„Die Verrohung der Gesellschaft hat einen jahrelangen Vorlauf.“

Wer töten will, ist kaum zu stoppen. Die NSU-Terroristen taten es ohne Drohungen, Ankündigungen, Bekennerschreiben. Die Leute, die seit einem Jahr Hunderte von Morddrohungen verschicken, gieren nach Aufmerksamkeit. Der Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring musste die Morddrohung gegen ihn nicht an die große Glocke hängen. Er tat es mit Bedacht, demonstrativ, unter dem Eindruck des Anschlages von Halle und aus ähnlichen Motiven wie Andreas Hollstein, der Bürgermeister von Altena, Ende 2017: Um darauf aufmerksam zu machen, dass die Zahl der Hassnachrichten an Amtsträger steigt und um eine Solidarisierung mit ihnen zu erreichen.

Das Dilemma ist, dass es nur eine Wahl zwischen schlechten Alternativen gibt. Hasskommentare lassen sich nicht ignorieren, weil sich über das Internet und die sozialen Netzwerke leicht eine Gegenöffentlichkeit aufbauen lässt. Organisiertes Desinteresse ist keine realistische Option. Wer die Öffentlichkeit sucht, muss sich umgekehrt darüber im Klaren sein, dass er sich erwartungsgerecht verhält. Das „Staatsstreichorchester“, das Mohring geschrieben hat, wollte nicht nur ihn bedrohen, sondern zugleich viele andere Personen des öffentlichen Lebens einschüchtern.

Die Verrohung der Gesellschaft hat einen jahrelangen Vorlauf. Es ist offensichtlich, dass es 2015 einen Filmriss gab. „Pegida“ wurde Ende 2014 ins Leben gerufen, aber die Volksverhetzung erreichte erst im Zuge der Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt. Längst haben sich die Zuzugszahlen normalisiert. Nur der Hass hat sich nicht gelegt. Das sollte uns alarmieren, zumal die Mehrheit der Migranten im Land bleiben wird und im Zuge der Syrienkrise noch mehr Leute kommen könnten.

Der Hauptfokus der Sicherheitsbehörden galt jahrelang dem Kampf gegen den Islamismus. Es ist höchste Zeit, die rechte Bedrohung ernster zu nehmen.