in China ausbreitete, zu überschätzen. Tenor: Übertreibt mal nicht, Leute. Kein Grund für Alarmstimmung. Ein paar Wochen später erlebte Deutschland seinen ersten, harten Lockdown.

Politik-Korrespondentin Julia Emmrich
Politik-Korrespondentin Julia Emmrich © Anja Bleyl

Absurd klingt heute auch unser kollektiver Waschzwang damals: Am Anfang seiften wir uns ständig die Hände ein, desinfizierten Türklinken und lernten, in die Armbeuge zu husten. Was wir nicht wussten: Dass sich Corona über die Atemluft überträgt. Aerosole? Nie gehört. Millionen Deutsche mussten erstmal googeln, was das ist.

Heute wissen wir, dass man sich auch nach vier Impfungen anstecken und krank werden kann. Wir wissen aber auch: Die Impfung hat Millionen Menschen vor einem schweren Verlauf geschützt. Es gab dramatische Phasen in den Pflegeheimen und Kliniken, viele Kinder und Jugendliche leiden bis heute an den Folgen der harten Schutzmaßnahmen. Aber es gab kein zweites Bergamo.

Deutschland hatte von allem zu wenig: Masken, Intensivbetten, Pflegekräfte

Als ziemlich untauglich zeigte sich auch die Ausstattung des öffentlichen Gesundheitswesens: Zu wenig Schutzkleidung und Masken, zu wenige Intensivbetten und Pflegekräfte, zu wenige Mitarbeiter in den Gesundheitsämtern, zu wenig digitales Tempo bei der Datenübermittlung.

Während Israel mit seinem modernen, digitalen Gesundheitssystem in rasanter Geschwindigkeit die Welt mit wertvollen Studien über den Einsatz und die Wirkung der neuen Impfstoffe versorgte, wusste die deutsche Regierung selbst nach einem halben Jahr Impfkampagne nicht, wie viele Menschen überhaupt schon an die Reihe gekommen waren.

Immerhin: Es war ein Unternehmen aus Deutschland, das den weltweit wichtigsten Impfstoff entwickelt hat. (Dass Biontech jetzt seine Forschung verstärkt ins Ausland verlegt, weil der Datenschutz in Deutschland zu orthodox ist – das ist vor diesem Hintergrund besonders bitter.)

Corona: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie

An diesem Freitag enden jetzt die allerletzten Corona-Regeln. Die Maskenpflicht für Besucher in Arztpraxen und Kliniken fällt. Corona ist nicht vorbei, aber aktuell auch keine kollektive Bedrohung mehr. Die schlechte Nachricht: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Experten gehen davon aus, dass durch Klimawandel und Globalisierung ein Zeitalter gehäufter Pandemien beginnen könnte.

Die gute Nachricht ist: Wir wissen jetzt, wie Pandemie geht und was ein Land braucht, um gut da durch zu kommen. Die Pandemie ist für Deutschland eine Zäsur, eine Zeitenwende. Wie bei der Bundeswehr ist aber noch nicht klar, ob der Kurswechsel am Ende rechtzeitig vor dem nächsten Virus gelingt.