Wirtschaftssanktionen gegen Peking sind kein Automatismus, müssen aber eine Option bleiben.

Es sind beunruhigende Bilder, die uns aus Hongkong erreichen. Die vibrierende Wirtschafts- und Finanzmetropole in Ostasien gleicht in diesen Tagen einer Bürgerkriegslandschaft in einem Science-Fiction-Film. Schwarz vermummte und behelmte Aktivisten werfen vor Wolkenkratzer-Kulisse Molotowcocktails und Pflastersteine auf Sicherheitskräfte. Die Polizei geht mit äußerster Härte vor, setzt Gummiknüppel, Tränengas und Wasserwerfer ein.

Die Ereignisse rund um die seit Monaten andauernden Proteste sind aus dem Ruder gelaufen.Schuld daran tragen beide Seiten. Das Bild von den hehren Demokratie-Kämpfern, die der repressiven und von Peking ferngesteuerten Hongkonger Staatsmacht die Stirn bieten, trifft es nicht. Dieses SchwarzWeiß-Gemälde ist zu simpel.

Natürlich hat die Regierung in Hongkong Fehler gemacht. Das Auslieferungsgesetz, für das sich Gouverneurin Carrie Lam ab April starkgemacht hatte, war politisch höchst ungeschickt. Mit dem Gesetz sollten mutmaßliche Straftäter an Festland-China überstellt werden können. Hunderttausende Demons­tranten gingen auf die Straße. Sie befürchteten, dass sich Peking immer mehr Einfluss in Hongkong verschafft.

Der ehemaligen britischen Kronkolonie war 1997 für 50 Jahre ein Sonderstatus nach dem Motto „Ein Land – zwei Systeme“ garantiert worden. Hongkong sollte in dieser Zeit als Sonderverwaltungszone Chinas Marktwirtschaft, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie die freie Wahl eines Teils der Parlamentsabgeordneten behalten.

Regierungschefin Carrie Lam ist anzukreiden, dass sie die politische Brisanz des Auslieferungsgesetzes nicht erkannt hat. Sie zog die Vorlage erst vor Kurzem – viel zu spät – aus dem Verkehr. Hätte sie das Gesetz erheblich früher gekippt, wären die Unruhen möglicherweise nicht eskaliert.

Stattdessen ließ Carrie Lam ein Massenaufgebot an Polizei aufmarschieren. Damit goss sie Öl ins Feuer. Parallel dazu radikalisierten sich die Aktivisten . Längst geht es nicht mehr nur um das Auslieferungsgesetz. Die Protestler wollen nun den Rücktritt der Regierungschefin, eine Untersuchung der Einsätze der Ordnungshüter und komplett freie Wahlen. Einige fordern sogar die Unabhängigkeit Hongkongs.

Die chinesische Führung hat die Spirale der Gewalt unterschätzt. Sie baute darauf, dass die örtlichen Kräfte die Auseinandersetzungen in den Griff kriegen. Die gezielte Verlegung von chinesischem Militär an die Grenze zu Hongkong sollte die Drohkulisse erhöhen. Eine Fehlkalkulation.

Peking zögerte bislang mit einer Intervention. Die aufstrebende Supermacht steckt in einem Dilemma. Einerseits will sie einen Dauer-Unruheherd in Hongkong nicht dulden. Andererseits fürchtet sie, dass das glitzernde Geschäftszentrum bei einer Militäraktion einen gewaltigen Imageschaden nehmen könnte. Viele internationale Unternehmen und Banken, die von Hongkong aus den chinesischen Markt bearbeiten, könnten abwandern.

Vor diesem Hintergrund heißt es nun: Ruhe bewahren! Wirtschaftssanktionen gegen Peking sind kein Automatismus, müssen aber eine Option bleiben. China sollte sich um Mäßigung bemühen und langfristig über Zugeständnisse nachdenken.

Vielleicht wäre es ja eine Option, den Sonderstatus Hongkongs über das Jahr 2047 hinaus zu verlängern. Die Aktivisten hingegen sollten sich auf realistische Ziele besinnen. Eines ist sicher: Demokratie lässt sich nicht mit Molotowcocktails erzwingen. Friedliche Demons­trationen, Gespräche und Verhandlungen sind der Weg.