Gifhorn. Die Beratungsstelle für mobile Beschäftigte klärt Erntehelfer aus Osteuropa über ihre Rechte auf.

Können wir uns den
„Luxus“ des
Spargelschlemmens dann überhaupt noch leisten?

Das fragt unser Leser Franz Albert aus Wolfenbüttel augenzwinkernd. Er bezieht sich dabei auf den Mindestlohn, der hierzulande natürlich auch Erntehelfern beispielsweise aus Osteuropa gezahlt werden muss.

Die Antwort recherchierte
Hannah Schmitz.

Patrik Wawrzynkiewicz steht in sengender Hitze auf einem Spargelfeld in der Nähe von Meine im Landkreis Gifhorn. Der 24-Jährige arbeitet mit anderen Polen im Akkord. Einige der Männer haben ihre T-Shirts ausgezogen, Schweiß läuft. „Deutsche meiden eher die schwere Arbeit“, sagt er und lacht. Wir sind mit drei Mitarbeitern der Beratungsstelle für mobile Beschäftigte unterwegs, die nach Saisonkräften auf Spargelfeldern in unserer Region Ausschau halten.

Paul Idu, Alicja Bartosik und Mireia Gomez Travesa wollen mit ihnen Kontakt knüpfen und erfahren: Werden sie nach Mindestlohn bezahlt? Sind ihre Unterkünfte in Ordnung? Wie viel müssen sie dafür bezahlen? Haben Sie einen Arbeitsvertrag? Die Berater sprechen polnisch, rumänisch, spanisch, englisch und französisch. Sie können sich mit den Saisonkräften, die meist nur wenig deutsch sprechen, auf deren Muttersprache unterhalten.

Die Beratungsstelle in Braunschweig mit Filialen in Wolfsburg und Salzgitter wurde 2015 gegründet, sie ist eine von vieren in Niedersachsen. Die in Oldenburg und Hannover wurden jeweils 2013 ins Leben gerufen, 2016 erhielt Lüneburg eine Beratungsstelle. Träger ist die Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Niedersachsen, die wiederum unter anderem vom Land Niedersachsen gefördert wird. Die Mitarbeiter beraten neben der Landwirtschaft noch in anderen Branchen, unter anderem in der Fleischindustrie, dem Bauwesen, der Gastronomie und der Gebäudereinigung.

Beratungen – „Es geht meistens ums Geld“

Zwischen 2013 und 2017 haben die Beratungsstellen insgesamt mehr als 5000 Menschen beraten. „Es geht meistens ums Geld“, sagt die Beraterin Bartosik. Die Zahlen geben ihr Recht: In fast einem Viertel der Fälle ging es um die Entlohnung, die zweitstärksten Beratungsthemen drehten sich um Arbeitsverträge und Kündigungen. In Braunschweig gab es 2018 insgesamt 269 Fälle. Am meisten haben laut der Statistik der Beratungsstelle Menschen aus dem Baugewerbe Rat gesucht (49), dann kommt mit 37 Fällen schon die Landwirtschaft. Fast zwei Drittel (173) der Ratsuchenden sind Polen, danach kommen Rumänen (46), dann Spanier (39). Letztere sind laut der Einrichtung vor allem in der Gastronomie beschäftigt.

Die Berater wollen die Erntehelfer auf den Spargelfeldern, die meist aus Polen oder Rumänien kommen, über ihre Rechte als Arbeitnehmer in Deutschland aufklären. Sie verteilen Flyer in polnischer und rumänischer Sprache. Obwohl die Beraterin Bartosik scherzhaft eine Kiste Bier verspricht, ist nur Wawrzynkiewicz bereit, der Reporterin ein paar Fragen zu beantworten. „Meine Landsleute sind nicht so gesprächig“, meint Bartosik. Für sie ist es ein bekanntes Problem: Die Erntehelfer auf den Feldern seien oft skeptisch, wenn das Mobil der Beratungsstelle anrückt. Sie würden es sich mit ihren Arbeitgebern nicht verscherzen wollen und kein schlechtes Wort verlieren. „Viele melden sich erst, wenn sie wieder zuhause sind und dort merken, dass sie ihren Lohn nicht überwiesen bekommen haben“, erklärt sie.

Von der Stecherin zur Personalerin – Karriere auf dem Spargelhof

Patrik Wawrzynkiewicz, 24, hilft zum ersten Mal als Erntehelfer auf einem Spargelfeld aus.
Patrik Wawrzynkiewicz, 24, hilft zum ersten Mal als Erntehelfer auf einem Spargelfeld aus. © Hannah Schmitz

Wawrzynkiewicz arbeitet zum ersten Mal als Erntehelfer in Deutschland. In seiner Heimat Posen, im Westen Polens, hat er eine Ausbildung zum Koch gemacht, zwei Jobs jedoch hingeschmissen. Die Chefs seien nicht gut gewesen, erzählt er. Er hat noch nie Spargel selbst gekocht, in Deutschland aber zum ersten Mal gegessen – er schmeckt ihm nicht besonders. Später arbeitete Wawrzynkiewicz in Polen im Trockenbau. Für die Spargelsaison ist er seiner Freundin nun in den Landkreis Gifhorn gefolgt. Die verkauft den Spargel des Eickenhofer Spargelreichs.

Ihre Tante wiederum arbeitet seit fast acht Jahren für den Hof und hat sich von der Spargelstecherin zu Personalverantwortlichen hochgearbeitet. „Ich habe im ersten Jahr auf dem Feld gearbeitet wie die Männer, ein Jahr später habe ich dann den Spargel sortiert, ein Jahr später geschält, dann verkauft, dann habe ich im Büro gearbeitet und jetzt mache ich das Personal und die Buchhaltung“, erzählt Anna Karczewska.

Bevor sie zum Spargelhof kam, putzte die studierte 39-Jährige in Deutschland. In Polen würde sie heute nicht das gleiche verdienen wie jetzt in Gifhorn, sagt sie. Zurück in ihr Heimatland möchte sie nicht mehr. „Ich habe Glück, dass ich diese Firma getroffen hab. Dadurch hatte ich die Chance auf einen besseren Job und besseres Geld.“ Für den Geschäftsführer des Hofs, Paul Schofer, lohnt es sich auch, in seine Mitarbeiter zu investieren: So spezialisierte Leute gebe es „nicht von der Stange“, wie er sagt.

Das Ziel von Wawrzynkiewicz, dem jungen Spargelstecher, ist es erst einmal, „so viel Geld wie möglich“ zu verdienen. Ein paar tausend Euro. Der 24-Jährige bekommt nach Angaben des Hof-Chefs mindestens Mindestlohn gezahlt, der liegt aktuell bei 9,19 Euro brutto pro Stunde. Je mehr die Erntehelfer stechen, desto mehr Geld bekommen sie aber als Leistungsprämie. „Die besten Leute verdienen 11,50 Euro pro Stunde netto“, sagt Schofer.

Spargel-Chef: Regionales Schlemmen hat seinen Preis

Sie stechen 30 bis 40 Kilo in 60 Minuten. „Unser bester Mann in dieser Saison hat 21,5 Tonnen gestochen“, berichtet der Geschäftsführer. Persönlicher Rekord. Der Erntehelfer sei das dritte Jahr in Folge da, und habe beim Stechen nun den Dreh rausbekommen. Was zählt beim Spargelstechen, ist die Technik. Das wird schnell klar.

Hof-Chef Schofer rechnet vor, was von den 21,5 Tonnen am Ende der Saison als verkaufsfähige Ware überbleiben: „Das sind ungefähr 13 Tonnen.“ Spargelenden würden noch abgeschnitten, schlechte Stangen aussortiert, der Spargel geschält – das alles gehe vom Gewicht ab. Entsprechend würden grob gerechnet von 30 bis 40 Kilogramm Bruttoware gestochenem Spargel in einer Stunde 20 bis 30 Kilo verkaufsfähiger Spargel übrig bleiben.

Laut Schofer stecken in einem Kilogramm Spargel rund 20 Minuten Arbeit – mit Schälen und allem drum und dran. Damit kommt er bei Brutto-Lohnkosten von 12 Euro die Stunde auf einen Lohn von 4 Euro pro einem Kilogramm Spargel. „Regionales Schlemmen hat seinen Preis“, sagt der Jung-Unternehmer in Bezug auf die Frage unseres Lesers. Die Preise seien an regionale und bundespolitische Bedingungen gebunden. „Günstiger ist natürlich Import-Spargel“, sagt Schofer. In Spanien und anderen Ländern seien aber auch das Lohn-Niveau deutlich geringer und die Arbeitsbedingungen deutlich schlechter.

Anna Karczewska, 39, kam vor rund 7 Jahren als Spargelstecherin nach Deutschland. Heute verantwortet sie auf dem Hof Eickenhofer Spargelreich die Personalverwaltung und Buchhaltung.
Anna Karczewska, 39, kam vor rund 7 Jahren als Spargelstecherin nach Deutschland. Heute verantwortet sie auf dem Hof Eickenhofer Spargelreich die Personalverwaltung und Buchhaltung. © Hannah Schmitz

Bartosik, Idu und Gómez Traveza verlassen die Erntehelfer. Sie haben ihre Flyer verteilt und hoffen, die polnischen Mitarbeiter melden sich, sollten sie Probleme haben. „Wenn sie sich nicht melden, können wir nichts tun“, sagt Bartosik. Als die Berater im Auto sitzen, wird Gómez Travesa großes Lob los: „Wir haben selten so etwas Gutes gesehen“, sagt sie. Sie machen sich auf die Suche nach den nächsten Erntehelfern. „Ich hoffe, wir treffen nicht den Vorarbeiter an“, so Bartosik. Doch genau so kommt es. Die Männer, die die Berater auf dem nächsten Spargelfeld im Kreis Gifhorn antreffen, sind kurz vor der Mittagspause. Noch immer brennt die Sonne vom Himmel. Die Spargelstecher sind braungebrannt, dunkelhhaarig. „Rumänen“, sind sich die drei Berater schon von weitem sicher. Das Auto haben sie bewusst weiter weg geparkt, bloß nicht auf einen Privatweg. Die drei sind in der Regel nicht gerngesehen und wollen so wenig Angriffsfläche wie möglich bieten. Also lieber öffentlich parken.

Rumänen stehen in Lohn-Hierarchie offenbar unten

Rumänen, erklären die Berater, stehen in der Lohn-Hierarchie oft ganz unten. Sie verdienten in der Regel weniger als Polen und auch weniger als Bulgaren. „Oft auch keinen Mindestlohn. Aber das ist immer noch mehr, als sie zuhause verdienen würden“, sagt Bartosik.

Der rumänische Vorarbeiter spricht für die ganze Gruppe. Alles sei gut, die Unterkunft, die Bezahlung, die Arbeit. „Es gab noch nie Probleme“, sagt er. Während er selbst aus einer Stadt in Siebenbürgen komme, kämen die anderen Männer aus Dörfern, seien teilweise miteinander verwandt oder verschwägert. Zuhause bewirtschaften sie selbst Höfe, wenn sie zurückkommen, sei es Zeit, zu mähen. Einer erzählt, er habe zwei Pferde, drei Kühe, zwei Schweine, 15 Hühner und Schafe. Es klingt nach einem Klein- oder Selbstversorgerbetrieb.

Manche von ihnen kommen seit mehr als zehn Jahren in der Spargelsaison nach Deutschland. Der Vorarbeiter, gelernter Tischler, erzählt, dass er damit in der Stadt besser wirtschaften könne, zum Beispiel Renovierungsarbeiten am Haus durchführen könne. Die anderen können von dem Lohn – offenbar bis zu
6000 Euro in drei Monaten – auf dem Dorf theoretisch fast ein Jahr leben. Auf die Frage, ob hier vielleicht keine Polen beschäftigt seien, weil sie teurer seien, antwortet der 50-jährige Vorarbeiter: Die Rumänen seien belastbarer und produktiver. Paul Idu, rumänisch-sprachiger Berater, mag das nicht so ganz glauben.

Wie der Vorarbeiter weiter berichtet, erhalten sie den Mindestlohn. Bartosik sagt: „Für mich ist es manchmal schwer, zu beurteilen, ob die Arbeiter tatsächlich so viel ernten pro Stunde, wie sie erzählen. Ich vermute, dass sie vor allem bei schlechtem Wetter weniger als den Mindestlohn verdienen.“ Die Erntehelfer hier erhalten nach eigener Aussage außerdem Vorschüsse, das gesamte Gehalt aber erst nach Saisonende. Das finden die Berater mehr als problematisch. Der Vorarbeiter sagt, das wäre sicherer. Warum, wird nicht ganz klar.

„Die meisten Probleme letztes Jahr waren mit der Auszahlung des letzten Lohns verbunden. Das Geld wurde nicht überwiesen oder die Überstunden nicht bezahlt. Nach schriftlicher Geltendmachung wurde in fast allen Fällen alles bezahlt“, sagt Bartosik. Sie selbst hatte im vergangenen Jahr nur drei Fälle, in denen Klage gegen den Arbeitgeber erhoben wurde. Die Berater, sagt sie, können nur dann etwas tun, wenn die Erntehelfer von ihren Problemen berichten. So lange verteilen sie Flyer – und warten auf Anrufe.